Das glaubt er tatsächlich selber – Robert F. Kennedy Jr., die UNO und der Angriff auf die Realität

VonRainer Hofmann

September 26, 2025

Es ist ein Satz, der in die Chronik politischer Verdrehungen eingehen dürfte: Robert F. Kennedy Jr., Gesundheitsminister der Vereinigten Staaten, erklärte vor der UNO, eine internationale Erklärung zur Bekämpfung chronischer Krankheiten sei verseucht von Abtreibungspropaganda und „radikaler Gender-Ideologie“. Ein Dokument, das in Wahrheit nüchterne Ziele wie die Eindämmung von Krebs, Herzinfarkten und Diabetes formuliert, wurde von ihm kurzerhand in ein Feindbild verwandelt. Wer sich den Text der Erklärung anschaut, erkennt sofort den Abgrund zwischen Behauptung und Wirklichkeit. Weder „Abtreibung“ noch „Gender-Ideologie“ tauchen darin auf. Das Wort „Gender“ steht einzig im Zusammenhang mit den besonderen gesundheitlichen Belastungen, die Frauen weltweit betreffen – Müttersterblichkeit, mangelnder Zugang zu Vorsorge oder die Ungleichheit in der medizinischen Versorgung. Und doch machte Kennedy daraus eine weltumspannende Verschwörung gegen „unschuldiges Leben“.

Weitere Zitate aus einer anderen Welt: „Mehr als 40 Millionen Menschen sterben jedes Jahr weltweit an chronischen Krankheiten, und 7 der 10 häufigsten Todesursachen sind chronische Krankheiten.“ – „Wir können die Epidemie nicht allein besiegen, aber der Ansatz der Vereinten Nationen ist fehlgeleitet.“ – „Deshalb werden die USA ihn ablehnen.“ – „Wir können keine Formulierungen akzeptieren, die zerstörerische Gender-Ideologie fördern.“ – „Ebenso können wir keine Behauptungen akzeptieren, es gebe ein verfassungsmäßiges oder internationales Recht auf Abtreibung.“ – „Die USA werden die Erklärung ablehnen – aber wir werden uns niemals von der Welt oder von unserem Engagement zur Bekämpfung chronischer Krankheiten abwenden.“

Es ist nicht das erste Mal, dass die Trump-Regierung internationale Zusammenarbeit im Gesundheitswesen sabotiert. Schon zuvor hatte Präsident Trump den Austritt der USA aus der WHO verkündet – unter dem Vorwand, die Organisation habe die Corona-Pandemie schlecht gemanagt. Jetzt wird derselbe Kurs fortgesetzt: Isolation statt Kooperation, Ideologie statt Evidenz. Kennedys Rede vor den Delegierten wirkte wie ein Drehbuch aus einer anderen Realität. Er warnte, chronische Krankheiten hätten sich innerhalb einer Generation mehr als verdoppelt, Millionen Kinder verlören schon in jungen Jahren gesunde Lebensjahre – eine Feststellung, die exakt den Befunden der UNO entspricht. Doch anstatt daraus Konsequenzen abzuleiten, verweigerte er den Schulterschluss mit der Weltgemeinschaft. Er zeichnete das Bild eines Amerikas, das allein gegen die Krankheit kämpft, weil internationale Bürokraten angeblich „die Souveränität der Nationen“ untergraben.

Gesundheitsexperten reagierten entsetzt. „Beunruhigend, irreführend und voller Widersprüche“, nannte Paula Johns von der brasilianischen Organisation ACT Health Promotion Kennedys Auftritt. Sie stellte klar: Wer von internationaler Zusammenarbeit rede und gleichzeitig jede Kooperation verweigere, betreibe politisches Theater, aber keine Gesundheitspolitik. Auch andere Stimmen sprachen von Sabotage. Alison Cox von der NCD Alliance betonte, die Erklärung sei das Ergebnis monatelanger Verhandlungen zwischen Fachleuten, Zivilgesellschaft und Staaten. Sie sei unvollkommen, aber ein entscheidender Schritt im globalen Kampf gegen Krankheiten, die jährlich Millionen Leben kosten. Und sie stellte fest: Die USA stünden mit ihrer Blockadehaltung allein – wie schon beim Klimaschutz. Tatsächlich war das Dokument bereits in einer entscheidenden Frage entschärft worden: Forderungen nach hohen Steuern auf Tabak, Alkohol und Softdrinks, ebenso wie drastische Warnhinweise, waren aus dem Text gestrichen worden – auf Druck von Industrieinteressen. Selbst dieser Kompromiss reichte Washington nicht.

Kennedy berief sich auf die „biologische Realität des Geschlechts“ – eine Phrase, die längst zum Kampfbegriff christlich-fundamentalistischer Netzwerke geworden ist. Dass er damit in den Reihen internationaler Fachleute für Kopfschütteln sorgte, überrascht nicht. Während WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus erneut mahnte, dass Gesundheit in Häusern, Schulen, am Arbeitsplatz beginne, griff der US-Minister zu ideologischen Schlagworten, die nichts mit Krebsprävention oder Ernährungspolitik zu tun haben.

Tedros Adhanom Ghebreyesus

Die Zahlen sind erdrückend: 17 Millionen Menschen sterben jedes Jahr weltweit frühzeitig an nichtübertragbaren Krankheiten. Eine Billion Dollar an Steuereinnahmen könnten in den nächsten zehn Jahren mobilisiert werden, wenn Tabak, Alkohol und Zuckergetränke stärker belastet würden – Geld, das in Prävention und Behandlung fließen könnte. Doch während Tedros von einer Chance für das Überleben von 50 Millionen Menschen sprach, erklärte Kennedy, Amerika könne sich diesen Zielen nicht anschließen. Es bleibt die investigative Frage: Warum riskiert ein Gesundheitsminister die Isolation seines Landes in einer der größten Gesundheitskrisen unserer Zeit? Die Antwort liegt auf der Hand: Nicht weil er die „drängendsten Probleme“ der Menschheit erkannt hat, sondern weil er die eigene politische Klientel bedienen will – jene Wähler, die in jeder internationalen Vereinbarung eine Verschwörung sehen, und jene Lobbygruppen, die Steuern auf Zucker, Alkohol und Tabak um jeden Preis verhindern wollen.

So wird aus einem Papier über Krebs, Herzkrankheiten und Diabetes ein vermeintlicher Feldzug gegen „unschuldiges Leben“. Und so bleibt ein Land, das einst Pionier im Kampf gegen globale Krankheiten war, zurück als Spielball ideologischer Obsessionen. Das glaubt er tatsächlich selber – und genau das macht es so gefährlich.

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