Interne Unterlagen zeigen auf, wie Trump den Terror im eigenen Land erfindet und auch in Deutschland sich Grenzen verschieben

VonRainer Hofmann

Oktober 22, 2025

Ein in den frühen Oktobertagen entstandener vertraulicher FBI-Lagebericht offenbart, wie Donald Trump den Begriff innerer Sicherheit neu definiert – als Waffe gegen die eigene Bevölkerung.: Protest ist Terror. Die bloße Teilnahme an einer Demonstration gegen ICE, gegen den Präsidenten, gegen die Zerstörung demokratischer Institutionen – all das, so suggeriert das Dokument, könnte als Deckmantel für Anschläge dienen. Unterzeichnet wurde die interne Warnung von jenen, die längst als Schlüsselfiguren von Trumps neuer Sicherheitsideologie gelten: FBI-Direktor Kash Patel und Heimatschutzministerin Kristi Noem.

Das als „restricted“ gekennzeichnete Schreiben, datiert auf den 1. Oktober 2025, trägt den unscheinbaren Titel „Domestic Violent Extremists Pose Increased Threat of Violence to ICE Facilities and Personnel“. Doch hinter dieser bürokratischen Wortwahl steckt ein gefährlicher Gedanke: dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit selbst zum Sicherheitsrisiko erklärt wird. Die Behörde spricht von „Domestic Violent Extremists“, kurz DVEs – einem Begriff, der in Trumps Amerika inzwischen jeden meinen kann, der Transparente statt Waffen trägt.

Ein vertraulicher FBI-Lagebericht vom 1. Oktober 2025, der gemeinsam mit dem Heimatschutzministerium erstellt wurde, behauptet, sogenannte „Domestic Violent Extremists“ stellten eine wachsende Bedrohung für ICE-Einrichtungen dar. Als Belege führt das Dokument zwei Angriffe in Texas an – darunter den Fall des 29-jährigen Joshua Jahn, der in Dallas drei ICE-Häftlinge erschoss, bevor er sich selbst tötete. Kein einziger ICE-Beamter kam ums Leben. Dennoch warnt der Bericht, die Täter hätten „von durch den Ersten Verfassungszusatz geschützten Aktivitäten profitiert“ – eine Formulierung, die Demonstrationen indirekt mit Terrorismus verknüpft und als Grundlage für Trumps NSPM-7-Strategie dient, den Kampf gegen „inländischen Extremismus“ auf politische Opposition auszudehnen.

Siehe unseren Artikel: „Blut an der Grenze: Der Angriff auf die ICE-Einrichtung in Dallas, der Leben zerstörte und eine Nation entflammte“ unter dem Link: https://kaizen-blog.org/blut-an-der-grenze-der-angriff-auf-die-ice-einrichtung-in-dallas-der-leben-zerstoerte-und-eine-nation-entflammte/

Besonders ins Visier geraten ist der „No Kings“-Protest, eine breite Bürgerbewegung, die im April als Reaktion auf Trumps diktatorischen Regierungsstil entstand. Was als ironische Antwort auf den Pomp eines Präsidenten begann, der sich selbst zum Monarchen stilisierte, wuchs binnen Wochen zu einer landesweiten Demokratiebewegung mit Millionen von Teilnehmenden – unterstützt von Organisationen wie Indivisible, MoveOn und Public Citizen. Doch was auf den Straßen nach pluralistischem Protest klang, wurde in den Büros der Macht zum Terror erklärt.

Im Weißen Haus hallen seither Worte, die man aus autoritären Staaten kennt. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, sprach von „Hate America Rally“. Tom Emmer, der Mehrheitspeitsche der Republikaner, nannte die Demonstrationen die „terroristische Flanke“ der Demokratischen Partei. Selbst Steve Scalise, sonst ein Vertreter des kalkulierten Schweigens, übernahm das Schlagwort. Ausgerechnet jene, die den Aufstand vom 6. Januar verharmlosten, entdecken nun im friedlichen Protest die größte Bedrohung des Landes. Die Verschiebung der Begriffe ist nicht zufällig. Sie ist Teil einer Strategie. Trumps National Security Presidential Memorandum 7 – kurz NSPM-7 – verpflichtet seit Sommer sämtliche Bundesbehörden, „inländischen Terrorismus systematisch zu bekämpfen“. Was harmlos klingt, ist in seiner Auslegung unheimlich weit gefasst. Das Justizministerium unter Pam Bondi legte im September nach: In einer Direktive mit dem Titel „Ending Political Violence Against ICE“ werden Proteste, Blockaden oder auch nur kritische Äußerungen als potenzielle Unterstützung für Gewalt eingestuft. Zwei Tage später erschien der vertrauliche FBI-Lagebericht, der nun öffentlich wurde.

