Flaggen aus Feuer – Was der Protest in Los Angeles über Amerika erzählt

VonRainer Hofmann

Juni 12, 2025
Photo: Ethan Swope

Ein junger Mann läuft vorbei an einem brennenden Auto. In seinen Händen: vier Flaggen, darunter die mexikanische. Rauch zieht über den Asphalt, Stimmen hallen gegen die Mauern der Stadt. Es ist der 9. Juni 2025 in Los Angeles, ein Tag wie ein Knotenpunkt der Geschichte – ein Protest gegen Abschieberazzien, ein Aufschrei gegen Uniformen, ein Symbolgewitter aus Stoff und Bedeutung. In den Tagen nach Trumps Entsendung von Nationalgarde und Marines ist die Stadt zu einem flammenden Brennglas geworden. Und mitten in dieser Hitze: eine Welle von grünen, weißen und roten Fahnen. Mexikanische Flaggen, gehisst von jenen, deren Geschichte auf dieser Erde begann, lange bevor sie „Amerika“ genannt wurde.

Photo: Jae Hong

Für einige Konservative ist dieser Anblick ein Affront. Die Flagge Mexikos bei einem Protest auf amerikanischem Boden? Für sie ein Zeichen der Ablehnung, gar der Feindschaft. Karoline Leavitt, Trumps Pressesprecherin, nennt die Demonstrierenden „linke Radikale“, die angeblich gewalttätige Kriminelle verteidigen. Selbst Adam Kinzinger, republikanischer Trump-Kritiker, zeigt sich befremdet. „Amerikanische Flaggen oder gar keine“, schreibt er auf X. Doch diese Lesart verkennt die Tiefe, verflacht die Geschichte zu Ideologie. Denn was hier weht, sind keine Fremdflaggen – es sind Erinnerungen, Identitäten, Erbstücke. Die Flagge Mexikos steht nicht nur für Herkunft, sondern für Zugehörigkeit – für Menschen, die nicht über Grenzen kamen, sondern deren Heimat von einer Grenze durchschnitten wurde. Kalifornien war einst Mexiko. Die Linien auf der Landkarte verschoben sich – die Menschen blieben.

Photo: Jae Hong

Die Historikerin Kris Hernández beschreibt es treffend: Die Flagge sei eine Form der Sichtbarmachung, ein Protestzeichen gegen Unsichtbarkeit. Und sie sei ein Teil einer vielstimmigen Erzählung über Amerika – über ein Land, das nie homogen war, sondern stets aus Geschichten bestand, die nebeneinander bestehen mussten, und manchmal aufeinanderprallten. Inmitten der Debatte wächst eine neue Symbolik: die Rückeroberung der amerikanischen Flagge selbst. Immer mehr Demonstrierende tragen Stars and Stripes neben dem Grün-Weiß-Rot. Nicht als Widerspruch, sondern als Versöhnung. „Wir sind Amerika“, sagen sie damit. Nicht als Parole, sondern als Tatsache. Héctor Sánchez von „Mi Familia Vota“ bringt es auf den Punkt: „Wenn Konföderiertenflaggen neben US-Flaggen hängen dürfen – warum dann nicht auch die mexikanische?“ Seine Frage steht im Raum wie ein stilles Urteil über eine doppelte Moral.

Was in Los Angeles passiert, ist mehr als ein Protest. Es ist ein Kampf um das Bild Amerikas – um das Recht, Teil einer Geschichte zu sein, die so oft geleugnet wurde. Und in dieser Geschichte ist eine Fahne nicht nur Stoff. Sie ist Stimme, Wunde, Stolz. Und manchmal ein Feuer, das Wahrheit sichtbar macht.

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