Die Geduld der Richterin ist vollkommen erschöpft – Warum Kilmar Abrego Garcia frei bleibt …

VonRainer Hofmann

Dezember 23, 2025

Der Gerichtssaal in Greenbelt, Maryland, gefüllt mit Spannung, Misstrauen und einer ungewöhnlich offenen Richterin. Kilmar Abrego Garcia darf weiter auf freiem Fuß bleiben. Nicht, weil sein Fall einfach wäre, sondern weil er das Gegenteil ist. Die zuständige Bundesrichterin, Paula Xinis, hat entschieden, die bestehende Schutzanordnung aufrechtzuerhalten. Damit ist die US-Einwanderungsbehörde Immigration and Customs Enforcement bis auf Weiteres daran gehindert, Kilmar Abrego Garcia erneut in Abschiebehaft zu nehmen oder seine Abschiebung zu vollziehen – mindestens über die Feiertage hinweg.

Heute am Vormittag – Kilmar auf dem Weg in das Gericht Greenbelt, Maryland

Der Ton der Richterin ließ keinen Zweifel daran, wie tief das Vertrauen des Gerichts in die Angaben der Regierung gesunken ist. Kilmar sei bereits einmal ohne rechtliche Grundlage abgeschoben worden, stellte Xinis fest. Die Erklärungen der Regierungsvertreter vor Gericht hätten sie an den Rand ihrer Geduld gebracht. Warum, so fragte sie offen, solle sie der Regierung in diesem Punkt noch einen Vertrauensvorschuss gewähren. Diese Frage hing wie ein schwerer Vorwurf im Raum – unbeantwortet.

Der Fall Abrego Garcia steht exemplarisch für die Verwerfungen der aktuellen US-Einwanderungspolitik. Im März war der aus El Salvador stammende Mann irrtümlich abgeschoben und in seinem Herkunftsland inhaftiert worden, obwohl ein gerichtlicher Schutz ihn genau davor bewahren sollte. Wir haben seit März 2025 vielfach darüber berichtet, waren selber in El Salvador und in diesem Fall tätig. Erst nach erheblichem Rechercheaufwand, politischen und juristischen Druck, bis hin zur Einschaltung des Supreme Court, kehrte er im Juni in die Vereinigten Staaten zurück. Kaum zurück, sah er sich erneut mit staatlichen Maßnahmen konfrontiert: einem Haftbefehl in Tennessee wegen angeblicher Schleuservorwürfe und dem Versuch der Einwanderungsbehörden, ihn wieder aus dem Land zu bringen. Erst letzten Freitag flatterte wieder eine endgültige Abschiebeanordnung im Hause Garcia ein, rechtlich kaum haltbar, Begründung, Unsinn, der nur noch zeigt, dass das Justizministerium mit Recht und Ordnung schon längst abgeschlossen hat. Trotzdem hat sich die Familie Garcia entschieden, nach Costa Rica umzuziehen.

Bondis Fantasiewelt ging bereits am 12. Dezember weiter – Kilmar wird beschuldigt, von einer Minderjährigen Nacktbilder verlangt und Rivalen getötet zu haben. Wen genau schützt das US-Justizsystem hier eigentlich? (Dass ihre Behauptungen auch strafrechtliche Folgen haben werden, realisiert sie schon lange nicht mehr – Anmerkung der Redaktion)

Am 11. Dezember ordnete Richterin Xinis seine Entlassung aus der Abschiebehaft an. Die Begründung war deutlich: Die Regierung habe keinen realistischen Plan vorgelegt, wohin Abrego abgeschoben werden solle. Einen Tag später folgte eine einstweilige Anordnung, die ICE untersagte, ihn sofort erneut festzusetzen. Die Anhörung am Montag diente der Frage, ob diese Anordnung aufgehoben werden sollte. Die Antwort der Richterin fiel klar aus: vorerst nicht.

