Der sichtbare Bruch – Wie sich die MAGA-Bewegung auf offener Bühne selbst zerlegt

VonRainer Hofmann

Dezember 20, 2025

Was als Gedenkveranstaltung für Charlie Kirk gedacht war, entwickelte sich in Phoenix zu einer schonungslosen Abrechnung innerhalb der amerikanischen Rechten. Auf der AmericaFest-Konferenz von Turning Point USA, einer der wichtigsten Bühnen des rechtskonservativen Nachwuchses, brach ein Konflikt offen aus, der seit Monaten unter der Oberfläche schwelt: der Streit darüber, was „America First“ nach Donald Trump überhaupt noch bedeuten soll – und wer das Erbe dieser Bewegung kontrolliert.

Ausgerechnet an dem Ort, an dem Kirk als verbindende Figur geehrt werden sollte, dominierten persönliche Angriffe, offene Feindseligkeit und ideologische Grenzziehungen. Ben Shapiro eröffnete den Schlagabtausch mit einer scharfen Attacke auf Tucker Carlson und andere prominente Stimmen der Szene. Er warf ihnen vor, ihr Publikum gezielt mit Falschbehauptungen und Verschwörungserzählungen zu täuschen. Besonders deutlich wurde Shapiro beim Thema Nick Fuentes, einem bekannten Antisemiten, den Carlson zuvor in seinem Podcast interviewt hatte. Dass man einer solchen Figur eine Bühne gebe, sei – so Shapiro – moralisch nicht zu rechtfertigen. Die Entscheidung, Fuentes aufzuwerten, nannte er einen Akt grober Verantwortungslosigkeit.

Keine Stunde später stand Carlson selbst auf derselben Bühne und konterte mit Spott. Shapiros Forderungen nach Ausgrenzung Andersdenkender seien das genaue Gegenteil dessen, wofür Charlie Kirk gestanden habe. Er habe die Rede verfolgt, sagte Carlson, und herzlich gelacht. Der Versuch, Menschen mundtot zu machen, sei lächerlich – gerade auf einer Veranstaltung, die sich der offenen Debatte verschrieben habe.

Ben Shapiro gehört zu den einflussreichsten und zugleich umstrittensten Stimmen des amerikanischen Konservatismus. Als Mitgründer der Medienplattform The Daily Wire hat er sich ein eigenes publizistisches Machtzentrum aufgebaut, das weit über klassische Kommentarformate hinausreicht und gezielt politische Deutungshoheit beansprucht. Shapiro inszeniert sich als rationaler Gegenpol zu populistischen und verschwörungsoffenen Strömungen der Rechten, verteidigt einen strikt ideologischen Konservatismus und eine kompromisslose Pro-Israel-Linie. Kritiker innerhalb der MAGA werfen ihm vor, weniger an Debatte als an Kontrolle interessiert zu sein, Allianzen strategisch zu nutzen und innerparteiliche Gegner öffentlich zu delegitimieren. Gerade in der aktuellen Auseinandersetzung um die Zukunft der MAGA-Bewegung steht Shapiro exemplarisch für einen Machtkampf, in dem es nicht mehr um Programmatik, sondern um Einfluss, Reichweite und die Frage geht, wer das konservative Lager nach Trump prägen soll.

Der Tonfall des Abends machte deutlich, wie tief die Gräben inzwischen sind. Hinter der persönlichen Fehde verbirgt sich ein grundlegender Richtungsstreit: Soll die MAGA-Bewegung nach Trump stärker ideologisch definiert werden – oder bleibt sie ein loses Machtprojekt, zusammengehalten vor allem durch Loyalität zur Person des Präsidenten? Die Bitterkeit der Wortmeldungen ließ keinen Zweifel daran, dass diese Frage bislang unbeantwortet ist.

