Amerikas Himmel wird dünner. Flugzeuge heben später ab, manche gar nicht mehr. Und unten, auf den Bildschirmen der Kontrolltürme, sitzen Männer und Frauen, die seit Wochen kein Gehalt mehr bekommen. Es ist Tag 27 des Regierungsstillstands, und die Fluglotsen, das unsichtbare Nervensystem des Luftverkehrs, arbeiten am Limit – erschöpft, überarbeitet, ohne Lohn. Was anfangs wie ein bürokratischer Konflikt in Washington aussah, wird zur Anatomie eines schleichenden Stillstands. Am Montag meldete die US-Luftfahrtbehörde FAA landesweit Personalengpässe: 20 Minuten Verspätung in Dallas, 40 in Newark, ebenso in Austin, wo der Betrieb zeitweise ganz gestoppt werden musste. Selbst in Los Angeles, wo die Flugzeuge normalerweise im Minutentakt starten, stockte der Verkehr. Eine halbe Stunde Stillstand im Himmel genügt, um Millionen zu treffen, denn hinter jedem Flug stehen Lieferketten, Verträge, Familien, medizinische Transporte.
Das Land, das einst Geschwindigkeit erfand, verlernt das Vorwärtskommen.
Seit Donald Trump die Zahl der Staatsangestellten radikal senken ließ, wurden über 100.000 Beschäftigte in den Bereichen Infrastruktur, Luftsicherheit, Energieaufsicht und öffentlicher Dienst entlassen. Unter ihnen auch viele, die in den Jahren nach der Pandemie mühsam aufgebaut worden waren. Der Effekt ist nun sichtbar: Während Milliarden in neue KI-Projekte fließen, fehlen die Menschen, die reale Systeme am Laufen halten. Verkehrsminister Sean Duffy hatte noch versucht, Optimismus zu verbreiten. Doch selbst er musste am Wochenende einräumen, dass „immer mehr Fluglotsen sich krankmelden“ – ein stiller Protest jener, die nicht mehr wissen, wie sie Miete oder Medikamente bezahlen sollen. „Das ist ein Zeichen, dass die Kontrolleure am Ende sind“, sagte Duffy. Die Worte klangen sachlich, doch der Satz hallte nach wie eine Diagnose des gesamten Landes.
Denn Amerikas Krise ist keine, die nur den Luftraum betrifft. Sie zieht sich wie eine Blockade durch alles, was einst Bewegung bedeutete. Baustellen stehen still, Regierungsdienste sind offline, Wissenschaftler in Bundeslaboren warten auf Geld. Der öffentliche Sektor, jahrzehntelang das Rückgrat nationaler Stabilität, wurde ausgedünnt, weil eine Ideologie glaubte, der Markt werde es schon richten.
Doch der Markt, wie er heute existiert, ist nicht mehr echt.
Das neue Wachstum entsteht nicht aus Arbeit, Innovation oder Produktion, sondern aus Daten, Spekulation und Code. Während echte Menschen ihre Jobs verlieren, verzeichnet die Regierung ein „technologisches Plus“ – gespeist von künstlicher Intelligenz und kryptobasierter Finanzarchitektur. Die amerikanische Wirtschaft, so scheint es, hält sich über Wasser mit etwas, das nur noch algorithmisch lebt. KI und Krypto ersetzen das, was real nicht mehr wächst. In der Luftfahrt zeigt sich die Paradoxie am klarsten: Milliarden fließen in die Automatisierung von Kontrollsystemen, während jene, die sie bedienen, ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können. Die FAA kämpft mit 3.000 fehlenden Fluglotsen – „der niedrigste Personalstand seit Jahrzehnten“, wie NATCA-Präsident Nick Daniels warnte. Viele seiner Mitglieder leisten seit Wochen Zwangsüberstunden, sechs Tage pro Woche, ohne Entgelt. Andere geben auf.
An den Flughäfen verteilen Gewerkschafter dieser Tage Flugblätter. Darauf steht, wie der Stillstand das System zersetzt – aber zwischen den Zeilen liest man etwas anderes: eine Müdigkeit, die zu einem Symbol wird. Die Verantwortung für den anhaltenden Stillstand liegt eindeutig beim Präsidenten. Donald Trump hat den Shutdown zu einem politischen Werkzeug gemacht, um seine eigene Bevölkerung unter Druck zu setzen. Was als Streit um den Haushalt begann, ist längst zu einem ideologischen Kampf gegen das soziale Fundament des Landes geworden. Hinter den verschlossenen Türen des Weißen Hauses geht es nicht nur um Zahlen, sondern um Prinzipien: um das Ende bezahlbarer Gesundheitsversorgung, um gekürzte Essenshilfen, um die Abschaffung von Programmen, die Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner vor dem Absturz bewahren. Trumps Politik richtet sich nicht mehr gegen politische Gegner, sondern gegen das eigene Volk – gegen jene, die er zu schützen vorgibt.

Trump lässt sein eigenes Volk verarmen und verzweifeln – ein Vorgang, der für Deutschland weit mehr als nur ein Warnsignal sein sollte. Denn wenn Parteien wie die AfD jemals Regierungsverantwortung übernehmen, könnte sich dieser Wahnsinn gegenüber den eigenen Bürgern auch hier wiederholen.
Denn der wahre Shutdown spielt sich nicht in den Amtsstuben ab, sondern in den Köpfen jener, die das Land tragen. Wenn der Staat seine Angestellten im Stich lässt, verliert er nicht nur Arbeitskraft – er verliert Vertrauen, Sinn, Zukunft. Die Flugzeuge fliegen wieder, irgendwann. Aber die Frage bleibt, wie lange noch Menschen im Tower sitzen, die ihnen den Weg weisen. Wenn alles, was zählt, nur noch virtuell ist, wenn künstliche Intelligenz und künstliche Werte die Arbeit ersetzen – was bleibt dann noch real an einem Land, das einst Himmel und Erde verband? Amerika steht, still, und blickt in einen Himmel, der leerer wird.
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