Good Trouble lebt – Wie das Vermächtnis von John Lewis Amerikas Straßen zurückerobert

VonRainer Hofmann

Juli 18, 2025

Es war kein Tag der Giganten, sondern der Vielen. Kein Marsch mit großen Reden, sondern ein Aufbruch in kleinen Gruppen, dezentral, kreativ, entschlossen. Und doch waren es in manchen Städten auch die Massen, die sich bewegten. Am 17. Juli, genau fünf Jahre nach dem Tod von John Lewis, gingen in den USA Zehntausende auf die Straße – unter dem Motto, das der Bürgerrechtler selbst geprägt hat: „Good Trouble Lives On.“ In Metropolen wie Chicago, Atlanta, Minneapolis, Sacramento und Los Angeles kamen über 10.000 Menschen zusammen – vereint im Protest gegen Donald Trumps Politik, im Gedenken an Lewis, und in der Hoffnung, dass seine Vision nicht verblasst. Es war ein Tag des stillen Aufbegehrens, der bunten Schirme, der alten Lieder und der neuen Zuversicht. Und es war ein Tag, an dem sichtbar wurde, dass Widerstand nicht laut sein muss, um gehört zu werden – aber manchmal eben doch.

In New Haven, Connecticut, versammelten sich Hunderte Menschen auf der Green – dem Platz, auf dem einst Sklavenmärkte standen, später Redner:innen der Abolitionistenbewegung sprachen und nun das Echo von Lewis’ Vermächtnis weiterhallte. Auf Transparenten standen Sätze wie: „We make good trouble in bad times“ – Wir stiften guten Ärger in schlimmen Zeiten. In Denver marschierten rund 2.000 Demonstrierende durch die Innenstadt, viele in T-Shirts mit der Silhouette des Kongressabgeordneten, der einst von Selma nach Montgomery ging – und dabei fast starb. Auch in Minneapolis – dem symbolträchtigen Ort des George-Floyd-Protests – kamen Tausende zusammen, unterstützt von Dutzenden Organisationen, Kirchen und afroamerikanischen Verbänden. In Sacramento reichte der Demonstrationszug kilometerweit bis vors State Capitol, begleitet von Musikern, Aktivisten und Schülergruppen. Insgesamt fanden Proteste an über 1.600 Orten statt. Mal zu Dutzenden, mal zu Hunderten, vielerorts zu Tausenden. In Washington, D.C. waren es nur zwei Dutzend – doch sie trugen bemalte Regenschirme, jeder einzelne ein farbiger Widerhall dessen, was Lewis meinte, als er sagte: „Wenn du etwas siehst, das nicht stimmt – dann sag etwas. Tu etwas.“

Lewis war kein Mann der Pose. Er war kein Lautsprecher. Er war ein Gewissen. Als er 1965 bei der „Bloody Sunday“ auf der Edmund-Pettus-Brücke in Selma von Polizisten fast totgeprügelt wurde, war er gerade 25 Jahre alt. Später saß er über drei Jahrzehnte im US-Kongress – und wurde dort zur lebenden Erinnerung an eine Zeit, in der Demokratie mit Blut verteidigt wurde. Heute, in einer Ära, in der der Begriff Demokratie selbst angezweifelt wird, in der Präsident Trump unverhohlen gegen Gerichte, Medien und Minderheiten hetzt, scheint Lewis‘ Erbe notwendiger denn je. „Good Trouble“, das war nie bloß ein Slogan – es war ein Aufruf, ein ethisches Prinzip, ein Kompass. Wer heute damit auf die Straße geht, tut es nicht nur gegen eine Regierung – sondern für eine Idee von Amerika, die droht, verloren zu gehen. Dass es am 17. Juli nicht ausschließlich Großkundgebungen waren, sagt wenig über die Kraft der Bewegung – und viel über ihre Struktur. „Good Trouble Lives On“ war bewusst dezentral organisiert, getragen von Basisgruppen, Kirchen, migrantischen Initiativen, Studierenden, Pflegekräften, Veteranen. In Houston waren es nur einige Dutzend, doch sie blieben stundenlang, tanzten, diskutierten, lasen Texte von Audre Lorde und Angela Davis. In manchen Orten gab es Mahnwachen mit Kerzen, an anderen Dialogrunden auf Marktplätzen. Und doch ergab sich aus all dem ein Bild: Amerika lebt – und es kämpft. Was bleibt, ist mehr als ein Jahrestag. Es ist das Bewusstsein, dass Demokratie nicht geschenkt ist. Dass die Erinnerung an John Lewis kein Denkmal braucht, sondern Menschen, die weitergehen, wo er stehen blieb. Menschen, die erkennen, dass „guter Ärger“ keine Ungezogenheit ist, sondern Zivilcourage. Vielleicht wird der 17. Juli künftig kein offizieller Feiertag sein – aber er ist jetzt schon ein Tag, an dem sich Amerikas Gewissen erhebt. Nicht um zu schreien. Sondern um zu erinnern. Und zu handeln.

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Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Ob es was ändern wird? Oder verpufft es wie das Monentum des Protestes am 14. Juni?

Schickt Trump wieder die Nationalgarde und das Militär?

MAGA tönt laut:
„Trump ist der mit überwältigender Mehrheit gewählt Präsident.
Er macht das, was er versprochen hat und wofür er gewählt wurde.
Hört auf zu heulen und zu demonstrieren. Wir interessieren uns einen shit für Euch“

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