Was sich im Gerichtssaal abspielte, war mehr als eine formale Anhörung. Xinis versuchte, Ordnung in ein Verfahren zu bringen, das sich zunehmend jeder Logik entzog. Sie wollte wissen, ob überhaupt ein konkretes Abschiebeverfahren geplant sei. Die Antworten des Regierungsanwalts blieben vage. Keine Argumente, nur falsche Behauptungen. Was als Nächstes geschehen solle, konnte oder wollte die Regierung nicht sagen. Für die Richterin war das nicht hinnehmbar. Die Schutzanordnung bleibe bestehen, erklärte sie, während sie die offenen Fragen prüfe. Die Lage sei höchst ungewöhnlich und außergewöhnlich.

Draußen vor dem Gerichtsgebäude wurde diese juristische Auseinandersetzung von lautstarkem Zuspruch begleitet. Unterstützerinnen und Unterstützer empfingen Kilmar, seine Frau und sein Anwaltsteam mit Gesang, Trommeln und Sprechchören. Drinnen saß Kilmar zwischen mehreren Verteidigern, ihnen gegenüber ein einzelner Vertreter der Regierung – ein Bild, das die Kräfteverhältnisse dieses Tages widerspiegelte. Besonders schwer wiegt für das Gericht das Verhalten der Behörden in den vergangenen Monaten. Seit August saß Kilmar in Abschiebehaft. In dieser Zeit nannte die Regierung eine Reihe von Zielländern: Uganda, Eswatini, Ghana, zuletzt Liberia. Keines dieser Länder hatte sich bereit erklärt, ihn aufzunehmen. Gleichzeitig ignorierten die Behörden konsequent das einzige Land, das Abrego akzeptieren würde und das ihm sogar Schutz angeboten hatte: Costa Rica. Richterin Xinis warf der Regierung vor, das Gericht in die unter Vorsatz Irre geführt zu haben, indem sie behauptete, Costa Rica sei keine Option. Die Weigerung, dieses Angebot anzuerkennen, die Drohungen mit Abschiebungen in afrikanische Staaten ohne Zustimmung und die Darstellung Liberias als angeblich einzige Möglichkeit zeigten aus Sicht der Richterin, dass die Haft nicht dem Zweck einer zeitnahen Abschiebung diente, was auch Recherchen ergeben hatten.

Kilmars Anwälte machten im Gerichtssaal noch einmal deutlich, dass ihr Mandant jederzeit bereit sei, nach Costa Rica zu gehen – sofort, wenn man ihn ließe. Einer seiner Anwälte sagte nach der Verhandlung, es sei offensichtlich, dass die Regierung keinen Plan habe, sondern lediglich bestrafen und Trump gefallen wolle. Wer Kilmar derzeit in den Vereinigten Staaten festhalte, so seine Worte, sei nicht das Gericht, sondern der Staat selbst. Er habe mit Amerika abgeschlossen und als freier Mann, stehe ihm auch das Recht zu, seinen Lebensmittelpunkt selber zu entscheiden.

Kilmar lebt seit Jahren in Maryland, ist mit einer US-Amerikanerin verheiratet und hat ein Kind. Als Jugendlicher kam er ohne Papiere aus El Salvador in die USA. Ein Einwanderungsrichter hatte ihm 2019 Schutz vor einer Rückführung in sein Herkunftsland gewährt, weil ihm dort konkrete Gefahr durch eine Bande drohte, die seine Familie ins Visier genommen hatte. Trotz dieses Schutzes betont das Heimatschutzministerium, dass Kilmar Abrego Garcia nicht in den USA bleiben dürfe und in ein Drittland abgeschoben werden solle. Parallel dazu läuft das Strafverfahren in Tennessee. Dort haben seine Anwälte zuletzt Sanktionen beantragt, nachdem ein ranghoher Grenzschutzbeamter ihren Mandanten in nationalen Medien abfällig kommentiert hatte. Auch hier hatte ein Gericht bereits angeordnet, öffentliche Äußerungen zu unterlassen, die Kilmars Recht auf ein faires Verfahren beeinträchtigen könnten. Die Beweislage gegen Kilmar ist so dünn, dass man diese problemlos als frei erfunden bezeichnen kann. Auch das zeigten die Recherchen ganz klar auf.

