Es war fast gespenstisch still, nur manchmal war das Rauschen der letzten Blätter zu hören; die Konturen der Häuser ragten in den grauen Himmel, und es roch nach frischen Tränengas nach dem ersten ICE-Einsatz an diesem Herbsttag. Und genau in diesem Moment erinnerte ich mich an einen Satz. Es war kein Satz, für die Ewigkeit, so doch für den Augenblick. „Was ist nur passiert?“ – Mehr kann man doch eigentlich nicht mehr denken. „Jetzt ist man hier in einer falschen Welt, vorher war ich Mensch, dreimal Lachen, dann ist es hoffentlich vorbei.“ So vieles ist würdelos geworden 2025, wenn es wieder aus der Haustüre geht. Das meiste eigentlich. Das ganze Strampeln um die allerletzte Glückseligkeit. Und dann diese Menschen in den Gasmasken, die bei jedem Schritt auf die Blicke der anderen achteten und abdrücken.

Was sich auf Amerikas Straßen abspielt, hat jede Grenze gesprengt. ICE und die Grenzbehörde treten längst nicht mehr auf wie staatliche Institutionen, sondern wie eine Truppe, die sich ihre eigenen Regeln schreibt. Häuser werden gestürmt, Autos auf offener Straße abgefangen, Menschen abgeführt, ohne dass irgendjemand nachvollziehbar erklären könnte, auf welcher Grundlage. Die Gewalt hat eine Wucht erreicht, die an städtische Kriegsszenen erinnert – schnelle Eingreifteams, brüllende Kommandos, panische Familien, ein Durcheinander, das sich Tag für Tag weiter auftürmt. Es ist nicht mehr die kühle Härte einer Behörde. Es ist Willkür, die in ein System ihr Eigenleben entwickelt hat.

Es trifft Alte und Junge, Pflegekräfte, Schüler, Menschen auf dem Weg zur Frühschicht. Niemand ist sicher vor einem Zugriff, der in wenigen Sekunden ein ganzes Leben auseinanderreißt. Auf den Fotos, die uns erreichen, sieht man Männer in Schutzwesten, die aussehen, als würden sie sich auf einen Einsatz im Ausland vorbereiten. Doch sie stehen in Wohnstraßen, auf Supermarktparkplätzen, vor Schulen. Alles wirkt wie in den schlimmsten dunklen Zeiten, wie ein Apparat, der längst vergessen hat, wofür er einmal geschaffen wurde. Statt Recht durchzusetzen, trampelt er über Recht hinweg.

Inzwischen sind es täglich tausende Verstöße gegen elementare Menschenwürde. Jeder einzelne Fall zeigt, wie brüchig der Schutz geworden ist, auf den Menschen in diesem Land eigentlich vertrauen können. Familien zerbrechen in Minuten, Kinder sitzen nach einem Zugriff allein in kargen Räumen von Polizeistationen und wissen nicht, wohin ihre Eltern gebracht wurden. Alte Menschen werden in Handschellen gelegt, obwohl sie weder fliehen könnten noch eine Gefahr darstellen. Schlichte Fragen wie „Warum?“ oder „Wohin?“ verhallen im Nichts. Niemand hört zu.

Auch die Gewalt selbst hat eine neue Dimension erreicht. Sie ist nicht mehr das letzte Mittel, sondern das erste. Türen werden eingetreten, bevor überhaupt jemand klopft. Fahrzeuge werden abrupt gestoppt, eingekesselt, oft sogar durch das gezielte Rammen der Einsatzwagen aus der Spur gedrängt. Es sind Einsätze, die wirken, als kämen sie aus einem Guerillakrieg – doch sie ziehen sich mitten durch Städte und Vororte, als wäre all das eine alltägliche Notwendigkeit. Gleichzeitig wächst der Berg an Fällen ins Unendliche. Eine Flut an Fälle, Dokumenten, Berichten, die kaum noch zu bewältigen ist. Es sind nicht mehr Einzelfälle. Es ist ein System, das seine politische Ehre verloren hat.

So entstehen Zustände, von denen rechte Parteien in Europa nur träumen. Ein Klima der Angst, getragen von politischer Kälte und dem Willen, Stärke zu demonstrieren, egal, wen es trifft. Besonders die AfD blickt mit einer Mischung aus Bewunderung und offenem Wunschdenken auf diese Härte. Seit Jahren fordert sie Maßnahmen, die genau in diese Richtung gehen – mehr Druck, mehr Zugriff, ein Alltag, in dem Abschreckung über allem steht und Menschlichkeit zur nebensächlichen Bagatelle verkommt. Wer sich einmal auf diesen Weg begibt, findet kaum noch zurück.

Doch wir stehen nicht daneben und schweigen. Wir dokumentieren, wir unterstützen die Menschen, wir recherchieren, wir sprechen mit jenen, deren Leben in wenigen Sekunden zerfetzt wurde, mit Anwälten, die kaum noch hinterherkommen, und mit Menschen, die trotz allem nicht aufgeben. Unsere Arbeit ist kein bequemes Unterfangen. Sie ist ein täglicher Kampf gegen das Wegsehen, gegen das Verstummen, gegen die Behauptung, all dies sei unvermeidbar und gehe einen nichts an. Es ist nicht unvermeidbar. Es ist zerstörerisch. Wir erwarten keinen Applaus. Wir hoffen, dass man diesen Kampf mitträgt – gegen Willkür, gegen staatliche Übergriffe, gegen das Brechen von Menschenrechten. Jede Unterstützung zählt für diese Arbeit. Jede Stimme hilft, die Wahrheit sichtbar zu halten, die so viele verdrängen möchten, denn der Weg nach Europa ist näher als man denkt. Denn was gerade geschieht, ist nicht weniger als ein Angriff auf die Würde des Menschen und die Demokratie selbst. Und wenn wir nicht hinsehen, nicht dazu beitragen es zu bekämpfen, wird niemand mehr übrig bleiben, der davon erzählen kann, denn aus der Hölle geht es nur bergab.
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Danke für eure Arbeit. Es ist zutiefst erschütternd was in Amerika geschieht. Genauso erschüttert es mich, dass es so gut wie keine Berichte in deutschen Medien gibt.
Es nimmt mich so mit. Unbeschreiblich.😢😡