Die bittere Wahrheit hinter Trumps „Krieg gegen die Drogen“

VonRainer Hofmann

Dezember 15, 2025

In einer unscheinbaren Wohngegend jenseits der US-mexikanischen Grenze läuft ein tödliches Geschäft auf Hochtouren. Hier, in einem der unzähligen Safe Houses der Kartelle, wird die nächste Lieferung Fentanyl für die amerikanischen Straßen vorbereitet. Die synthetische Droge, fünfzigmal stärker als Heroin, wird sorgsam in Plastik versiegelt, bevor sie mit einem leisen Platschen im Benzintank eines Autos verschwindet. Es ist eine perfide, aber effektive Schmuggelmethode – eine von vielen.

„Jay“, ein Drogendealer aus Los Angeles, beobachtet das Geschehen mit ruhigem Blick. Er kennt das Geschäft, er kennt die Nachfrage. 100.000 Pillen pro Woche verkauft er im amerikanischen Nordwesten, verteilt sie geschickt auf mehrere Autos, um das Risiko zu minimieren. Sein Urteil über Donald Trumps „Krieg gegen die Kartelle“ ist ernüchternd: „Er hat es beim letzten Mal versucht und es hat nichts gebracht. Es gibt immer Nachfrage. Und wo ist die größte? In den USA.“

Sie zahlen einen hohen Preis für ihre Unabhängigkeit

Es sind Sätze, die mit beängstigender Selbstverständlichkeit ausgesprochen werden – als sei es ein bloßes Geschäft, kein tödliches Spiel mit Menschenleben. Doch genau das ist es: ein lukratives Geschäft, das weder durch Trumps martialische Drohungen noch durch hohe Strafzölle gestoppt wird. Während die US-Regierung vorgibt, die Wurzeln des Drogenproblems zu bekämpfen, lässt sie einen entscheidenden Faktor außer Acht: die eigene Verantwortung.

Ein künstlicher Feind für politische Zwecke

Donald Trump inszeniert sich als unermüdlicher Kämpfer gegen die Fentanyl-Krise. Seine Antwort? Militärische Einsätze gegen angebliche Drogenboote aus Venezuela, aktuell 87 Tote, Strafzölle auf mexikanische Waren, Kanada wird in der Rhetorik auch nicht verschont, warum, dass weiß wohl nur Trump selber, verstärkte Grenzkontrollen und martialische Rhetorik gegen die Kartelle. Doch ein Blick auf die Realität zeigt: Seine Politik ist nicht nur ineffektiv, sondern lenkt von den eigentlichen Ursachen ab. Die Fentanyl-Krise begann nicht mit den Kartellen, sondern mit der systematischen Verharmlosung opioidhaltiger Schmerzmittel in den USA selbst. Schon in den späten 1990er Jahren wurden Medikamente wie OxyContin von Pharmaunternehmen aggressiv vermarktet und von der Regierung unkritisch zugelassen. Ärzte verschrieben sie in Massen, Millionen wurden abhängig – der perfekte Nährboden für den illegalen Opioidmarkt, den die Kartelle später ausnutzen sollten.

Die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum brachte es im Juni auf den Punkt: „Die US-Regierung muss Verantwortung für die Opioid-Krise übernehmen.“ Doch statt sich den eigenen Fehlern zu stellen, projiziert Trump das Problem nun auf Venezuela – ein politisch nützlicher Sündenbock mit Öl. Flutet Venezuela die USA wirklich mit Drogen – oder wird hier Sicherheitspolitik als Theater gespielt? Wer die nüchternen Daten statt die Schlagzeilen liest, sieht ein anderes Bild. Venezuela ist kein nennenswerter Produzent von Kokain. Es ist vor allem Transitland – ein Korridor, gespeist durch die poröse, tausend Kilometer lange Grenze zu Kolumbien, dem weltweit größten Produzenten. Schätzungen der US-Regierung verorteten 2020 rund 200 bis 250 Tonnen Kokain, die jährlich über Venezuela weiterflossen – grob ein Zehntel der Weltmenge. Das ist viel, aber nicht das Epizentrum. Andere Routen bewegen weitaus mehr Ware; 2023, so unsere Recherchen, liefen etwa 1.700 Tonnen über Guatemala. Entscheidend ist zudem die Geografie der Logistik: Der Hauptstrom für Nordamerika geht durch den Pazifik. Von 2019 bis 2023 wurden rund drei Viertel aller Lieferungen über den Pazifikkorridor registriert, vor allem von Kolumbien und Ecuador aus; die Karibik war die kleinere, wenn auch sichtbare Bühne. Auch beim Fentanyl – dem wahren Killer der US-Opioidkrise – ist Venezuela kaum mehr als ein rhetorischer Blitzableiter. Die synthetische Droge entsteht nahezu vollständig in Mexiko, aus Vorläufersubstanzen, die häufig aus China kommen. Dass Kokain in den USA mit Fentanyl gestreckt wird, ist belegt – doch das Schneiden passiert in Mexiko oder auf US-Boden in tausenden von kleinen Laboren, nicht in Caracas.

