Die Rede des Psychopathen – Trump, Chicago, New York und der Marsch der Nationalgarde

VonRainer Hofmann

August 22, 2025

Es sind Sätze, die klingen wie aus dem Drehbuch eines autoritären Albtraums. Donald Trump, Baseballcap tief ins Gesicht gezogen, beschwört in einer Rede die Bilder von Chicago und New York herauf – Städte, die er mit Hilfe der Nationalgarde „aufräumen“ will. Die Untertitelprotokolle der Rede lesen sich wie ein paranoider Monolog: „Chicago ist ein Chaos.“ – „Sie haben einen inkompetenten Bürgermeister.“ – „Als nächstes werden wir das vielleicht lösen.“ – „New York, wir helfen.“ – „Die radikale Linke.“ Es ist ein Sprachmosaik aus Aggression, Selbstmystifizierung und Verschwörungsdenken. Trump zeichnet in seinen Sätzen eine Kulisse, in der Städte zu Feindgebieten, Bürger zu Gegnern und politische Institutionen zu Hindernissen degradiert werden. „Sie tragen rote Hüte, genau wie diese“, sagt er, während er afroamerikanische Frauen im Publikum als Beleg für seine Popularität inszeniert. „Gott sei Dank ist er gekommen“, legt er anderen in den Mund. „Die Hälfte der Menschen wurde ausgeraubt.“ Und schließlich: „Sie arbeiten für dumme Leute.“ Es sind keine politischen Argumente – es ist das Sprachbild eines Mannes, der sich selbst als Retter in einer von Feinden belagerten Welt imaginiert.

Die Rede des Psychopathen

Die Rechtslage jedoch ist alles andere als eindeutig. Washington, D.C. untersteht als Bundesdistrikt unmittelbar dem Präsidenten – deshalb konnte Trump hier rund 2.000 Nationalgardisten auf die Straßen schicken. Verteidigungsminister Pete Hegseth hat ihnen nun sogar erlaubt, Waffen zu tragen – auch wenn offen bleibt, ob sie diese wirklich einsetzen dürfen. In Los Angeles aber war die Lage komplizierter: Trump ließ die kalifornische Nationalgarde „federalisieren“, um sie an Gouverneur und Landesgesetz vorbei in Stellung zu bringen. Genau dieser Einsatz ist derzeit Gegenstand mehrerer Klagen, da er gegen den Posse Comitatus Act von 1878 verstoßen könnte, der den Einsatz des Militärs im Inland strikt beschränkt. Für Chicago und New York gilt: Ohne Zustimmung der Gouverneure – J.B. Pritzker in Illinois und Kathy Hochul in New York – ist eine Entsendung der Nationalgarde rechtlich kaum haltbar.

Doch Trump zeigt sich davon unbeeindruckt. „Wir sind bereit, das zu tun. Wir müssen das tun“, verkündet er. Und er fügt hinzu: „Nachdem wir dies getan haben, gehen wir woanders hin und wir werden es schaffen.“ Es ist die Logik einer „rollenden Säuberung“, einer politischen Kampagne, die Schritt für Schritt Städte in Besatzungszonen verwandelt. Juristische Feinheiten interessieren ihn nicht – es geht um Macht, Inszenierung und das Bild eines starken Mannes, der von Applaus lebt. Der Vergleich mit einem Psychopathen drängt sich auf, nicht als Beleidigung, sondern als analytische Kategorie. Psychopathisches Sprechen erkennt man an der Entmenschlichung der Anderen, an der Umdeutung von Gewalt in „Hilfe“, an der Inszenierung von Feinden, die zugleich schwach und allmächtig erscheinen. Wer so spricht, will nicht regieren, sondern dominieren. Und wer so handelt, testet die Grenzen einer Demokratie aus – in Washington, in Los Angeles, bald vielleicht in Chicago oder New York.

Rechtlicher Rahmen des Militäreinsatzes im Inneren

Der Einsatz von Soldaten auf amerikanischem Boden berührt eine der empfindlichsten Linien der Verfassung. Drei Gesetze und Strukturen sind dabei zentral:

Posse Comitatus Act (1878) – Er gilt als Bollwerk gegen den Missbrauch militärischer Macht im Inneren. Das Gesetz verbietet es, Armee und Luftwaffe für gewöhnliche Polizeiaufgaben einzusetzen. Es soll sicherstellen, dass die bewaffneten Streitkräfte nicht zum Werkzeug eines Präsidenten gegen die eigene Bevölkerung werden.