Der zweite Teil des vertraulichen FBI-DHS-Lageberichts beschreibt einen Angriff vom 4. Juli 2025 auf das ICE-Prairieland-Detention-Center in Texas, bei dem ein Polizist am Hals verletzt wurde. Laut Bericht nutzten die Täter verschlüsselte Kommunikationskanäle, führten Feuerwerke und Graffiti-Aktionen als Ablenkung durch und planten die Attacke im Umfeld eines lokalen Treffpunkts. Insgesamt wurden später 20 Personen festgenommen – doch auch hier stellt sich die Frage, wo eine Verbindung zu Demonstrationen sein soll, außer in Trumps Kopf. Trotzdem behauptet der Bericht, seit Juni hätten „kleine Gruppen von Tätern“ große, legale Proteste in Los Angeles und Oregon „ausgenutzt“, um Gewalt zu verüben. Als Belege nennt er Sachschäden an ICE-Einrichtungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Ausblick warnt das FBI, solche Angriffe könnten zunehmen und Täter würden sich über verschlüsselte Apps und Online-Recherchen auf Aktionen vorbereiten – eine Begründung, die jede digitale, journalistische oder politische Aktivität potenziell kriminalisierbar macht.

Darin verknüpft das Bureau zwei Gewalttaten in Texas mit angeblicher Nähe zu Anti-ICE-Demonstrationen. In Wahrheit handelt es sich um Einzelfälle – tragisch, aber kaum geeignet, eine landesweite Überwachungskampagne zu legitimieren. Im Juli und September seien „zwei gezielte, vorgeplante Angriffe auf ICE-Personal und Einrichtungen“ erfolgt, heißt es im Bericht. Vier Tote habe es gegeben. Kein Wort allerdings darüber, dass keiner dieser Toten Mitarbeiter der Behörde war.

Im ersten Fall des internen Berichtes handelte es sich, wie oben aufgezeigt, um Joshua Jahn, einen 29-jährigen Texaner, der im September auf ein ICE-Gebäude in Dallas schoss, zwei Häftlinge tötete, einen weiteren verletzte und sich dann selbst erschoss. Die Kugeln trugen die Gravur „anti-ICE“ – ein Detail, das FBI-Chef Patel umgehend in sozialen Netzwerken verbreitete. Große Medien übernahmen den Begriff des „Anti-ICE-Terroristen“. Doch Freunde, Angehörige des Täters und auch unsere Recherchen zeichnen ein anderes Bild: Jahn war, wie sie sagen, ein apolitischer Troll, getrieben von Chaoslust, nicht von Ideologie. Sein Bruder sprach später von einem „willkürlichen Amoklauf“. (https://kaizen-blog.org/blut-an-der-grenze-der-angriff-auf-die-ice-einrichtung-in-dallas-der-leben-zerstoerte-und-eine-nation-entflammte/)

Der zweite Fall, der im Lagebericht als Beleg für eine wachsende „Extremistenbewegung“ dient, betrifft den Angriff auf das Prairieland Detention Center im Juli. Eine Gruppe maskierter Angreifer schoss auf Beamte, ein Officer wurde am Hals verletzt. Am Tatort fanden Ermittler Parolen wie „FIGHT ICE TERROR“ und „RESIST FASCISM“. Doch auch hier: keine Verbindung zu einer Demonstration, keine zu den „No Kings“-Protesten. Die Anklageschrift erwähnt weder Antifa noch politische Netzwerke.

Trotzdem zieht der Bericht den Schluss, „inländische gewaltbereite Extremisten“ hätten in Kalifornien und Oregon „große, legale Proteste“ ausgenutzt, um Gewalt zu verüben. Der Verweis bleibt vage, die Belege fehlen. In Wahrheit gab es in Portland und Eugene zwar wiederholt Vandalismus und Rangeleien in geringer Zahl – doch kein einziger ICE-Mitarbeiter wurde in diesem Jahr getötet. Der einzige ernsthaft Verletzte ist jener Officer in Texas. Das hindert die Behörden nicht daran, eine Argumentationslinie zu etablieren: Protest als Nährboden des Terrors.

Dass die Regierung diese Rhetorik gerade jetzt forciert, ist kein Zufall. Seit der Ermordung von Charlie Kirk – ein Ereignis, das Trump öffentlich mit den Worten „unser 9/11 der Linken“ bezeichnete – herrscht ein Klima moralischer Hysterie. Jede Form politischer Opposition wird unter Verdacht gestellt. In dieser Atmosphäre gedeiht die Gleichsetzung von Dissens und Gefährdung. Was sich abzeichnet, ist ein systematischer Umbau der Sicherheitsarchitektur. NSPM-7 verschiebt die Grenze zwischen legitimer Gefahrenabwehr und ideologischer Repression. Wenn der FBI-Lagebericht behauptet, Angreifer hätten „von durch den Ersten Verfassungszusatz geschützte Aktivitäten profitiert“, dann sagt er nichts anderes, als dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit selbst zur Schwachstelle erklärt wird.

