Es sind Sätze, die man sonst nur aus dystopischen Filmen kennt: „Chicago wird bald erfahren, warum es das Department of WAR heißt“, schreibt der Präsident der Vereinigten Staaten auf Truth Social, unterlegt mit einem peinlichen KI-generierten Bild, das ihn als Colonel Kilgore aus „Apocalypse Now“ zeigt. Daneben der Spruch „Ich liebe den Geruch von Abschiebungen am Morgen“. Es ist keine ironische Zuspitzung, es ist eine Drohung – und sie kommt aus dem Oval Office. In Washington spricht Donald Trump offen davon, die drittgrößte Stadt der USA zu besetzen. „Wir gehen rein. Ich habe nicht gesagt wann, aber wir gehen rein“, sagt er Reportern, ohne zu lächeln. Hinter den Kulissen läuft der Aufbau längst.
Ein interner Operationsbefehl“, der uns vorliegt, zeigt: Das Heimatschutzministerium hat das Pentagon gebeten, 250 Bundesbeamte und 140 Fahrzeuge auf der Naval Station Great Lakes unterzubringen – der größten Marinebasis in Illinois, nur 80 Kilometer nördlich der Stadt. Personal und Ausrüstung sind bereits vor Ort, die Basis wird für mindestens 30 Tage reserviert.


Die als UNCLASSIFIED // FOR OFFICIAL USE ONLY gekennzeichnete Operationsbefehl“ legt offen, dass das Heimatschutzministerium bestehende Infrastruktur der Marine nutzen will, um eine effiziente und sichere Handhabung von Ausländern in Übereinstimmung mit den Bundesvorschriften zu gewährleisten. In dem Schreiben ist von der Unterstützung von Inhaftierung, Verarbeitung und Abschiebung im gesamten Ballungsraum Chicago die Rede. Wörtlich heißt es, das Ziel sei die zügige Umsetzung der präsidentiellen Weisungen zum Schutz des amerikanischen Volkes vor Invasion, ausländischen Terroristen und anderen nationalen Sicherheits- und öffentlichen Sicherheitsbedrohungen. Juristisch beruft sich das DHS auf vier Erlasse, die Trump am 20. Januar 2025 unterzeichnete: Executive Order 14167, die die Rolle des Militärs beim Schutz der territorialen Integrität der Vereinigten Staaten neu definiert, Präsidiale Proklamation 10886, die einen nationalen Notstand an der Südgrenze der Vereinigten Staaten ausruft, Präsidiale Proklamation 10888, die den Schutz der Bundesstaaten vor Invasion garantiert, und Executive Order 14165 mit dem Titel Securing Our Borders. Diese Rechtsgrundlagen, ursprünglich für Grenzschutz und nationale Krisenszenarien geschaffen, werden nun als Rechtfertigung herangezogen, um eine Stadt im Landesinneren unter massiven Bundesdruck zu setzen.

Das bedeutet: Chicago steht vor einer anhaltenden, militärisch anmutenden Operation. Aktivisten, Kirchengemeinden und Schulen bereiten sich auf Hausdurchsuchungen und Massenverhaftungen vor, viele verschieben Feste und Veranstaltungen, darunter das große mexikanische Unabhängigkeitsfest in der Innenstadt. Für tausende Menschen ohne gültige Papiere ist die Angst allgegenwärtig. Sie wissen, dass eine einzige Straßenkontrolle ihr Leben zerstören kann. Die politische Dimension ist gewaltig. Gouverneur JB Pritzker reagierte mit scharfen Worten: „Der Präsident der Vereinigten Staaten droht, gegen eine amerikanische Stadt Krieg zu führen. Das ist kein Scherz. Das ist nicht normal.“ Bürgermeister Brandon Johnson sprach von einem Angriff auf die Demokratie selbst: „Die Realität ist, dass er unsere Stadt besetzen und unsere Verfassung brechen will.“ Beide kündigen Klagen gegen die Bundesregierung an.
Juristisch ist die Lage heikel. Erst in dieser Woche urteilte ein Bundesgericht in Kalifornien, dass der Einsatz von Nationalgarde und US-Marines in Los Angeles gegen das Posse-Comitatus-Gesetz verstieß, das den Einsatz des Militärs im Inneren verbietet. Dass nun ausgerechnet eine Marinebasis zur Schaltzentrale für ICE-Razzien wird, unterstreicht, wie weit die Regierung bereit ist zu gehen. Unsere Recherchen belegen, dass die Operation nicht nur der Abschiebung verurteilter Straftäter dient, sondern flächendeckende Überprüfungen in ganzen Vierteln vorsieht – Operation Community Sweep, wie es in der Verwaltungsmitteilung heißt. Das Ziel: maximaler Druck, um Menschen ohne Papiere zur Selbstabschiebung zu bewegen. Bürgerrechtsorganisationen sprechen von staatlich organisierter Einschüchterung.


Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen sind bereits spürbar. Restaurants in Latino-Vierteln berichten von Einbrüchen um bis zu 40 Prozent, weil Gäste aus Angst zu Hause bleiben. Schulen verzeichnen steigende Fehlzeiten, Lehrer erzählen von Kindern, die morgens nicht in den Unterricht kommen, weil ihre Eltern fürchten, dass ICE vor der Tür steht. Kliniken melden weniger Patientinnen und Patienten, weil Menschen ohne Versicherung das Risiko meiden, sich registrieren zu lassen. Und kleine Betriebe, die auf Arbeitskräfte ohne Papiere angewiesen sind, stehen vor der Schließung. In den Supermärkten bleibt Gemüse liegen, weil Landarbeiter fehlen – ein wirtschaftlicher Schock, der weit über Chicago hinaus zu spüren sein wird.