Insurrection Act (1807) – Diese Ausnahme öffnet das Tor. In Fällen von Aufständen, massiven Unruhen oder wenn Bundesrecht durchgesetzt werden muss, darf der Präsident reguläre Streitkräfte einsetzen. Doch das Gesetz ist vage formuliert und gibt dem Präsidenten weiten Ermessensspielraum – eine Grauzone, die immer wieder Anlass zu Debatten liefert.

Die Nationalgarde – Eine Sonderrolle nimmt die Nationalgarde ein. Sie untersteht im Normalfall den Gouverneuren der Bundesstaaten, kann aber durch den Präsidenten „federalisiert“ werden. Im District of Columbia gibt es keinen Gouverneur – was bedeutet: Hier greift der Präsident direkt durch. Dass Donald Trump diese Lücke nun systematisch nutzt, ist nicht nur Symbol, sondern Machtpolitik im Kern.

Juristische Bruchlinien – Die aktuelle Lage zeigt, wie brüchig die Grenzen zwischen ziviler Sicherheit und militärischer Gewalt sind. Während in Bundesstaaten die Hürden hoch sind, liegt Washington als Bundeshauptstadt rechtlich offener in der Hand des Präsidenten. Genau hier setzt Trumps Zugriff an – ein Lehrstück über die Machtmechanik hinter der Kulisse von Schlagzeilen.

Waffen in Washington

Der neue Befehl aus dem Pentagon markiert eine Zäsur, die weit über den nüchternen Verwaltungsakt hinausreicht. Verteidigungsminister Pete Hegseth hat den Nationalgardisten in Washington die Autorisierung erteilt, ihre Waffen mitzuführen – ein Schritt, der die fragile Trennlinie zwischen militärischer Präsenz und bewaffneter Machtdemonstration gefährlich verwischt. Zwar bleibt offen, ob die Soldaten tatsächlich mit Gewehren durch die Straßen patrouillieren oder ihre Waffen lediglich in Fahrzeugen lagern, doch allein die Möglichkeit verändert die Atmosphäre der Hauptstadt. Ein General entscheidet nun, ob die Truppe sichtbar bewaffnet durch die Stadt marschiert, flankiert von einer Koordination mit Polizei und Bundesbehörden. Offiziell wird betont, dass die Soldaten kaum in direkten Polizeieinsatz geraten sollen, zumal viele weder Erfahrung im Umgang mit Zivilisten noch Ausbildung in deeskalierender Polizeiarbeit besitzen. Aber der symbolische Effekt ist bereits jetzt gewaltig: Washington wird zum Schauplatz eines Experiments, bei dem die Grenzen zwischen Schutz und Einschüchterung, zwischen Sicherheit und Besatzung, in erschreckender Geschwindigkeit ineinander verschwimmen.

Die Anatomie des schleichenden Bürgerkriegs

Was Trump betreibt, ist keine Politik mehr – es ist die systematische Spaltung der Nation. Er schafft zwei Amerikas: Das eine, sein Amerika, weiß, bewaffnet, paranoid. Das andere, das Amerika der „radikalen Linken“, der Städte, der Vielfalt – zum Feind erklärt, zur Zielscheibe gemacht. Die Gouverneure von Illinois und New York stehen vor einer historischen Entscheidung: Beugen sie sich der militärischen Drohung aus Washington, legitimieren sie den Putsch von oben. Leisten sie Widerstand, riskieren sie die offene Konfrontation zwischen Bundestruppen und Landesbehörden. Es ist die Konstellation von 1861, als die ersten Schüsse auf Fort Sumter fielen.

Das Momentum der Eskalation

Die „rollende Säuberung“, von der Trump phantasiert – „nachdem wir dies getan haben, gehen wir woanders hin“ – folgt einer eigenen, unaufhaltsamen Logik. Jede Stadt, die „befreit“ wird, normalisiert den Einsatz für die nächste. Jeder Widerstand wird zum Beweis für die Notwendigkeit härterer Maßnahmen. Es ist die Spirale, die vom Ausnahmezustand in die Diktatur führt. Die 2.000 Nationalgardisten in Washington sind nur der Anfang. Wenn sie erst einmal ihre Waffen offen tragen, wenn die ersten Zusammenstöße mit Demonstranten stattfinden, wenn das erste Blut fließt – wer garantiert dann noch, dass aus der Machtdemonstration nicht der Ernstfall wird?