In Washington wird diese Sprache zur neuen Normalität. Aus der Sorge um Sicherheit wird ein Instrument zur Kontrolle. Der Inlandsgeheimdienst, der einst geschaffen wurde, um die Demokratie zu schützen, wird nun genutzt, um sie zu disziplinieren. Der „No Kings“-Protest am 18. Oktober stand damit nicht nur für den Widerstand gegen einen Präsidenten, der sich über Gesetze erhebt. Er stand auch für eine Bewährungsprobe der amerikanischen Freiheit. Denn wenn jede Menschenmenge zur potenziellen Bedrohung erklärt wird, bleibt vom öffentlichen Raum bald nur noch ein Nachhall der Angst. In Trumps zweiter Amtszeit hat der Staat gelernt, die Sprache des Terrors nach innen zu wenden. Wo früher Schlagworte wie „War on Terror“ galten, heißt es nun „War on Protest“. Es ist ein leiser, bürokratisch formulierter Krieg gegen jene, die nicht schweigen wollen. Ein Krieg, der sich als Verteidigung verkauft – und in Wahrheit das Fundament der Republik untergräbt. Wer in diesen Tagen „No Kings“ ruft, ruft nicht gegen eine Person, sondern gegen ein System, das gelernt hat, Demokratie mit Misstrauen zu verwechseln. Und vielleicht liegt genau darin die eigentliche Gefahr für jene, die regieren: dass Menschen sich daran erinnern, wem die Macht in einer Republik wirklich gehört.

Auch in Deutschland zeigen sich leise, aber spürbare Verschiebungen – kaum merklich im Alltag, doch unübersehbar für jene, die auf die Sprache der Macht achten. Was in den USA unter NSPM-7 bereits offen geschieht, vollzieht sich hierzulande in behördlichem Ton und mit juristischer Präzision: der Übergang von Schutz zu Kontrolle. Polizeigesetze, die auf Verdacht zugreifen dürfen; Verfassungsschutzberichte, die Aktivistinnen und Aktivisten als „linksextremistisch beeinflusst“ einstufen; Begriffe wie „Klima-RAF“ oder „Gefährder“, die den Ausnahmezustand ins Vokabular des Alltags schleusen. Das Muster ist stets dasselbe – der Staat erklärt ausgerechnet jene zum Risiko, die ihn an seine Versprechen erinnern.

Was einst als Schutzwall der Demokratie gedacht war, wird so langsam zu ihrem Schleier – durchsichtig genug, um den Schein der Freiheit zu wahren, dicht genug, um ihre Grenzen zu verbergen. Wenn Protest zur Störung wird, wird Loyalität zur Tugend, und aus öffentlichem Widerspruch entsteht eine Akte im Register der Inneren Sicherheit. Es ist kein plötzlicher Bruch, sondern eine schleichende Transformation: ein bürokratisch gezähmter Liberalismus, der seine eigene Angst vor der Freiheit verwaltet. Deutschland bleibt rechtsstaatlich – noch. Doch die Linie zwischen Stabilität und Stagnation verläuft längst nicht mehr entlang der Gesetze, sondern entlang des Mutes, sie auch gegen den Strom zu verteidigen.

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Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Playbook der Diktatur.
Vermutlich hat Trump darüber im Telefonat mit Putin gesprochen.

Entzieht der Opposition die Stimmen in der Bevölkerung.
Erklärt die eigene Bevölkerung zu Terroristen, weil sie ihr konstitutionelles Recht auf freie und vor allem friedliche Meinungsäußerung wahrnehmen.

Dann jagt man die Organisatoren.
Stellt sie unter juristische Beobachtung und droht jedem Spender mit juristischen Konsequenzen.

Gegen Spendenplattformen für Demokraten wird/wurde ja auch schon ermittelt.

Dank DOGE und Palantir kann die Trump Regierung immer einfacher nachverfolgen, wer auf Linie ist und wer Kritik äußert.

Ich fürchte, dass die nächste geplante No King Demonstration deutlich weniger Teilnehmer hat und wahrscheinlich durch Seiten von Trump eskalieren wird.
Trump hat genug willfähige Helfer.

Kann man das noch aufhalten?
Wenn Urteile nicht mehr im Namen der Verfassung und der Gesetze gesprochen werden, sondern nur noch auf Loyalität zu Trump.

Ihr macht einen tollen Job.
Eure Recherche ist genial und so umfassend.
Aber wird das reichen?
Im Moment sehe ich nur den dunklen Tunnel und kein Licht.
Es ist frustrierend

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