Belém hat an diesem Wochenende gezeigt, was passiert, wenn ein Klimagipfel nicht in sterilen Hallen stattfindet, sondern mitten in einer Stadt, die atmet, schwitzt und kämpft. Tausende Menschen zogen durch die Straßen, farbenfroh, laut und entschlossen. Sie trugen eine riesige aufblasbare Erde, sie sangen, tanzten, hielten Transparente in die Höhe und mischten indigene Lieder mit politischer Wut. Es war ein Bild, das nicht nur protestierte, sondern warnte: Die Zeit läuft ab. Drinnen, in den provisorischen Hallen der COP30, sah die Welt anders aus. Klimaanlagen brachen im schwülen Tropenwetter zusammen, Regenwasser tropfte durch die Dächer, und dennoch drängten sich Delegierte in engen Gängen, suchten Steckdosen, tranken lauwarmes Wasser und versuchten in dieser Hitze, globale Lösungen zu verhandeln. Denn während draußen die Rufe der Demonstrierenden laut wurden, blieb drinnen die bittere Wahrheit bestehen: Die Welt hält ihre Zusagen nicht ein.
Die zweite Woche des Gipfels beginnt mit einer ernüchternden Bilanz. Zehn Jahre nach dem Pariser Versprechen, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten, stehen die Emissionen auf einem neuen Rekord. Die Erde ist bereits um 1,3 Grad wärmer als im 19. Jahrhundert, und mit den heutigen Maßnahmen steuert sie auf 2,8 Grad zu. Das sind keine abstrakten Zahlen, das ist die Realität, die in Belém jeden Nachmittag in Form von brutalen Regenfällen vom Himmel stürzt.
Die großen Staats- und Regierungschefs sind längst wieder abgereist. Zurück bleiben die Diplomaten, die mühsam an Formulierungen feilen, die später darüber entscheiden, wie ernst es die Welt meint. Was Belém von den letzten Gipfeln unterscheidet: Hier darf demonstriert werden. Und nicht nur das – hier werden Proteste zugelassen, geschützt und teilweise unterstützt. Das steht im krassen Gegensatz zu den Treffen in Ägypten, den Emiraten und Aserbaidschan, wo der Staat Proteste mit harter Hand kontrollierte. In Belém ziehen Gewerkschaften, indigene Gruppen, Klimabewegungen und Umweltschützer Seite an Seite. Die Straße ist Teil dieses Gipfels, und sie macht Druck.

Im Zentrum der Verhandlungen stehen zwei große Fragen: Wird die Welt endlich festlegen, wie der Abschied von Öl, Gas und Kohle konkret aussehen soll? Und wird sie endlich die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen, damit sich ärmere Länder gegen Überschwemmungen, Dürren und Stürme schützen können? Vor zwei Jahren hatten die Staaten in Dubai nur vage angekündigt, man wolle „beginnen“, sich von fossilen Brennstoffen zu lösen. Doch aus dem „Beginnen“ wurde bisher wenig. Deshalb drängen Länder wie Deutschland, Frankreich, Kolumbien, Dänemark und Kenia jetzt auf einen klaren Fahrplan. Ein Fahrplan, der festlegt, wie Subventionen für fossile Energien abgebaut werden, wie Staaten ihre Energieversorgung umstellen und wie der Übergang finanziert werden kann. Die Marshallinseln, die kaum über dem Meeresspiegel liegen, formulieren es drastisch: „Wir werden nicht leben, wenn die Welt weiter wartet.“

Doch die Gegenkräfte sind stark. Saudi-Arabien, Russland und andere große Förderländer blockieren jeden Versuch, Fossile verbindlich einzuschränken. Auch Brasilien steckt im eigenen Widerspruch. Präsident Lula rief zum entschlossenen Vorgehen gegen fossile Brennstoffe auf – genehmigte aber wenige Wochen zuvor neue Ölbohrungen an der Amazonas-Mündung. Eine zusätzliche Last für die Gespräche ist die Abwesenheit der Vereinigten Staaten. Die Trump-Regierung ist aus den meisten internationalen Verpflichtungen ausgestiegen und überlässt den Gipfel den anderen. Ohne die größte historische Emittentennation fehlt in Belém eine Stimme, die in früheren Jahren vieles bewegt hat – sei es zum Guten oder Schlechten. Einige Delegierte sagen offen, dass ohne die USA weniger Störfeuer herrscht. Andere sehen eine gefährliche Lücke.

Eine zentrale Figur des Gipfels ist André Corrêa do Lago, Brasiliens Chefunterhändler. Er versucht, die Gespräche auf das Wesentliche zu lenken: erst umsetzen, was längst versprochen wurde. Keine neuen großen Schlagzeilen, sondern das Einlösen alter Zusagen. Seine Rolle wird sichtbar, wenn er Konflikte persönlich angeht. Als indigene Aktivisten am Freitag den Eingang blockierten, ging er selbst zu ihnen, sprach eine Stunde lang ruhig mit ihnen, hielt zwischendurch ein Kind im Arm – und die Blockade löste sich. Dieser Vorgang zeigt, wie nahe Protest und Diplomatie in Belém beieinander liegen. Und wie wenig Zeit die Welt hat. Kleine Inselstaaten laufen Gefahr, im Meer zu verschwinden. Länder wie Brasilien erleben am eigenen Körper, wie Hitze und Regen extremer werden. Und überall wächst die Angst, dass die Verhandlungen erneut hinter dem zurückbleiben, was nötig wäre.
Belém ist in diesen Tagen ein Brennglas. Es zeigt die Dringlichkeit, den Druck, die Hoffnung – und die Gefahr, dass wieder einmal alles zu spät kommt. Während draußen Trommeln, Gesänge und der Geruch von Regen die Luft füllen, ringt drinnen eine müde, erhitzte Weltgemeinschaft um Beschlüsse, die längst hätten stehen müssen. Und genau das ist die Lage: Die Welt braucht Entscheidungen.
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