Die grausame Realität auf amerikanischen Straßen

Die wahren Folgen dieses Versagens zeigen sich in Orten wie Kensington, Philadelphia – einer der größten offenen Drogenszenen an der Ostküste. Hier rettet Rosalind Pichardo Leben. In einem abgegriffenen Notizbuch dokumentiert sie jede Überdosis, die sie mit Naloxon, auch bekannt als Narcan, rückgängig gemacht hat. Die Zahl? 2.931 in den letzten sechs Jahren. Jede Zahl steht für eine Person, für einen verzweifelten Kampf ums Überleben.

Rosalind Pichardo

Sie erinnert sich an eine siebenjährige Überdosis-Patientin. Ein kleines Mädchen, blau angelaufen, durch die Drogen ihres eigenen Vaters vergiftet. Mit zwei Dosen Naloxon konnte sie es zurückholen. Eine schwangere Frau, sechs Monate weit, ebenfalls gerettet. Doch für viele kommt die Hilfe zu spät. In den Straßen liegen Körper – auf dem Bürgersteig, vor Metrostationen, in Hauseingängen. Ein Mann sitzt reglos im Rollstuhl, ein Geldschein in der Hand, sein Bein amputiert – eine der grausamen Folgen des neuen Drogencocktails aus Fentanyl und dem Tierberuhigungsmittel Xylazin.

Pichardo sieht die Muster. Wo einst Heroin dominierte, ist nun Fentanyl. Und wenn das verschwindet, wird es durch etwas anderes ersetzt. „Der Krieg gegen die Drogen hat nie funktioniert und wird nie funktionieren“, sagt sie. Denn solange es Verzweiflung gibt, wird es Menschen geben, die nach einem Ausweg in der chemischen Betäubung suchen – und andere, die daran verdienen.

Das Sunshine House – Oft die letzte Rettung für Drogenabhängige

Während Trump markige Sprüche über den Kampf gegen Drogen klopft, floriert das Geschäft mit Fentanyl mehr denn je. Die Preise für eine Pille sind in Los Angeles auf gerade einmal 1,50 Dollar gefallen – ein deutlicher Beweis für das ungebrochene Angebot. Die Kartelle haben längst Strategien entwickelt, um verschärfte Grenzkontrollen zu umgehen. Sie nutzen US-Bürger als Kuriere, sie mischen ihre Ware mit anderen Substanzen, sie sind der Strafverfolgung stets einen Schritt voraus. Selbst verstärkte Überwachungsmaßnahmen, wie die CIA-Drohnen über mexikanischen Drogenlaboren, können daran nichts ändern. Die mexikanische Regierung hat dennoch reagiert, unter anderem mit verstärkten Kontrollen für Chemikalienimporte aus China – der Hauptquelle für die Grundstoffe von Fentanyl. Doch solange in den USA die Nachfrage ungebrochen bleibt, bleibt auch der Nachschub gesichert.

Die Wahrheit ist bitter: Trumps „Lösung“ für die Fentanyl-Krise nach Venezuela zu weiterzuleiten ist nicht mehr als ein medienwirksames Ablenkungsmanöver. Er braucht Feindbilder, um vom Versagen, jahrzehntelange Fehler in der Innenpolitik abzulenken, um von der eigentlichen Krise abzulenken, denn der große Boom in den USA begann 2018, in der ersten Amtszeit von Trump – eine Krise, die mittlerweile tief in der amerikanischen Gesellschaft verwurzelt ist. In einem Land, in dem das Gesundheits- und Sozialsystem chronisch unterfinanziert ist, mit Robert Kennedy Jr. einen Gesundheitsminister plaziert hat, der wie ein Metzger agiert, in dem psychische Erkrankungen oft unbehandelt bleiben, in dem wirtschaftliche Unsicherheit und Perspektivlosigkeit Millionen in die Abhängigkeit treiben, bleibt der Drogenkonsum hoch – egal, welche Droge gerade dominiert.

Die Überlebenden von Kensington wissen das. Rosalind Pichardo weiß das. Die Kartelle wissen das. Nur Donald Trump gibt vor, es nicht zu wissen.

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