Die Invasion, die keine sein darf: Ein investigativer Blick, wie Chicago sich auf Trumps Krieg vorbereitet

VonRainer Hofmann

Oktober 6, 2025

Es war ein Morgen wie viele andere in Washington – und doch einer, an dem die Grundfesten der amerikanischen Demokratie bebten. Während im ehrwürdigen Supreme Court die neue Sitzungsperiode eröffnet wurde, in der es um nichts Geringeres gehen wird als um präsidiale Immunität, die Grenzen föderaler Macht und den Kern der Gewaltenteilung, begann in Illinois ein anderes Kapitel der Geschichte: eines, das nach Tränengas roch.

Gouverneur JB Pritzker hatte keine Stunde gezögert, um die Entscheidung des Präsidenten zu verurteilen, 400 Angehörige der texanischen Nationalgarde in seinen Bundesstaat zu entsenden. „Das ist keine Sicherheitsmaßnahme“, sagte Pritzker, „das ist Trumps Invasion.“ Der Präsident, so der Demokrat, missbrauche militärische Macht, um politische Botschaften zu erzwingen – gegen den Willen der Staaten, gegen die föderale Verfassung.

In den Straßen von Broadview, einem Vorort westlich von Chicago, spielte sich währenddessen eine Szene ab, die wie ein warnendes Zeichen für dieses neue Zeitalter wirkte. Dutzende Demonstrierende versammelten sich vor einer Einrichtung der Einwanderungsbehörde ICE, um gegen die anhaltenden Abschiebungen und die wachsende Militarisierung des Inlandes zu protestieren. Was dann geschah, ist dokumentiert in Videos, Schreien und dem beißenden Nachhall von Pfefferspray.

Der Fall Kat Abughazaleh, ehemalige Journalistin und nun demokratische Kongresskandidatin für den neunten Wahlbezirk von Illinois. Sie war damals am 20. September 2025 gekommen, um friedlich mit den Demonstranten zu sprechen, als Bundesbeamte plötzlich Tränengas abfeuerten, Pfefferkugeln verschossen und Abughazaleh zu Boden rissen. Eine Aktivistin wurde sogar in das Gebäude gezerrt, während Zeugen filmten, wie sie schrie: „Wir sind unbewaffnet!“

Abughazaleh selbst berichtete später, sie sei „geschlagen, zu Boden gestoßen und mehrfach getreten“ worden, bevor man sie minutenlang festhielt. Sie sprach von einem Angriff auf das Grundrecht auf politische Teilhabe – einem Angriff, der symbolisch für den Zustand Amerikas stehe. „Wenn friedlicher Protest zu einem Kriegsakt erklärt wird“, sagte sie, „dann ist nicht mehr das Volk der Souverän, sondern die Gewalt.“ Die Folgen der Attacken halten bis heute noch an.

Kat Abughazaleh

Gouverneur Pritzker reagierte wütend: „Ich fordere Gouverneur Abbott auf, jede Unterstützung für diese Einsätze sofort zurückzuziehen.“ Er sprach von einem „verfassungswidrigen Eingriff“ in die Hoheitsrechte der Bundesstaaten. Dass Trumps Verteidigungsministerium die Nationalgarde anderer Staaten mobilisiert hatte, um Einsätze in Illinois und Oregon zu ermöglichen, ohne Zustimmung der betroffenen Gouverneure, nannte Pritzker „einen beispiellosen Machtmissbrauch“.

Im selben Moment, in dem Truppen aus Texas auf dem Weg nach Illinois waren, öffnete in Washington der Supreme Court seine Türen. Chief Justice John Roberts, seit zwei Jahrzehnten das taktvolle Gesicht einer zunehmend zerrissenen Institution, betrat den Saal mit der stoischen Miene eines Mannes, der weiß, dass die kommenden Monate seine bisher schwersten werden.