Der Point of No Return

Amerika steht an einem Scheideweg, wie es ihn seit dem Bürgerkrieg nicht mehr gegeben hat. Trump schafft nicht nur die Grundlage für einen Bürgerkrieg – er führt ihn bereits, nur noch ohne offene Kampfhandlungen. Es ist ein kalter Bürgerkrieg der Institutionen, der Narrative, der Realitäten. Die Frage ist nicht, ob Trump einen Bürgerkrieg riskiert. Die Frage ist, ob die amerikanische Demokratie stark genug ist, sich gegen diesen Frontalangriff zu wehren, ohne selbst zu den Waffen zu greifen. Denn das ist Trumps perfides Kalkül: Er provoziert den Widerstand, um ihn dann als Aufstand niederschlagen zu können.

Was in Washington geschieht, ist mehr als eine politische Krise. Es ist der Versuch, die DNA der amerikanischen Republik umzuschreiben – von einer Demokratie zu einer Militärdiktatur, von einem Rechtsstaat zu einem Führerstaat. Die Nationalgarde in den Straßen der Hauptstadt ist nicht nur ein Symbol. Sie ist die Vorhut einer neuen, dunklen Ordnung. Die Geschichte wird uns fragen: Wo wart ihr, als die Demokratie starb? Die Antwort liegt in unserer Gegenwart: Wir waren Zeugen. Die Frage ist nur, ob wir auch Widerstand waren.

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Belinda B.
Belinda B.
2 Monate zuvor

Schlimm ist es, was aus den USA geworden ist, so sehr schlimm

Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Das macht mich wütend, hilflos, fassungslos und ungläubig.

Es ist leider keine Frage des ob was passiert, sondern wann.

Sich beugen darf keine Option sein. Denn dann gibt es keine Hoffnung mehr auf eine Demokratie.
Trump konzentriert sich auf seine schärfsten Gegner: Newsom, Pritzker, Hochul
Gegner die recht viel Macht haben. Hat er due besieged, sind kleinere Bundesstaaten ein leichtes.

Und so schreitet die Autokratie Schritt für Schritt voran.
Getragen von MAGA und willigen Polizisten, Nationalgardisten und dem Militär.
Und nicht zu vergessen der schweigende Teil der Bevölkerung.

Trump hat noch Zeit zu den Midterms um einen Aufstand zu inszenieren und die Wahlen auszuschließen.

Beate
Beate
2 Monate zuvor

Dunning Kruger effect

Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

Alt National Park services hat bestätigt, dass einige hundert (!) Grenzbeamte in die Nationalparks entsendet werden.

Es gibt einen (!) Nationalpark mit einer internationalen Grenze in den USA.
Den Glacier NP in Montana. Der ist zur Hälfte auf der kanadischdn Seite.
Sollen sie da die Unmengen an Fentanyl aufspüren, die über die kanadische Grenze kommen?

Oder heißt es künftig an der Einfahrt in den Nationalpark anstatt „hier ist ihre Karte, haben sie viel Spaß“ …. „zeigen sie ihre Greencard, Pass oder Birthcertificate“.

Wenn es reinweg um Sicherheit gehen würde, hätten sie schlicht nicht so viele NP Mitarbeiter entlassen sollen.

Aber hier geht es um neue Möglichkeiten „Illegale“ zu finden und die aufmüpfigen Ranger zu identifizieren.

Gabi
Gabi
1 Monat zuvor

Meine US-Freunde sind vor zwei Wochen nachhause zurückgekehrt, waren vorher zwei Monate in Kanada. Vor der Reise versuchten sie noch das Geschehen nicht so düster zu sehen. Mit vielen Gesprächen, kritischen Fragen und Tipps für investigative Medien sind sie inzwischen wachgerüttelt.
Nun haben sie Probleme sich im eigenen Land noch wohl und sicher zu fühlen. Gerade gestern erhielt ich von ihnen ein Mail mit einem grossen Danke und dass nun vor ihnen ein gewaltiger Lernprozess liegt. Gleichzeitig fragen sie sich, ob sie überhaupt noch die Zeit haben werden um zu lernen und sich im Widerstand zu organisieren….
Ich frage mich das auch.
Es macht traurig und es macht mich wütend!
Wütend, dass so viele lieber den Kopf in den Sand stecken und aufgeben bevor sie überhaupt etwas dagegen tun.

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