Die vielleicht gefährlichste aufkommende rechtsradikale Bedrohung für Kinder in Deutschland
In einer digitalen Welt, in der Kinder und Jugendliche längst selbstverständlich auf Plattformen wie Discord, Roblox oder Telegram unterwegs sind, breitet sich nahezu unbeachtet ein Netzwerk aus, dessen Gefahrenpotenzial kaum zu ermessen ist: das Netzwerk „764“. Es kombiniert rechtsextreme Ideologie, satanistische Symbolik, sexualisierte Gewalt und terroristische Zielsetzungen zu einer toxischen Melange, deren Wirkung sich weltweit entfaltet – zunehmend auch in Deutschland.
Ursprung und Ideologie
Gegründet wurde das Netzwerk im Jahr 2020 vom damals 15-jährigen Texaner Bradley Chance Cadenhead, der online unter den Pseudonymen „Felix“ und „Brad764“ operierte. Die Namensgebung „764“ geht auf seine Postleitzahl in Stephenville, Texas, zurück. Cadenhead wurde 2023 zu 80 Jahren Haft verurteilt, u. a. wegen Besitzes und Verbreitung von kinderpornographischem Material.
Ideologisch orientiert sich „764“ an der Order of Nine Angles (O9A), einem neonazistischen, okkultistischen Kult mit Wurzeln im britischen Satanismus der 1970er-Jahre. Diese Organisation propagiert Gewalt, Rassismus, Misogynie und den gezielten Kollaps westlicher Demokratien durch Terror, sexuelle Ausbeutung und Chaos. Der „esoterische Nationalsozialismus“ wird dabei mit sadistischen Ritualen, „Selbsterhebung durch Gewalt“ und einer „Heroisierung des Bösen“ verbunden. „764“ transferiert dieses Weltbild in den digitalen Raum und verknüpft es mit populären Gaming-Plattformen und Messenger-Diensten.
„764“ operiert dezentral und ist stark fragmentiert. Die Mitglieder sind international vernetzt, anonymisiert und oftmals minderjährig. Die Gruppe agiert auf Plattformen wie
Discord, Telegram, Roblox, Minecraft,
aber auch in Teilen des Darknets. Kommunikation erfolgt meist in verschlüsselten Räumen. Der Rekrutierungsprozess richtet sich gezielt an Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 9 und 17 Jahren, oft mit psychischen Erkrankungen oder schwierigen sozialen Verhältnissen.
Zentrale Methoden:
Sextortion: Erpressung mit Nacktbildern oder intimen Informationen
Self-harm challenges: Aufforderungen zur Selbstverletzung, oft mit Carving von Usernamen
Livestream-Suizide: Anstiftung zur Selbsttötung vor laufender Kamera
Sadistische Prüfungen: Zerstörung von Haustieren oder Angriff auf Familienmitglieder als Loyalitätsbeweise
Fallanalysen
Richard Densmore (USA)
Ein 47-jähriger Veteran aus Michigan, verurteilt zu 30 Jahren Haft wegen sexueller Ausbeutung von Kindern. Betrieben wurde von ihm u. a. der Discord-Server „S3wer“. Densmore zwang Kinder dazu, sich selbst zu verstümmeln, und archivierte „Trophäen“ in Form von Bildern.
Jack Rocker (Tampa, Florida)
19 Jahre alt, verurteilt zu 84 Monaten Haft. Besitz von über 8.300 CSAM-Dateien, darunter bestialische Darstellungen. Gehörte zur inneren Führung von „764“.
Trinity (Red Deer, Kanada)
Ein Mädchen, das über Discord in Kontakt mit „764“ geriet. Wurde gezwungen, sich Symbole und Namen in die Haut zu schneiden, Haustiere zu töten, sich sexuell zu entblößen. Livestream-Suizidversuch 2021. RCMP reagierte erst verspätet. Später wurde ihr Haupttäter als „MK Ultra“ identifiziert: Kierre Cutler aus North Carolina, 18 Jahre alt, verurteilt.
Nikita Casap (USA)
17-jähriger aus Wisconsin. Ermordete Eltern, plante Anschlag auf Präsident Trump mit Massenvernichtungswaffe. Manifest bezieht sich auf „764“, O9A und einen Rassenkrieg. FBI ermittelt wegen Verschwörung, Terrorismus und präsidentieller Attentatsplanung.
