Das interne Dokument der Oregon National Guard und eine investigative Recherche über Zweifel und Realität

VonRainer Hofmann

Oktober 1, 2025

Portland – Es ist ein Satz, der in seiner Absurdität schwer zu überbieten ist: „Es sieht aus wie eine Kriegszone… Es sei denn, sie spielen falsche Aufnahmen, das sieht aus wie der Zweite Weltkrieg. Der Ort brennt nieder.“ Mit diesen Worten beschrieb Präsident Donald Trump Portland, Oregon – und rechtfertigte so die Entscheidung, 200 Soldaten der Oregon National Guard unter Bundeskommando in die Stadt zu schicken.

Was wie eine dramatische Bedrohung klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als konstruierte Kulisse: In einer bewusst montierten Sendung mischte Fox News aktuelle Bilder einiger Dutzend Demonstrierender mit Archivmaterial aus dem Jahr 2020, als nach dem Mord an George Floyd Zehntausende auf die Straßen gingen. Straßenschlachten, Tränengas, ein Mann, dem Bundesbeamte aus nächster Nähe Pfefferspray ins Gesicht sprühten – Szenen, die längst vergangen waren, wurden als „Beleg“ für eine anhaltende linke Bedrohung verkauft. Siehe dazu unsere Recherche: Die große Lüge von Portland – Wie Fox News Trump füttert und eine Stadt zum Feindbild macht unter dem Link: https://kaizen-blog.org/die-grosse-luege-von-portland-wie-fox-news-trump-fuettert-und-eine-stadt-zum-feindbild-macht/ und unseren Artikel: Die große Lüge von Portland II – Trumps Drohung, Fox’ Bilder und die Wahrheit auf der Straße unter dem Link: https://kaizen-blog.org/die-grosse-luege-von-portland-ii-trumps-drohung-fox-bilder-und-die-wahrheit-auf-der-strasse/

Aus dem internen Schreiben von Brig. Gen. Alan R. Gronewold an die Oregon National Guard (29. September 2025)

„Gestern bat das Verteidigungsministerium um unsere Unterstützung durch das U.S. Northern Command. Die Mission ist klar: Schutz von Bundesgebäuden und den dort Beschäftigten.“

„Ich weiß, einige von euch haben starke Gefühle zu diesem Einsatz. Das ist in Ordnung. Ihr seid Bürger zuerst, aber auch Soldaten, die einen Eid geschworen haben, die Verfassung zu verteidigen und den Befehlen des Präsidenten und des Gouverneurs zu folgen. Dieser Eid kommt nicht mit einem Sternchen, das sagt: ‘Nur wenn ich einverstanden bin.’“

„Ich will ehrlich sein – ich weiß, das ist nicht leicht. Einige Menschen in Oregon werden diesen Einsatz nicht verstehen oder nicht unterstützen. Manche könnten sogar feindselig reagieren. Aber wir sind Profis, wir erfüllen unsere Pflichten, unabhängig davon, wie sie aufgenommen werden.“

Quelle: Internes Dokument der Oregon National Guard

Vermummte Bundesbeamte konfrontieren die Demonstrierenden vor der Einrichtung der US-Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) in Portland
Demonstrierende stellen sich Agenten des Department of Homeland Security in der Nähe der Einrichtung der Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) in Portland entgegen

Während Trump und sein Verteidigungsminister Pete Hegseth in Quantico vor hunderten Offizieren eine martialische Inszenierung ablieferten, kämpfte die politische und militärische Realität an anderer Stelle mit den Folgen. In Portland selbst sorgt die Entscheidung für Proteste, in Salem versucht die Gouverneurin juristisch, den Einsatz durch eine einstweilige Verfügung zu stoppen. Und aus den Reihen der National Guard selbst wurde nun ein Dokument zugespielt, das die Diskrepanz zwischen den prahlerischen Reden in Washington und der Stimmung an der Basis schonungslos offenlegt.

Brig. Gen. Alan R. Gronewold, dem Befehlshaber der Oregon National Guard

„Gestern bat das Verteidigungsministerium um unsere Unterstützung durch das U.S. Northern Command. Die Mission ist klar: Schutz von Bundesgebäuden und den dort Beschäftigten.“

Das Schreiben stammt von Brig. Gen. Alan R. Gronewold, dem Befehlshaber der Oregon National Guard. In einem Brief an die 200 mobilisierten Soldaten und Airmen legt er dar, was die Mission bedeutet – und vor allem, was sie nicht ist. „Gestern bat das Verteidigungsministerium um unsere Unterstützung durch das U.S. Northern Command. Die Mission ist klar: Schutz von Bundesgebäuden und den dort Beschäftigten“, heißt es nüchtern. Doch Gronewold verschweigt nicht, dass er die Skepsis seiner Leute kennt: „Ich weiß, einige von euch haben starke Gefühle zu diesem Einsatz. Das ist in Ordnung. Ihr seid Bürger zuerst, aber auch Soldaten, die einen Eid geschworen haben, die Verfassung zu verteidigen und den Befehlen des Präsidenten und des Gouverneurs zu folgen. Dieser Eid kommt nicht mit einem Sternchen, das sagt: ‚Nur wenn ich einverstanden bin.‘“

„Ich will ehrlich sein – ich weiß, das ist nicht leicht. Einige Menschen in Oregon werden diesen Einsatz nicht verstehen oder nicht unterstützen. Manche könnten sogar feindselig reagieren. Aber wir sind Profis, wir erfüllen unsere Pflichten, unabhängig davon, wie sie aufgenommen werden.“

In einer weiteren Passage schreibt er: „Ich will ehrlich sein – ich weiß, das ist nicht leicht. Einige Menschen in Oregon werden diesen Einsatz nicht verstehen oder nicht unterstützen. Manche könnten sogar feindselig reagieren. Aber wir sind Profis, wir erfüllen unsere Pflichten, unabhängig davon, wie sie aufgenommen werden.“ Es sind Worte, die von Verantwortungsbewusstsein zeugen – und gleichzeitig erkennen lassen, dass der General den politischen Missbrauch seiner Truppe durchaus wahrnimmt.

