In Monrovia, wenige Kilometer östlich von Los Angeles, haben Tagelöhner und ihre Unterstützer etwas getan, das zugleich leise und unübersehbar war. Sie zogen in die Home-Depot-Filiale, kauften einen einzigen 17-Cent-Ceranfeld-Kratzer – dieses kleine Werkzeug, das sonst niemand beachtet – brachten ihn zur Kasse, gaben ihn zurück und stellten sich wieder an. Immer wieder, stundenlang. Eine endlose Schleife aus Kauf, Rückgabe und erneutem Kauf, die den Betrieb ausbremste und eine Botschaft sendete, die man nicht überhören konnte: Home Depot soll aufhören, Schauplatz für ICE-Einsätze zu sein. Der Ceranfeld-Kratzer wurde bewusst gewählt. Ein Billigartikel, der fast nichts kostet, aber reicht, um ein großes System ins Stocken zu bringen. Er steht für Arbeit, für die kleinen Handgriffe, von denen alles abhängt, und die im Alltag trotzdem kaum jemand wahrnimmt. „Wir wollen ICE aus unseren Gemeinschaften kratzen“, sagte Organisatorin Erika Andiola. Der Satz traf genau den Nerv des Tages – präzise, wütend und geprägt von einer Trauer, die Monrovia seit dem Tod von Carlos Roberto Montoya Valdez nicht mehr verlassen hat. Er starb im August, als er vor einem ICE-Einsatz am selben Home-Depot-Standort fliehen wollte, über die 210-Highway rannte und von einem SUV erfasst wurde.
Während draußen Trommeln auf den orangefarbenen Home-Depot-Eimern hallten, zogen drinnen Hunderte durch die Gänge. Einige trugen selbstgebastelte Schürzen mit der Aufschrift „ICE out of Home Depot“. Andere hielten Fotos von Menschen hoch, die in diesem Jahr bei ICE-Einsätzen gestorben sind. Vor der Filiale standen zwei Altäre, geschmückt mit insgesamt 48 weißen Kreuzen. Geistliche aus Pasadena und Altadena erinnerten daran, dass die Region gerade erst von einem der schwersten Brände getroffen wurde – und dass die Wiederaufbauarbeit ohne Tagelöhner unmöglich wäre.
Home Depot schickte eine schriftliche Erklärung: Man koordiniere nicht mit ICE, wisse oft nicht einmal, dass Einsätze stattgefunden hätten, bis sie vorbei seien. Doch in Monrovia glaubt das kaum noch jemand. Zu viele ICE-Fahrzeuge standen in den vergangenen Monaten auf Parkplätzen, auf denen Tagelöhner Arbeit suchten. Zu viele Männer verschwanden spurlos, nachdem sie nur versucht hatten, ihre Familien zu ernähren. „Ob der Konzern das zugibt oder nicht – diese Parkplätze sind zu Orten geworden, an denen Menschen Angst haben“, sagte Pablo Alvarado von NDLON, dem Netzwerk, das den Protest organisierte. Der „Buy-in“ hatte ein doppeltes Ziel: Den Betrieb zu stören – und sichtbar zu machen, wie sehr Tagelöhner selbst zum Kundenstamm beitragen. Viele von ihnen kaufen Werkzeuge im Laden, erledigen Reparaturen für Kunden, die sie vor dem Eingang ansprechen, und halten damit einen Teil der lokalen Wirtschaft am Laufen. Gleichzeitig sind sie es, die bei ICE-Einsätzen als Erste ins Visier geraten.
An diesem Tag musste Home Depot einen Eingangsbereich schließen. Autos kamen nicht mehr bis zur Tür vor. Kunden blieben stehen, fragten nach, hörten zu. Und plötzlich wurde sichtbar, dass ein 17-Cent-Ceranfeld-Kratzer ausreicht, um einen Konzern ins Grübeln zu bringen, wenn genug Menschen ihn gleichzeitig in der Hand halten. Der Protest war erst der Anfang. Weitere Filialen in Kalifornien planen ähnliche Aktionen. Die Botschaft bleibt klar: Wer auf diesen Parkplätzen sein Geld verdient, hat ein Recht darauf, nicht behandelt zu werden wie eine Gefahr. Und wenn ICE meint, Jagdszenen zwischen Werkzeugregalen und Ausfahrten austragen zu können, dann müssen auch große Unternehmen begreifen, dass Schweigen keine Option mehr ist.
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