Washington, Frühsommer 2025. Die Sonne ging gerade über dem Kapitol auf, als sich in der Halle des Repräsentantenhauses ein Moment kollektiver Erleichterung entlud. Nach einer durchdebattierten Nacht, hitzigem Flüstern, taktischem Taktieren und einem finalen Showdown hatte die republikanische Mehrheit das geschafft, was kaum noch jemand für möglich gehalten hatte: Das umfassendste innenpolitische Gesetzespaket der Präsidentschaft Donald Trumps – der sogenannte „One Big Beautiful Bill Act“ – wurde mit nur einer Stimme Vorsprung (215 zu 214) verabschiedet. Applaus brandete auf, Arme sanken erschöpft herab, die Kameras klickten – und dann reisten viele Abgeordnete zurück in ihre Wahlkreise, um sich zu feiern.
Doch kaum zwei Wochen später ist aus der Euphorie Ernüchterung geworden. Und für einige beginnt das politische Erwachen in einem Tonfall zwischen Verlegenheit, Wut und bitterer Reue. Denn nun, nachdem der Gesetzestext – seitenlang, vieldeutig, technokratisch – öffentlich analysiert wird, stellen nicht wenige Republikaner mit wachsendem Entsetzen fest, was sie da eigentlich mitgetragen haben. Versteckt zwischen Haushaltszahlen, Steuererleichterungen und wohlklingenden Formulierungen zur Deregulierung finden sich plötzlich Klauseln, deren Inhalt weit über das hinausgeht, was öffentlich diskutiert wurde – und in einigen Fällen sogar den Überzeugungen einzelner Abgeordneter fundamental widerspricht.
Eine davon ist Marjorie Taylor Greene, die noch im April bei einem Town Hall Meeting den starken Mann im Weißen Haus bejubelte. Nun wirkt sie blass vor den Mikrofonen. Die Abgeordnete aus Georgia, Symbolfigur des rechten Flügels, sagte am Dienstag, sie sei „getäuscht worden“ und habe „nicht gewusst, dass der Gesetzentwurf auch Maßnahmen gegen Programme enthalte, die Veteranenhilfe betreffen“. Ein Satz, der zwischen Eingeständnis und Schuldverschiebung taumelt – wie so viele Äußerungen in diesen Tagen. Was war geschehen? In der Nacht der Abstimmung stand alles auf Messers Schneide. Donald Trump, dem es bei diesem Gesetz um nicht weniger als das politische Fundament seiner zweiten Amtszeit ging, hatte massiv Druck ausgeübt. Telefonate aus dem Weißen Haus, Treffen hinter verschlossenen Türen, Versprechungen, Drohungen – alles wurde mobilisiert. Die Führungsriege der Republikaner wusste: Ein Scheitern würde als Autoritätsverlust Trumps gewertet. Ein Erfolg – gleich wie schmutzig er zustande käme – als Triumph seiner Disziplinierung der Partei.
Und so wurde das Gesetz durchgedrückt. 937 Seiten stark. In großen Teilen bis zur Abstimmung nicht vollständig gelesen. Viele Detailregelungen – darunter Sondergenehmigungen für Ölbohrungen in Bundesstaaten, Einschränkungen für LGBTQ+-Programme, ein Passus zur Privatisierung öffentlicher Schulgelder – passierten ohne Diskussion. Wer fragte, galt als illoyal. Wer zögerte, als Schwächling. Nun melden sich Stimmen zu Wort, die plötzlich von „Informationsdefizit“ sprechen, von „undurchsichtiger Führung“ oder gar von „hintergangen werden“. Doch der Schaden ist angerichtet – und die Widersprüchlichkeit in diesen Rückziehern nicht zu übersehen. Denn während Trump auf seinen Kundgebungen die „historische Weichenstellung“ feiert und vom „größten Sieg seit Reagan“ spricht, versuchen einzelne Abgeordnete, sich aus der Umarmung des Gesetzes zu winden, das sie selbst mitgetragen haben.
Dabei steht das Gesetz selbst noch nicht einmal endgültig fest. Der „One Big Beautiful Bill Act“ muss nun noch den US-Senat passieren, wo ihn ein knapperes Kräfteverhältnis, wachsender Widerstand aus den eigenen Reihen und die Gefahr von Änderungsanträgen erwarten. Einige Senatorinnen und Senatoren, darunter Lisa Murkowski und Susan Collins, haben bereits signalisiert, dass sie zentrale Passagen – etwa die Entmachtung der Bundesstaaten beim Thema Künstliche Intelligenz – nicht mittragen wollen. Die Geschichte dieser Abstimmung ist mehr als eine Fußnote. Sie ist ein Lehrstück über Macht und Willfährigkeit, über das System Trump in seiner zweiten Präsidentschaft: wie Entscheidungen herbeigeführt werden, wie Druck ausgeübt wird, wie Schweigen zum Einverständnis wird – und wie rasch aus vermeintlicher Stärke die Fratze institutioneller Verantwortungslosigkeit erwächst. Der Sonnenaufgang über dem Kapitol an jenem Morgen war kein Symbol des Neubeginns. Er war das Licht, das eine bittere Wahrheit beleuchtet: Dass Demokratie nicht nur durch Gesetze untergraben wird – sondern durch die Unkenntnis jener, die sie verabschieden. Und durch die Stille, die dem Gewissen folgt, wenn es zu spät ist.