Die Bilder aus Chicago am Labor Day haben gezeigt, dass der Widerstand wächst: Hunderte blockierten ein ICE-Verarbeitungszentrum, Gewerkschaften und Kirchen riefen zu friedlichen Protesten auf. Doch die Angst bleibt, dass jede Eskalation Trump einen Vorwand liefern könnte, die Nationalgarde einzusetzen – eine Drohung, die er selbst wiederholt ausgesprochen hat. Für uns als Journalisten ist klar: Diese Operation ist ein Stresstest für die amerikanische Demokratie. Hier geht es nicht nur um Migration, hier geht es um das Verhältnis zwischen Regierung und Bürgern, um die Frage, ob ein Präsident mit militärischen Mitteln Städte gefügig machen darf. Die Entscheidung, eine Marinebasis als Einsatzzentrale zu nutzen, ist ein symbolischer Schritt: Die Grenze verläuft nicht mehr nur am Rio Grande, sie verläuft mitten durch Chicago. Dass wir diese Informationen überhaupt öffentlich machen können, ist Ergebnis mühsamer Recherche, anonymer Quellen und Menschen, die bereit sind, ein Risiko einzugehen.

Aber genau deshalb ist unabhängiger Journalismus so wichtig, und er braucht Unterstützung. Wenn wir diese Geschichten nicht erzählen, wenn wir nicht dokumentieren, wie weit eine Regierung bereit ist zu gehen, dann schweigen wir zu einem schleichenden Ausnahmezustand. Chicago wird in den kommenden Wochen zur Bühne eines autoritären Experiments, und gleichzeitig läuft der Wettlauf gegen die Zeit, um honduranische Kinder vor Trumps Abschiebungen zu retten – siehe Link unter: https://kaizen-blog.org/wettlauf-gegen-die-zeit-alle-kaempfen-um-honduranische-kinder-vor-trumps-abschiebungen-zu-retten/ dokumentieren. Es wird wieder eine sehr harte Woche, voller Recherchen, Unterlagen sortieren und nächtlicher Telefonate mit Anwälten und Aktivisten, aber man stellt sich diesen Kämpfen, weil sie nicht nur für Amerika wichtig sind, sondern für die Grundidee einer freien, humanen Gesellschaft. Jede gewonnene Stunde kann darüber entscheiden, ob ein Kind in einem Flugzeug nach Tegucigalpa sitzt oder in Sicherheit bleibt. Und genau deshalb dürfen wir nicht wegsehen, nicht verstummen, nicht abstumpfen. Was in Chicago geschieht, was an den Flughäfen und in den Gerichten geschieht, geht uns alle an – und ob die Demokratie dem standhält, hängt davon ab, wie genau wir hinschauen und wie laut wir widersprechen, überall auf dieser Welt.
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Bravo. Ich bin leider arbeitslos, sonst hätte ich euch schon lange unterstützt.
ich danke dir und viel glück, das du schnell wieder einen job bekommst. dafür kämpfen wir auch, dass trotz aller kosten, wir diese berichterstattung jedem zugänglich machen können, weil wir finden das es wichtig ist und es betrifft jeden, ob arm oder reich …
Wenn Honduras Kinder gerettet sind, macht Euch bitte nochmal zur eigenen Unterstützung und der Angebote im Support Gedanken.
Ich selber habe Zugang zu einer Kreditkarte, gerade Menschen mit weniger Geld spenden gerne ab und an, oft mehr als gutsituierte aus Mildtätigkeit oder besserem Verständnis.
Mir ist klar, warum ihr kein Paypal anbietet, aber selbst Greenpeace tut das. Schaue Dir mal die aktuelle Werbung von Greenpeace gegen Edeka an und scroll mal runter zu den Möglichkeiten von Spenden und Mitgliedschaft. Fördermitgliedschaft oder einzelne Spenden.
Ist nur mal eine Anregung. Du kennst mich ja ein wenig, wo ein Wille ist, ist ein Gebüsch. Und meine Ausreden für manches kenne ich auch.
ich danke dir, ja Paypal kannst du nachvollziehen, wegen Thiel, die Bankanbindung machen wir, wir haben eine englische IBAN und da ist aktuell leider das Problem, das Banken aus Deutschland oder Österreich das nicht als SEPA-Zahlung mehr ausführen, teilweise gar nicht mehr, obwohl England SEPA-Raum ist. Wenn sie überweisen, dann mit extrem hohen Kosten, wie eine Auslandszahlung. Du siehst, wieder ein Problem was wir noch lösen müssen…
Chicago gilt auch als größte polnische Stadt außerhalb von Polen. Je nachdem was da jetzt für eine Schei**e passiert, bin ich gespannt, ob die polnische Regierung offiziell Stellung bezieht.
👍
Illinois und „mitten drin“ Chicago sind wie Los Angeles, New York City, Baltimore demokratische Hochburgen.
Und Trump weiß genau, wenn er die bricht, hat er über die anderen (demokratischen) Staaten freie Hand.
Wenn das nicht klappt, dann wird halt ein gewalttätiger Aufstand inszeniert, welcher den Einsatz der Nationalgarde und des Militärs „legitimiert“.
Drittes Reich 2.0 ist auf dem Weg.
Und auf der anderen Seite des Globus wird die Allianz Putin, Xi, Kim und auch Modi immer enter.
Mitten drin all die Menschen, die von diesen Systemen bedroht sind.
Frauen und Kinder besonders.
Dazu dann die vielen Schicksale, wie Kilmar
Ihr müsst viel ertragen, da ihr immer wieder in die Fratze des absolut Lösen schaut.
Passt auf Euch auf.
das machen wir und vielen, vielen dank