Es ist ein Bild, das man eher aus Diktaturen kennt als aus der angeblich ältesten Demokratie der Welt: 4.000 Soldaten der Nationalgarde und 700 Marines marschieren durch eine amerikanische Großstadt – nicht zur Hilfe, nicht im Katastrophenfall, sondern gegen die eigene Bevölkerung. Präsident Donald Trump hat sie ohne Zustimmung des Gouverneurs nach Los Angeles entsendet, unter dem Vorwand, die Stadt vor „gewalttätigen Horden“ zu retten. Doch was als martialischer Akt der Stärke inszeniert wird, entlarvt sich mehr und mehr als das, was es wirklich ist: eine politische Machtdemonstration auf dem Rücken jener, die eigentlich der Nation dienen sollen – nicht ihrem Präsidenten.
Hinter den Betonfassaden des Einsatzes herrscht ein anderes Gefühl: Angst, Frust, und eine tiefe moralische Zerrissenheit. Soldaten und Marines berichten ihren Familien, dass sie sich wie Bauernopfer fühlen, missbraucht in einem Spiel, das mit Sicherheit nichts mehr mit Landesverteidigung zu tun hat. Drei Organisationen für Militärfamilien – darunter die Secure Families Initiative und das Chamberlain Network – berichten übereinstimmend von Dutzenden Beschwerden: Soldaten, die gegen ihren Willen in einen innerstaatlichen Polizeieinsatz gedrängt werden. Marines, die lautlos fluchen. Nationalgardisten, die in Betonbuchten schlafen, ohne Matratzen, ohne klare Befehle, ohne Bezahlung.
„Die Stimmung ist miserabel“, berichtet Chris Purdy vom Chamberlain Network, das Veteranen organisiert, die sich für Demokratie einsetzen. Und Sarah Streyder von der Secure Families Initiative bringt es noch drastischer auf den Punkt: „Truppen gegen die eigenen Gemeinden einzusetzen – das ist nicht die Art von nationaler Sicherheit, für die sie sich verpflichtet haben.“
Die Szenen erinnern an historische Fehlgriffe: an 1992, als bei den Unruhen in Los Angeles Marines auf einen Polizeibefehl hin das Feuer auf ein Wohnhaus eröffneten, weil sie das Kommando „Cover me“ – gemeint war „Deckung geben“ – als „Feuer frei“ interpretierten. Nur durch Glück kam damals niemand ums Leben. Heute ist das Chaos subtiler, aber nicht weniger gefährlich. Die Trennung zwischen Polizei und Militär, zwischen ziviler Ordnung und militärischer Intervention, wird unter Trump nicht nur ignoriert – sie wird systematisch verwischt. Das wahre Ausmaß der Farce zeigt sich nicht nur in der Stimmung der Truppen, sondern auch in der Realität vor Ort: Die Proteste gegen Trumps Anti-Migrationspolitik sind weitgehend friedlich, konzentrieren sich auf wenige Blocks im Zentrum. Der Einsatz der Soldaten? Symbolisch, machtpolitisch – und juristisch fragwürdig. Die größte Demonstration, so berichten lokale Medien, sah die Nationalgarde eingekesselt von Polizeiwagen, unfähig, überhaupt einzugreifen. Ihre Aufgabe beschränkt sich auf das Bewachen von Gebäuden und Begleiten von Razzien. Die Marines? Dürfen nicht einmal verhaften. Doch ihre bloße Präsenz dient einem Zweck: der Einschüchterung.
„Es ist eine Provokation, keine Eskalation“, sagt Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom. Und das Bild, das um die Welt ging – Nationalgardisten schlafend auf einem Betonboden – bestätigt seine Worte. Die San Francisco Chronicle berichtet von unzureichender Verpflegung, fehlenden Toiletten und keiner Finanzierung für Unterkunft oder Wasser. Währenddessen zeigt sich auch in Texas ein vertrautes Muster: Gouverneur Greg Abbott ruft die Nationalgarde in mehreren Städten aus – angeblich zur Vorbereitung auf Proteste. Doch die Truppe, das belegen Berichte aus der Vergangenheit, leidet bereits seit Jahren unter Überlastung und psychischem Druck. Nach dem umstrittenen „Operation Lone Star“-Einsatz 2021 nahmen sich mehrere Soldaten das Leben.
Das System wankt. Nicht nur an der Oberfläche, sondern im Innersten. Wenn die Armee, das letzte neutrale Instrument eines Staates, zur politischen Schachfigur wird – was bleibt dann noch übrig von einer demokratischen Gesellschaftsordnung? Die Worte einer Nationalgardistin, weitergeleitet an die Secure Families Initiative, fassen es in einem einzigen Satz zusammen: „Das hier ist eine Scheißmission.“ Und warum? Weil es nicht um Hilfe geht. Nicht um Rettung. Sondern um ein Spektakel, das der mächtigste Mann der Welt braucht, um sich selbst als Retter zu inszenieren – gegen ein Problem, das er selbst geschaffen hat. Das ist keine nationale Sicherheit. Das ist ein Angriff auf die Idee von Heimat selbst.