Chief Justice John Roberts

Auf der Agenda der neuen Sitzungsperiode stehen Fälle, die das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative neu definieren könnten. Der wichtigste unter ihnen: die Frage, ob ein Präsident – gegen die Verfassung – über den Willen einzelner Bundesstaaten hinweg militärische Gewalt im Inland einsetzen darf. Es ist ein Streit um die Grundidee Amerikas: die Trennung der Macht. Trump, der sich selbst als „Law and Order President“ inszeniert, testet diese Trennung auf bisher unerreichte Weise. Unter dem Vorwand, Bundesbeamte und Einrichtungen zu schützen, lässt er Truppen von Staat zu Staat verschieben, als gehörte das Land ihm allein. In Oregon wurde dieser Versuch bereits gestoppt – Richterin Karin Immergut, ironischerweise selbst eine Trump-Ernennung, erließ am Wochenende eine zweite einstweilige Verfügung, die jede weitere Verlegung von Nationalgardisten nach Oregon untersagt.

Doch Illinois bleibt ein anderes Schlachtfeld. Dort sind die ersten Truppen bereits unterwegs. Der Präsident beruft sich auf § 12406 des Title 10 U.S. Code, der den Einsatz der Nationalgarde erlaubt, wenn Gesetze nicht mehr durchgesetzt werden können. Doch nirgendwo in Illinois brennt die Republik. Es gibt keine Aufstände, keine Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Nur Proteste – und eine Frau, die auf den Boden geschlagen wurde, weil sie es wagte, den Einsatz dieser Macht in Frage zu stellen.

Was sich hier abzeichnet, ist mehr als ein politischer Konflikt. Es ist ein Test für die Institutionen – ein Moment, in dem der Supreme Court, die Gouverneure und die Zivilgesellschaft zugleich prüfen müssen, ob die amerikanische Demokratie noch weiß, wo ihre Grenzen verlaufen. Am Sonntagabend jubelten einige Dutzend Demonstrierende vor dem ICE-Gebäude , als sie von Immerguts Entscheidung in Oregon hörten. „Zum ersten Mal seit Wochen habe ich das Gefühl, dass das Gesetz noch zählt“, sagte einer von ihnen.

Ein Satz, der mehr bedeutet, als er klingt. Denn in einem Land, in dem eine Präsidentschaft versucht, Recht und Gewalt zu verschmelzen, ist jeder Satz über die Gültigkeit des Gesetzes selbst schon ein Akt des Widerstands. Während der Supreme Court seine Sitzungen fortsetzt und Illinois sich auf mögliche weitere Auseinandersetzungen vorbereitet, bleibt eine Frage offen: Wer schützt Amerika vor seinem eigenen Oberbefehlshaber? Und wie lange noch kann eine Demokratie bestehen, wenn ihre Verteidiger mit Pfefferkugeln zu Boden gebracht werden?

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Ela Gatto
Ela Gatto
6 Minuten zuvor

„… während im ehrwürdigen Supreme Court…“
Das klingt wie der reinste Hohn, wenn man sich all die pro Trump, gegen Volk und Demokratie ansieht.

Der Supreme Court ist zumindest mit 6 Richtern, nur noch eine Marionette der Trump Regierung.
Nicht mehr in der Lage dem Druck stand zu halten und Urteile zu fällen, tells ohne Begründung, die nicht der Verfassung entsprechen.

Vom Supreme Court kann nur Trump was positives erwarten, niemand sonst.
Das werden die nächsten Urteile wahrscheinlich deutlich zeigen.

Und was dann?
Was sind die Urteile der darunter liegenden Instanzen dann noch wert?
Wenn klar ist, dass der Supreme Court die Urteile kippt und Grundsatzurteile fällt, die Klagen gegen die faschistische Regierung immer weiter einschränkt.
Verfassungsmäßige Rechte einschränkt
Dem Präsidenten quasi uneingeschränkte (diktatorische) Macht gibt.

Was dann?
Vor Gericht kann man „das“ dann nicht mehr aufhalten.
Entweder das Militär stellt sich noch rechtzeitig auf die Seite der Demokratie oder es gibt einen blutigen Bürgerkrieg.
Der aber, wenn das Militär auf der Seite der Faschisten steht, nicht von der Demokratie gewonnen werden kann.

Es sind wahrlich düstere Aussichten.

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