Exportmodell der Kontrolle – Wie Trumps politisches Drehbuch die Forschung knebelt und Europas Demokratien bedroht

VonRainer Hofmann

August 9, 2025

Unsere Arbeit versteht sich nicht nur als Analyse amerikanischer Innenpolitik, sondern als Frühwarnsystem für die Demokratie diesseits des Atlantiks. Wenn wir dokumentieren, wie in den USA Forschungsfreiheit ausgeschaltet, Klimawissenschaft delegitimiert und öffentliche Gelder an politische Loyalität geknüpft werden, dann tun wir das auch, um Leserinnen und Leser in Europa zu sensibilisieren. Denn die Verteidigung der Wissenschaft ist in Deutschland genauso entscheidend wie in Amerika – und der erste Schritt zur Abwehr ist, das Muster zu erkennen, sobald es sich abzeichnet. Donald Trump hat gestern mit einem weitreichenden Dekret den Grundstein gelegt, um die Vergabe von Forschungsgeldern in den USA aus der Hand unabhängiger Fachleute zu reißen und sie politischen Günstlingen zu überlassen. Das neue „Improving Oversight of Federal Grantmaking“-Dekret verpflichtet alle Ministerien, politische Beamte einzusetzen, die über Anträge nicht mehr nur mitentscheiden, sondern faktisch das letzte Wort haben. Gefördert werden soll künftig nur noch, was die „politischen Prioritäten des Präsidenten“ stützt, während Projekte, die angeblich „anti-amerikanische Werte“ fördern, ausgeschlossen werden. Unter diesem schwammigen Vorwand lässt sich nahezu jede unliebsame Forschung blockieren – von Klimaforschung bis zu Sozialwissenschaften.

Die Folgen sind unmittelbar: Neue Förderaufrufe, etwa des National Institutes of Health, werden eingefroren, bis die politisch gesteuerten Prüfverfahren installiert sind. Jahrzehntelang bewährte Peer-Review-Verfahren – bei denen unabhängige Wissenschaftler die Qualität prüfen – werden so zu einer reinen Empfehlung degradiert, der politische Ernennungen jederzeit widersprechen können. Das ist nicht nur ein Bruch mit der bisherigen Praxis, sondern ein direkter Angriff auf die wissenschaftliche Selbstkontrolle. Die Begründung folgt einem klaren Drehbuch: Einzelne Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens – etwa an Harvard oder Stanford – werden aufgeblasen, um ein generelles Misstrauen gegen die gesamte Forschung zu säen. Zugleich werden Themen wie Diversität, Gleichstellung oder Migrationsforschung gezielt diskreditiert. Projekte, die „illegale Einwanderung fördern“ oder „das binäre Geschlecht leugnen“, sollen keine Mittel mehr bekommen – selbst wenn solche Einschränkungen geltendem Recht widersprechen. Besonders brisant: Auch die Forschung an Kinderkrankenhäusern könnte unter Druck geraten, weil deren „indirekte Kosten“ oft hoch sind und deshalb nicht in Trumps Förderlogik passen.

Die Methode ist nicht neu. Sie folgt dem politischen Drehbuch einer gezielten Entmachtung unabhängiger Institutionen, das längst in europäischen Parteizentralen studiert wird. Die AfD in Deutschland, Viktor Orbán in Ungarn – sie alle demonstrieren, wie sich Fördermittel als politisches Druckmittel einsetzen lassen. Aber auch im bürgerlich-konservativen Lager, etwa in Teilen der CDU/CSU, werden immer wieder Vorschläge laut, Forschungs- und Kulturförderung stärker zentral zu steuern – verpackt in wohlklingende Begriffe wie „Effizienzsteigerung“ oder „Koordination“. Das Muster ist identisch: Forschung, die unbequem ist, wird finanziell ausgetrocknet, während die eigene Agenda üppig alimentiert wird. Parallel dazu eskaliert das US-Energieministerium unter Trump seine Angriffe auf die Klimaforschung. Ein von fünf bekannten Klimawandel-Skeptikern verfasster Bericht erklärt die wirtschaftlichen Folgen der Erderwärmung für „weniger gravierend als angenommen“ und stellt die Rechtsgrundlage der Klimaschutzpolitik seit 2009 in Frage. Wissenschaftler weltweit reagieren entsetzt: Sie werfen den Autoren vor, ganze Forschungszweige zu ignorieren, Studien falsch zu zitieren und bekannte Zusammenhänge ins Gegenteil zu verdrehen. Ziel ist offensichtlich, das sogenannte „Endangerment Finding“ der US-Umweltbehörde zu kippen – jenes Urteil, das Treibhausgase als Gefahr für die öffentliche Gesundheit einstuft und die rechtliche Grundlage für Klimaschutzmaßnahmen bildet.

Sollte dieser Angriff erfolgreich sein, könnte der Oberste Gerichtshof – inzwischen klar konservativ dominiert – einen Präzedenzfall schaffen, der nicht nur in den USA, sondern auch in Europa Folgen hätte. Er würde den Weg ebnen für Regierungen, wissenschaftliche Erkenntnisse nach politischem Belieben zu verwerfen und deren institutionelle Verteidigung zu schwächen. Trumps politisches Drehbuch ist damit mehr als eine amerikanische Innenaffäre. Es ist ein Exportmodell für Kontrolle – ein Werkzeugkasten, den autoritäre Kräfte weltweit studieren. Wer glaubt, dass in Deutschland stabile Institutionen automatisch vor solch einem Zugriff schützen, irrt. Die Lektion aus Washington ist klar: Die Ausschaltung wissenschaftlicher Unabhängigkeit beginnt selten mit einem offenen Verbot, sondern mit schleichender Einflussnahme, scheinbar technokratischen Reformen und dem Missbrauch von Förderkriterien. Wer Europa schützen will, muss dieses Muster erkennen – und es bekämpfen, bevor es sich hier verfestigt. Denn was heute in den USA beschlossen wird, kann morgen als Vorlage in Brüssel, Berlin oder Warschau auf dem Tisch liegen. Und dann wird sich zeigen, ob wir aus den Warnsignalen rechtzeitig gelernt haben – oder ob wir das Drehbuch blind übernehmen.

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Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Wissen ist Macht.
Und deswegen wehren sich Autokraten und die, die auf dem Weg dahin sind, so vehement dagegen.

Wissenschaft widerlegt deren gebogene Realität, lässt Menschen nachfragen.

In den USA ist der Kreationismus mit riesigen Schritten auf dem Vormarsch.
Bibelgeschichte über wissenschaftliche Fakten.

Aluhüte gibt es dann bald im Sonderangebot.

Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht abdriften.
Wie schnell das passieren kann sieht man an den USA.
Und das kann leider in jedem demokratischen Land passieren.

Gut, dass Ihr deutlich aufklärt.
Die großen Medien schaffen es zumeist nicht.

BjörnK
BjörnK
2 Monate zuvor

Dem kann ich nur zustimmen. Kenne kaum bessere Nachrichten als bei euch. Sehr gute Arbeit.

Zuletzt bearbeitet 2 Monate zuvor von BjörnK
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