So steht Kilmar Abrego Garcia nun zwischen den Fronten eines Systems, das sich widerspricht, verzögert und verrennt. Die Entscheidung von Richterin Xinis ist kein Freispruch, keine endgültige Lösung. Sie ist ein Stoppzeichen. Ein klares Signal, das ein Gericht nicht bereit ist, weitere Fehler, Ausflüchte und Tatsachenverdrehungen hinzunehmen. Für Kilmar bedeutet das vorerst Freiheit. Für die Regierung bedeutet es eine unbequeme Aufgabe: endlich zu erklären, was sie eigentlich vorhat – und auf welcher rechtlichen Grundlage.

All das sind Folgen von Rechtspopulismus. Wer in Deutschland glaubt, das gehe ihn nichts an, irrt sich – und zwar gründlich. Björn Höcke hat diese Richtung nicht verklausuliert, sondern offen benannt. Im Frühjahr 2025 erklärte der AfD-Fraktionschef in Thüringen, der Flughafen Erfurt-Weimar solle künftig als zentraler Ort für Abschiebungen dienen. Menschen ohne Aufenthaltsrecht sollten dort gesammelt und von dort aus außer Landes gebracht werden. Der Vorstoß war Teil eines offiziellen Antrags der AfD-Fraktion im Landtag. Höcke sprach davon, Abschiebungen zu bündeln und zu beschleunigen. Juristen und Flüchtlingsorganisationen warnten, dass damit ein abgeschotteter Sammelort entstünde, an dem Menschen faktisch festgehalten würden, ohne reguläre Haft. Eine klare Distanzierung blieb aus. Der Plan blieb stehen. CDU/CSU zeigen auch mehr und mehr Tendenzen am Gefallen dieser Praktiken.

Parallel dazu offenbaren die Zahlen, was diese Politik in der Praxis bedeutet. Im Jahr 2025 wurden in Deutschland bereits rund 20.000 Menschen abgeschoben, deutlich mehr als im Jahr zuvor. Darunter waren über 2.000 Minderjährige, viele von ihnen seit Jahren hier aufgewachsen. Pro Asyl weist darauf hin, dass ein großer Teil der Betroffenen geduldet war, gearbeitet hat oder familiär fest eingebunden war. Für sie ist Abschiebung kein Verwaltungsakt, sondern der abrupte Verlust von Zuhause, Sicherheit und Zukunft. Diese Entwicklung steht nicht für demokratische staatliche Härte, sondern für tausendfache Brüche in echten Leben.

Der Fall Kilmar Abrego Garcia zeigt, wie sehr es auf konkrete Hilfe und Unterstützung von Menschen ankommt, die die Wege kennen, wissen, was zu tun ist. Kaum ein solcher Fall lässt sich ohne Recherche aufklären. Darauf baut auch das Trump-Regime: auf Menschen, die kaum Geld haben, kaum Mittel, kaum eigenes Rechtswissen. Dagegenhalten heißt, mit Anwälten und Organisationen zu arbeiten, die pro Bono oder zu minimalen Sätzen kämpfen. Der Aufwand ist enorm. Aber jeder gewonnene Fall zählt. Jeder verlorene wird wieder aufgenommen. In einer Zeit, in der sich vieles darüber nur noch in sozialen Netzwerken abspielt, ist die Realität woanders: auf den Straßen, in Abschiebeeinrichtungen, in Ländern, in denen Menschenrechte keinen Schutz bieten. Genau dort setzt auch unsere Arbeit und die vieler tollen Organisationen, Anwälten und Menschen an.

Liebe Leserinnen und Leser,
Wir berichten nicht aus der Distanz, sondern vor Ort. Dort, wo Entscheidungen Menschen treffen und Geschichte entsteht. Wir dokumentieren, was sonst verschwindet, und geben Betroffenen eine Stimme.
Unsere Arbeit endet nicht beim Schreiben. Wir helfen Menschen konkret und setzen uns für die Durchsetzung von Menschenrechten und Völkerrecht ein – gegen Machtmissbrauch und rechtspopulistische Politik.
Ihre Unterstützung macht diese Arbeit möglich.
Kaizen unterstützen

Updates – Kaizen Kurznachrichten

Alle aktuellen ausgesuchten Tagesmeldungen findet ihr in den Kaizen Kurznachrichten.

Zu den Kaizen Kurznachrichten In English
Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
0 Comments
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x