Steve Bannon: Ben Shapiro ist wie ein Krebsgeschwür, und dieser Krebs breitet sich aus. Es ist Krebs, und er metastasiert. Er hat versucht, Breitbart zu übernehmen, und ich habe ihn dort rausgedrängt. Er hat versucht, David Horowitz zu vereinnahmen, der sein Mentor war. Merkt euch meine Worte: Er wird auch bei Turning Point einen Vorstoß machen, weil er immer neidisch auf Charlie Kirk gewesen ist.

Dabei geht es nicht um Meinungsfreiheit. Es geht nicht um De-Plattformierung. Es geht um Machtpolitik und um das, woran Charlie Kirk im Innersten geglaubt hat: dass Amerika Entscheidungen für Amerika trifft – und dass Amerikaner Entscheidungen für Amerika treffen. Das war Charlie Kirk.“

Erika Kirk, Witwe des im September ermordeten Turning-Point-Gründers und neue Leiterin der Organisation, warnte in ihrer Eröffnungsrede eindringlich vor genau diesen Zerwürfnissen. Seit dem Attentat habe sie erlebt, wie Brücken eingerissen wurden, die nie hätten zerstört werden dürfen. Ihre Worte wirkten wie ein verzweifelter Versuch, Ordnung in ein Lager zu bringen, das sich zunehmend selbst bekämpft.

Der Mord an Charlie Kirk bildet den düsteren Hintergrund der gesamten Konferenz. Der mutmaßliche Täter, der 22-jährige Tyler Robinson, gab bislang kein Schuldbekenntnis vor Gericht ab, obwohl außer Frage steht, dass er der Täter ist. Ermittler berichten, er habe seinem engsten Umfeld gesagt, er habe Kirk getötet, weil er dessen Hass nicht mehr ertragen habe. Diese Tat hängt wie ein Schatten über der Veranstaltung – und wird zugleich von einigen für eigene Zwecke instrumentalisiert. Denn zusätzlich zu den offenen Machtkämpfen wird Turning Point von Verschwörungserzählungen erschüttert. Candace Owens, frühere Mitarbeiterin der Organisation und heute erfolgreiche Podcasterin, behauptet ohne Belege, israelische Geheimdienste könnten in den Mord an Kirk verwickelt sein und sein Umfeld habe ihn verraten. Die Behörden widersprechen klar und gehen von einem Einzeltäter aus.

„Candace Owens, eine rechte Verschwörungstheoretikerin und ehemalige Mitarbeiterin von Turning Point, behauptete in der Sendung von Piers Morgan, Israel habe ein Motiv gehabt, Charlie Kirk zu ermorden. Sie sagte, man habe ihn töten wollen, weil er gefordert habe, dass AIPAC als ausländischer Agent registriert wird.“

Erika Kirk reagierte darauf ungewöhnlich deutlich. Auf die Frage nach diesen Behauptungen sagte sie nur ein Wort: Schluss. Owens, so Kirk, verdiene Geld mit der Tragödie ihrer Familie, gefährde ein faires Verfahren und spiele dem Täter in die Hände. Ein kurzzeitiger Waffenstillstand zwischen beiden hielt nur wenige Tage. Nach einem mehrstündigen Treffen erklärte Owens öffentlich, sie glaube weiterhin nicht an einen Alleintäter – und legte nach, indem sie Shapiro unterstellte, ausschließlich israelische Interessen zu vertreten.

Erika Kirk eröffnete die Turning Point USA in Phoenix mit einer Ehrung für ihren erschossenen Ehemann Charlie Kirk

Diese Eskalation legt einen weiteren Riss offen: den Umgang der Rechten mit Antisemitismus und mit Israels Krieg in Gaza. Während Shapiro vor einer gefährlichen Verharmlosung judenfeindlicher Positionen warnt, relativiert Carlson das Problem und behauptet, Vorurteile gegen weiße Männer seien weiter verbreitet und schädlicher. Gleichzeitig kritisiert er Israels Militäreinsätze scharf und sagt, es sei immer unmoralisch, unschuldige Kinder zu töten – egal ob in einer amerikanischen Stadt oder in Gaza.

