Der Tag, an dem Trumps „geniale“ Politik die Wall Street einholte

VonRainer Hofmann

November 13, 2025

New York erlebte an diesem Donnerstag jenen Moment, an dem die Finanzmärkte aufhörten, sich selbst zu belügen. Ein Tag, an dem die Fantasie über die unendliche Macht künstlicher Intelligenz mit voller Wucht auf die Wirklichkeit prallte – und Donald Trumps wirtschaftspolitische Eskapaden die Wall Street endgültig erreichten.

Die Indizes gaben deutlich nach. Der S&P 500 fiel um 1,7 Prozent und rückte damit weiter von seinem Rekordhoch ab. Der Dow brach um fast 800 Punkte ein, die Nasdaq verlor 2,3 Prozent. Es war der schwächste Handelstag seit einem Monat und – nach dem Rückschlag im April, der durch Trumps „Liberation Day“-Zölle ausgelöst wurde – der zweitschlechteste des gesamten Frühjahrs.

Im Zentrum des Bebens stand Nvidia, jene Ikone der KI-Hoffnung, die seit Monaten wie ein Gravitationszentrum für jeden Traum vom neuen Goldrausch wirkte. Jetzt verlor die Aktie 4,2 Prozent und riss gleich mehrere Mitläufer des KI-Rauschs mit sich: Super Micro Computer stürzte um mehr als sieben Prozent ab, Palantir um fast ebenso viel, Broadcom um fünf Prozent. Es war die Rückkehr der Zweifel, jener unscheinbaren, aber tödlichen Größe, die Anleger gern verdrängen, solange die Kurse steigen. Doch selbst in den aufgeräumten Handelssälen der New Yorker Börse stellte sich die Frage: Wie weit kann man eine Geschichte aufblasen, bevor sie platzt? Der Vergleich mit der Dotcom-Blase des Jahres 2000 schien plötzlich nicht mehr wie ein müder Warnhinweis, sondern wie ein Déjà-vu aus der Zukunft. Die Parallelen lagen offen zutage: Kurse, die sich von ihren Fundamenten lösen; Hoffnung, die als Ersatz für Gewinn fungiert; eine Euphorie, die nur solange trägt, wie niemand versucht, ihre Tragfähigkeit zu prüfen.

Gleichzeitig bröckelte der zweite Baustein jener Erzählung, auf die sich die Börse seit Monaten gestützt hatte: die Erwartung weiterer Zinssenkungen. Dass die Federal Reserve ihre Lockerungspolitik fortsetzen würde, galt in vielen Strategiepapiere als quasi gesichert. Doch nun sank die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Zinsschrittes im Dezember innerhalb einer Woche von 70 auf knapp 50 Prozent. Der Grund: die wochenlange staatliche Lähmung durch den Shutdown, die zahlreiche makroökonomische Daten verzögert hat und die Notenbank seither im Blindflug zurückließ. Fed-Vertreterinnen wie Susan Collins machten deutlich, dass das Gerede über eine rasche Fortsetzung der Zinssenkungen Wunschdenken sein könnte. Collins sprach sogar davon, dass stabile Zinsen „für einige Zeit“ angemessen seien – eine Kehrtwende, die an den Märkten wirkte wie das Öffnen eines Fensters mitten im Winter. So trafen zwei Strömungen zusammen: die Überhitzung der KI-Stars und das Schrumpfen jener Hoffnungen, die den Markt zuletzt getragen hatten. Auf den Handelstischen der Wall Street zeigte sich das in fallenden Kursen weit über den Technologiesektor hinaus. Disney verlor mehr als acht Prozent nach enttäuschenden Umsätzen, selbst wenn der Gewinn besser ausfiel. Cisco hingegen legte zu, doch diese Gegenbewegung wirkte an diesem Tag wie eine Randnotiz am Rande eines Sturms. Berkshire Hathaway, stets ein Indikator für Warren Buffetts Skepsis, legte leicht zu – ein Hinweis darauf, dass selbst die geduldigsten Investoren riechen konnten, dass die Euphorie einen Preis haben wird.

Währenddessen kletterten die Renditen am Anleihemarkt: Die zehnjährige Staatsanleihe stieg auf 4,11 Prozent und erhöhte damit den Druck auf Aktien. Auch international zeigten die Märkte leichte Schwäche, obwohl der Nikkei zulegte – getragen von Kräften, die eher regionale als globale Signale darstellen. Mitten in diesem Chaos mischt sich ein unausgesprochenes Gefühl in den Stimmen der Börsenhändler: Dass dieser Tag erst der Anfang sein könnte. Die verzögerten Konjunkturdaten, die jetzt nach und nach veröffentlicht werden, könnten weitere Volatilität auslösen. Und wenn die Fed tatsächlich innehält, wird der Markt beweisen müssen, ob er ohne diese stützende Erzählung noch eine Richtung kennt.

Was bleibt, ist ein Tag, an dem Trumps selbstbewusste Behauptung, seine Wirtschaftspolitik sei ein Geschenk an die Märkte, erstmals durch die Realität beantwortet wurde. Ein Tag, an dem die Wall Street nicht mehr flüchten konnte in die Illusion, dass Zölle, Shutdowns, institutionelle Unsicherheit und politisches Chaos folgenlos bleiben. Ein Tag, an dem die Märkte so fielen, wie ein überreiztes System fällt: nicht sofort, aber unbarmherzig

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Frank
Frank
12 Stunden zuvor

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Bea Ganell
Bea Ganell
10 Stunden zuvor

Der schafft sie alle, dieser kranke Mann.

Helga M.
Helga M.
1 Stunde zuvor

Von nichts kommt nichts.

Patricia Lösche
Patricia Lösche
1 Stunde zuvor

Gut so. Die, die hinter der Blase stehen, gehören zu denen, die die gegenwärtige Politik ermöglichen.

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