Der brennende Punkt von Belém – Wie die Welt am Ausstieg aus den fossilen Energien zerbricht

VonRainer Hofmann

November 14, 2025

Belém, Brasilien – Belém ist dieser Tage nicht nur das Tor zum Amazonas, sondern der Ort, an dem sich entscheidet, ob die Welt bereit ist, ihre eigene Zukunft ernst zu nehmen. Zwei Jahre nach dem historischen Dubai-Beschluss, der erstmals den globalen Abschied von Kohle, Öl und Gas in ein gemeinsames Dokument schrieb, versucht eine breite Staatengruppe auf der COP30, den nächsten Schritt zu erzwingen. Und zum ersten Mal seit Langem scheint die Politik einen Funken Mut zu zeigen. Ausgelöst hat den neuen Schwung niemand Geringerer als Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der wenige Tage vor Beginn der Verhandlungen ein klares – und völlig unerwartetes – Zeichen setzte. Seine Forderung, die globale Abhängigkeit von fossilen Energien „wirklich zu überwinden“, hat Ländern aus Europa, Afrika, Lateinamerika und dem Pazifik den Rücken gestärkt. Frankreich, Deutschland, Kenia und Kolumbien treiben hinter den Kulissen den Versuch voran, den Ausstiegspfad in das offizielle Verhandlungspaket zu pressen – auch wenn er formell gar nicht auf der Agenda steht.

Es geht um mehr als Worte. Die Initiatoren wollen eine Konsensentscheidung aller knapp 200 Staaten, kein unverbindliches Papier von bereits Überzeugten. Sie sprechen inzwischen von einem Kreis von 50 bis 60 Unterstützern – und sie wollen ihn auf 100 erweitern. Ihr Ziel ist klar: die historische Formulierung von 2023, den Übergang „in gerechter, geordneter und fairer Weise einzuleiten“, endlich mit Leben zu füllen. Zahlen, Daten, Pläne – etwas, das überprüfbar ist. Etwas, woran man Länder messen kann.

Indigene Führungspersönlichkeiten und Demonstrierende besetzen die Blue Zone der COP30

Doch jeder Schritt nach vorn wirft sofort Schatten. Saudi-Arabien blockiert kompromisslos, Russland verspottet die Idee als Luxusproblem reicher Nationen, und in mehreren Verhandlungsräumen versuchen ölproduzierende Staaten, jede Erwähnung von fossilen Energien aus neuen Beschlüssen herauszuhalten. Rund 70 Länder sollen grundsätzlich dagegen sein, überhaupt weiterzugehen als der Dubai-Konsens. Und Brasiliens Gastgeberrolle ist selbst voller Widersprüche: Erst wenige Tage vor Gipfelbeginn gab die Regierung grünes Licht für ein neues Ölprojekt an der Amazonas-Mündung.

Indigene Führungspersönlichkeiten und Demonstrierende besetzen die Blue Zone der COP30

In diesen ohnehin angespannten Tagen erreichte Belém einen Moment, der den Gipfel ins Mark traf. Am Nachmittag durchbrachen indigene Führungspersönlichkeiten und Klimaaktivistinnen die sterile Architektur der Konferenz und besetzten die Blue Zone – den streng kontrollierten Kern der COP, an dem normalerweise nur akkreditierte Delegierte vorbeikommen. Mit Bannern, Gesängen und Zeremonien forderten sie ein sofortiges Ende neuer Öl- und Gasprojekte, besonders im Amazonasraum, und warfen den Verhandlern vor, den Schutz indigener Territorien erneut dem diplomatischen Feilschen zu opfern. Dutzende Gruppen aus Brasilien, Kolumbien und mehreren Inselstaaten nahmen teil. Für kurze Zeit wurden Zugänge geschlossen, die Delegationen mussten Umwege gehen, und die sterile Ruhe des Verhandlungsbetriebs war plötzlich vorbei. Es war ein Moment, in dem sichtbar wurde, wie dünn die Geduld jener geworden ist, die an vorderster Front unter Dürren, Überschwemmungen und dem Verlust ihrer Lebensräume leiden.

Indigene Führungspersönlichkeiten und Demonstrierende besetzen die Blue Zone der COP30

Belém zeigt in diesen Tagen, was auf dem Spiel steht: die Glaubwürdigkeit eines globalen Prozesses, der seit Jahrzehnten verspricht, die Klimakrise ernst zu nehmen, und doch immer wieder an den Interessen jener scheitert, die am alten System festhalten. Ob aus Bequemlichkeit, Berechnung oder nackter wirtschaftlicher Angst – es sind die gleichen Kräfte, die jeden Fortschritt in Dubai verwässerten und nun mit aller Macht verhindern wollen, dass der Ausstieg aus den fossilen Energien von einer Idee zu einer Verpflichtung wird.

Die Welt ist nicht an einem Punkt des Überflusses angekommen, an dem sie sich solche Verzögerungen noch leisten kann. Und die Menschen von Belém, deren Flüsse, Böden und Wälder längst die Rechnung der globalen Untätigkeit tragen, wissen das besser als die meisten. Die Frage dieser COP ist nicht, ob ein Fahrplan verhandelt werden kann. Die Frage ist, ob die Staatengemeinschaft den Mut findet, die fossile Ära nicht nur rhetorisch zu beenden – sondern tatsächlich damit anzufangen.

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Oliver Sturm
Oliver Sturm
5 Stunden zuvor

Danke für den Bericht. In Deutschland erfährt man kaum etwas darüber. Schön, das es den Kaizen Blog gibt.

Helga M.
Helga M.
1 Stunde zuvor

So toll und mutig, dass sich diese Menschen beginnen zu wehren❤️👍. Ich würde gern auch deutlich mehr davon erfahren.

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