Im Schatten der Salamander – Texas, die fliehenden Demokraten und Amerikas ewiger Kampf mit dem Gerrymandering

VonRainer Hofmann

August 4, 2025

Es war ein dramatisches Bild, das sich im Hochsommer 2025 in den Vereinigten Staaten bot: Während in Texas der republikanische Gouverneur Greg Abbott wütend drohte, demokratische Abgeordnete verhaften zu lassen, standen in Illinois Gouverneur JB Pritzker und mehrere Abgeordnete aus dem Süden vor der Presse. Hinter ihnen die amerikanische Flagge, vor ihnen Mikrofone – und die klare Botschaft: Die geflohenen Demokraten aus Texas werden in Illinois Schutz finden. „Sie tun das Richtige“, sagte Pritzker, „und wir werden sie vor jeder willkürlichen Festnahme schützen.“

Der Hintergrund ist ein politischer Kampf, der so alt ist wie die amerikanische Demokratie selbst: Gerrymandering, die parteiische Manipulation von Wahlkreisgrenzen, steht erneut im Zentrum des nationalen Dramas. Als Dutzende demokratische Abgeordnete Texas verließen, um eine Abstimmung über die neuen Kongressdistrikte zu verhindern, griffen sie zu einem der letzten Mittel, das ihnen blieb. Präsident Donald Trump will die neuen Karten unbedingt noch vor den Zwischenwahlen 2026 – Karten, die republikanische Mehrheiten auf Jahrzehnte zementieren könnten. Der Begriff Gerrymandering ist in den USA seit mehr als 200 Jahren ein Synonym für politische Trickserei. Er geht auf das Jahr 1812 zurück, als der Gouverneur von Massachusetts, Elbridge Gerry, ein Gesetz unterzeichnete, das die Wahlkreise so verschob, dass seine Partei profitierte. Ein besonders bizarr geformter Distrikt erinnerte Beobachter an einen Salamander – die „Gerry-mander“ war geboren. Seitdem hat sich wenig geändert: Wer die Karten zeichnet, bestimmt, wie die Stimmen zählen.

In Texas liegt die Macht traditionell beim Parlament und beim Gouverneur. Alle zehn Jahre nach der Volkszählung werden die Wahlkreise neu gezogen – doch nichts hindert die Mehrheit daran, auch zwischendurch neue Linien zu ziehen. Die Methoden sind seit jeher perfide. Entweder werden die Wähler der Opposition in wenigen Bezirken zusammengepfercht, damit ihre Stimmen in allen anderen fast verpuffen, oder sie werden so weit verstreut, dass ihre politische Schlagkraft verdünnt wird. Für die republikanischen Mehrheiten in Texas ist diese Technik längst Routine. Schon nach der Volkszählung 2010 nutzte die GOP ihre Dominanz, um die Karten radikal zu ihrem Vorteil zu verschieben. Eine Analyse der Associated Press zeigte damals, dass die Republikaner daraus den größten parteipolitischen Vorteil seit einem halben Jahrhundert zogen. Doch auch die Demokraten haben gelernt. Nach der Volkszählung 2020 begannen sie in einigen Staaten, ebenfalls aggressiv zu schneiden, und versuchten, mit unabhängigen Kommissionen und juristischen Manövern die republikanische Dominanz zu kontern.

Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Der Supreme Court der USA entschied 2019, dass parteiisches Gerrymandering nach Bundesrecht nicht justiziabel ist. Mit anderen Worten: Es gibt keinen objektiven Maßstab, um zu beurteilen, ob eine Karte „fair“ ist. Nur wenn rassische Diskriminierung nachweisbar ist, wie 2023 in Alabama und später in Louisiana, greift das Gericht ein. Politische Manipulation dagegen bleibt ein Graubereich, den das höchste Gericht bewusst der Politik überlässt. Und so wird die Auseinandersetzung immer extremer. Texas ist inzwischen zum Brennpunkt des demokratischen Widerstands geworden. Die Bilder von Abgeordneten, die ihre Heimat verlassen, um die Legislative zu blockieren, sind längst Ikonen eines tief gespaltenen Systems. Vor dem Kapitol in Austin protestieren Bürger mit Plakaten, während drinnen Karten überarbeitet werden, die wie in den Jahrhunderten zuvor darüber entscheiden, welche Stimmen Gewicht haben und welche nicht. JB Pritzker sprach deshalb nicht nur als Gouverneur, sondern als mahnende Stimme der Demokratie: „Diese Menschen riskieren viel, um unsere Demokratie zu schützen. Wer sie bedroht oder gar verhaften will, greift das Herz unseres Systems an.“ Seine Worte sind Teil eines größeren Dramas, in dem rechtliche Grauzonen, parteiliche Interessen und die nackte Angst vor Machtverlust ineinandergreifen.

Die Geschichte des Gerrymandering ist ein Spiegelbild der amerikanischen Politik: ein Spiel aus Taktik, Zynismus und hartem Wettbewerb. Heute wie 1812 formt der Salamander die Demokratie – und niemand weiß, ob das Land jemals den Mut findet, ihn endgültig zu zähmen.

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Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Ich habe nie verstanden, wie in einer Demokratie Gerry-Mandering erlaubt sein kann.
Es ist absolut undemokratisch.
Auf die Art bilden die Wahlen nie real den Willen des Volkes ab.
Aber das ist nicht nur damit so.
Auch das System der Wahlmänner ist undemokratisch.

Aber gerade In Texas (und anderen Südstaaten) müssen die Republikaner ja extreme Angst vor dem Willen der Bevölkerung haben, wenn sie so massiv darauf zurück greifen.

Und hier ist das perfide, dass die Hilfen für die Flutopfer und ein Frühwarnsystem hintenan gestellt werden, weil eine neue Wahlkarte wichtiger ist.
Die gleichen Republikaner, die keine Gelder vorab bewilligt haben.

Aber die Bösen für MAGA sind die Demokraten.
Die „weinend wie Kleinkinder weggerannt sind“ (nicht meine Wortwahl, sondern MAGA Propaganda)

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