Tucker Carlson – nutzt gezielt Angst, Misstrauen und Ressentiments, um sein Publikum gegen Minderheiten, Medien und demokratische Institutionen aufzubringen. Er gibt extremen Positionen Reichweite, ohne Verantwortung zu übernehmen, und tarnt Ideologie als angebliche Fragen oder Zweifel. Sein Einfluss besteht nicht darin, aufzuklären, sondern darin, Radikalisierung als legitime Meinung erscheinen zu lassen. Ein armer Irrer würde ihn humorvoll am besten beschreiben.

Carlson weist die Vorstellung eines Bürgerkriegs innerhalb der Trump-Koalition zurück. Das Gerede über Spannungen sei künstlich erzeugt, sagt er, um zu verhindern, dass Vizepräsident JD Vance zum nächsten starken Mann der Republikaner aufsteigt. In Wahrheit gehe es nur um eine Frage: Wer übernimmt die politische Maschinerie, wenn Trump die Bühne verlässt?

Trotz all dieser Konflikte zieht die Konferenz weiterhin Tausende an. In den Hallen mischen sich patriotische Symbole, religiöse Gruppen, politische Aktivisten und Sicherheitsbehörden. Podcaster senden live aus den Fluren, christliche Colleges werben um Studierende, Abtreibungsgegner um Unterstützer. Selbst ICE und Grenzschutz sind präsent – inklusive eines gepanzerten Fahrzeugs, das durch die Ausstellungshalle rollt. Viele Besucher tragen MAGA-Kappen, posieren vor Schildern mit der Aufschrift „Wir sind alle Charlie Kirk“ und sprechen von Pflichtgefühl, hier zu sein. Doch hinter dieser Fassade aus Gemeinschaft und Loyalität wird sichtbar, wie brüchig das Fundament der Bewegung geworden ist.

Was Phoenix bisher zeigte, ist mehr als ein Streit unter Influencern. Es ist ein offener Machtkampf um Richtung, Deutung und Zukunft der amerikanischen Rechten – ausgetragen auf einer Bühne, die eigentlich Einheit demonstrieren sollte, sagt viel über den Zustand einer Bewegung, die sich selbst nicht mehr einig ist, wofür sie stehen will. Turning Point USA lebt, wie AFD in Deutschland, nicht von Ideen, sondern vom systematischen Schüren von Hass, vom Markieren von Feinden und davon, gesellschaftliche Konflikte immer weiter zu vergiften. Der jetzige interne Streit um Macht, Ausrichtung und öffentliches Ansehen trifft die Organisation dort, wo sie am verwundbarsten ist, und es ist zu hoffen, dass er ihr weiter schadet. Vielleicht endet dieser Zerfall genau dort, wo Turning Point herkommt: in dem Loch, aus dem sie einst nach oben gekrochen sind.

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Ela Gatto
10 Stunden zuvor

Danke für diesen Bericht.
Hier in Deutschland hört man dazu ja leider gar nichts. Obwohl das ein wichtiges Thema ist.

Kirk, egal ob man ihm zustimmt, hatte Charisma. Davon lebt(e ?) Turning Point.
Die Basis kommt (noch) um Kirk zu ehren.
Aber wie lange wird dieser Kirk-Kult anhalten?

Es ist auch interessant, dass jetzt, wo Trump noch kein Jahr im Amt ist, schon darüber nachgedacht wird, wie Turning Point sich nach Trump ausrichten will.
Gehen sie von einem vorzeitigen Ende von Trump aus?
Wollen sich alle machtgeilen Rechte in Position bringen?

Trump ist extrem Israel-freundlich und hat sich selber vor ein paar Tagen als jüdischten Präsidenten alle Zeiten bezeichnet.
Islamophobie und der unsägliche Antisemitismus sind doch Trumps Hauptargumente gegen die Universitäten, Studenten- und arbeits Visa.

Turning Point hat viele Antisemiten. Das wird spannend.

Ich hoffe auch so sehr, dass die sich in ihrem Hass selber zerlegen.

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