Fall Trinity (Vertiefung)
Nach ihrer Selbsttötungsversuch im Jahr 2021 wurde Trinity von kanadischen Behörden nur unzureichend geschützt. Der Täter Kierre Cutler, alias MK Ultra, wurde erst 2024 identifiziert. Trinity wurde gezwungen, Blutopfer zu bringen und ein devotes Tagebuch mit Blut zu unterschreiben. Die kanadische RCMP stufte „764“ im Jahr 2024 als Terrororganisation ein.
Fall Lethbridge (Kanada, 2024)
Ein 14-jähriger Junge wurde verhaftet wegen Produktion und Verbreitung von CSAM im Zusammenhang mit „764“. Erster Fall in Kanada mit offiziellem Bezug zur Gruppierung.
Italien (2025)
Festnahme eines 17-Jährigen bei konkreten Mordplänen im März 2025, Verbindungen zu „MKY“ und „764“ nachgewiesen.
Rumänien (2022)
Eine ältere Frau wurde von einem „764“-Anhänger ermordet, Medienbericht und Polizeiaussagen bestätigten ideologische Motive.
Nach Angaben der US-Behörden existieren Ermittlungen zu „764“ in allen Bundesstaaten. Auch in Brasilien, dem Vereinigten Königreich, Kanada, Schweden, Italien und Rumänien wurden Mitglieder verurteilt oder geplante Anschläge vereitelt. In Italien wurde im März 2025 ein Mitglied bei konkreten Mordplänen und Zusammenarbeit mit 4 internationalen Journalisten, verhaftet. Die kanadische RCMP stufte „764“ 2024 als Terrorgruppe ein.
Verbindungen zu Gruppierungen wie „No Lives Matter (NLM)“ und „Maniac Murder Cult (MKY)“ intensivieren sich. Es kursieren sogenannte „Kill Guides“, Handbücher für Amokläufe, und Aufrufe zur Gewalt gegen Tiere, Minderheiten, Lehrer und Familienangehörige.
Gefahreneinschätzung Deutschland (Stand: April 2025)
Es sind Anzeichen für Online-Rekrutierung auf deutschen Minecraft- und Discord-Servern, thematisch ähnliche Subreddits mit deutschen IP-Zugriffen, sowie antisemitische Graffiti mit „MKY“-Signaturen in mehreren Städten. Hinweise auf Mitglieder in NRW, Hamburg, Niedersachsen, Bayern, und Sachsen, vorhanden
Sicherheitsbehörden beobachten seit 2024 zwar verstärkt einschlägige Telegram-Kanäle und Discord-Server – unter anderem durch das BKA in Zusammenarbeit mit EUROPOL – doch die größte Gefahr scheint derzeit an einer anderen Front zu entstehen: Die gezielte Einbindung deutscher Kinder über Fake-Communities, die sich vordergründig mit Essstörungen, Depressionen und Selbstverletzung befassen, bleibt bislang weitgehend unbeachtet. Besonders alarmierend ist dabei die zunehmende Radikalisierung in bestimmten Manga- und Anime-Subkulturen, in denen toxischer Perfektionismus und Gruppenzwang auf empfängliche Jugendliche treffen – und sie in psychische Krisen treiben.
Wer in diesen digitalen Milieus nicht mithalten kann, gleitet manchmal unbemerkt in Abhängigkeit, Selbsthass oder den Einfluss extremistischer Netzwerke wie „764“.
Empfohlene Anzeichen für Eltern und Schulen:
Plötzliche Verhaltensänderungen, Rückzug, verändertes Essverhalten
Langärmlige Kleidung bei warmem Wetter
Symbole oder Schnitte auf der Haut
Online-Beziehungen mit dominanten „Mentoren“
Vernachlässigung von Schule, Schlaf, Hygiene
„764“ stellt eine der perfidesten, digital vernetzten Gefahren für Kinder und Jugendliche dar, die bislang bekannt wurde. Die Mischung aus rechtsradikaler Weltanschauung, sadistischem Kultverhalten und dem gezielten Missbrauch moderner Kommunikationsmittel macht die Gruppe einzigartig in ihrer Bedrohlichkeit.
Deutschland ist bisher noch am Anfang – aber alle Alarmzeichen sind da. Aufklärung, Medienbildung, polizeiliche Expertise und internationale Zusammenarbeit müssen deutlich gestärkt werden. Denn dieser Kult kennt keine Grenzen.
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