Das zugespielte Dokument enthält auch praktische Mahnungen. Gronewold fordert seine Soldaten auf, sich von politischem Streit fernzuhalten: „Seid klug in den sozialen Medien. Postet nichts über Bewegungen, Einsatzdetails oder Operationen. Lasst euch nicht in politische Debatten hineinziehen, während ihr die Uniform tragt.“ Damit grenzt er sich indirekt von Hegseth ab, der in Quantico klagte, „anonyme Social-Media-Seiten, die Kommandeure kritisieren und die Moral schwächen, seien Feigheit, getarnt als Gewissen“. Zwei Welten prallen hier aufeinander: Der Kommandeur in Oregon, der das Dilemma seiner Truppe anerkennt, und die Trump-Regierung, die die National Guard zur Bühne für einen Kulturkampf degradiert.

Vermummte Bundesbeamte nähern sich den Demonstrierenden in der Zufahrt zur Einrichtung der Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) in Portland
Bundesbeamte halten von der Dachfläche der Einrichtung der US-Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) in Portland Wache

Hintergrund: Title 10 Federal Authority
Wenn Guardsmen unter Title 10 mobilisiert werden, unterstehen sie nicht mehr dem Gouverneur des Bundesstaates, sondern direkt dem Präsidenten und dem U.S. Northern Command. Genau das ist hier der Fall – Gronewold weist seine Truppe im Dokument ausdrücklich darauf hin, dass sie nicht mehr der zivilen Führung Oregons gehorchen, sondern einer völlig anderen Befehlskette.

Parallelen zu 2020
Schon während der George-Floyd-Proteste 2020 gab es ähnliche Diskussionen: National-Guard-Soldaten sprachen anonym von „idiotischen“ Einsätzen und der Gefahr, als innenpolitische Polizei missbraucht zu werden. Gronewolds Tonfall – nüchtern, mahnend, auf Pflicht bedacht – knüpft direkt an diese Debatten an.

Aktuelle Lage
Nach Angaben aus Guard-Kreisen ist damit zu rechnen, dass die rund 200 mobilisierten Soldaten am Donnerstag in Portland eintreffen – es sei denn, die Gerichte stoppen den Einsatz kurzfristig, wie es Gouverneurin Tina Kotek mit einer einstweiligen Verfügung versucht.

Das Schreiben Gronewolds ist mehr als ein interner Lagebericht. Es ist ein Fenster in die Seele einer Truppe, die seit über 150 Jahren im Dienst des Staates steht – von Bränden über Stürme bis hin zu Katastrophen. „Wir dienen nicht, weil es einfach oder populär ist. Wir dienen, weil es unsere Pflicht ist und weil wir einen Eid geschworen haben“, schreibt er. Dass dieser Eid nun in den Straßen von Portland eingelöst werden soll, um eine künstlich aufgeheizte Lage zu „befrieden“, zeigt die ganze Absurdität.

Während Trump martialisch von einem „Kriegsschauplatz“ fabuliert und Hegseth die „Feinde im Innern“ beschwört, ist der Tonfall des Generals diametral entgegengesetzt: leise, nüchtern, mahnend. Er ruft seine Leute auf, die Mission „mit Ehre auszuführen, fokussiert, professionell und sicher“. Kein Wort von Feinden, kein Hauch von Kampfespathos – sondern die Anerkennung, dass die Truppe in eine Rolle gedrängt wurde, die sie weder gesucht noch gewollt hat.

Bundesbeamte umringen einen Demonstrierenden, der in der Nähe der Einrichtung der US-Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) in Portland zu Boden gefallen ist
Demonstrierende vor der Einrichtung der US-Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) in Portland

Die Folgen dieses Einsatzes könnten weit über Oregon hinausreichen. Er markiert nicht nur einen gefährlichen Präzedenzfall für die Militarisierung innerer Konflikte, er zeigt auch, wie weit sich Washington von der Verfassungstradition entfernt hat, die Militär und Polizei strikt trennt. Dass ausgerechnet ein zugespieltes Schreiben eines Generals daran erinnert, dass Loyalität nicht mit blindem Gehorsam verwechselt werden darf, ist ein bitteres Lehrstück.

Ein Trump-Anhänger stellt sich Demonstrierenden vor der Einrichtung der US-Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) in Portland entgegen

Die Wahrheit liegt nicht in den manipulierten Fernsehbildern, sondern in den Sätzen eines Mannes, der weiß, was Pflicht und was Missbrauch bedeutet. Alan R. Gronewold schreibt: „Wir sind Oregons Guard, und wir bleiben bereit, unseren Gemeinden zu dienen. Das hat sich nicht geändert, und das wird sich nicht ändern.“ Es sind Worte, die klingen wie ein stiller Protest gegen ein System, das seine Bürger in Feindbilder verwandelt. Und es sind Worte, die den Unterschied markieren zwischen denen, die ihr Land schützen wollen – und denen, die es in Brand setzen.

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Frank Wolf
Frank Wolf
6 Stunden zuvor

Es geht nicht um Gefühle. Es geht darum, dass das Militär den Eid auf die Verfassung bricht. Seit dem 6. Januar 2023.

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