Es war ein heißer Sommertag auf Worthy Farm in Somerset, als der britische Rap-Punk-Act Bob Vylan beim Glastonbury Festival die West Holts Stage betrat – eine Bühne, die seit jeher als Plattform für politische Töne gilt. Doch was am Samstag, dem 28. Juni 2025, geschah, hat das Vereinigte Königreich gespalten: Während Tausende im Takt klatschten und „Free, Free Palestine“ riefen, stimmte Frontmann Bobby Vylan eine weitere Parole an, die nun politische, juristische und gesellschaftliche Wellen schlägt: „Death to the IDF“ – Tod der israelischen Armee. Am Montag folgte die Reaktion der BBC. Man hätte die Livestream-Übertragung stoppen müssen, heißt es nun in einer öffentlich-reumütigen Erklärung. Zwar respektiere man die Meinungsfreiheit, doch das hier sei „Anstiftung zu Gewalt“ gewesen. Premierminister Keir Starmer sprach von „widerwärtiger Hassrede“ und forderte Aufklärung: „Die BBC muss erklären, wie es dazu kommen konnte, dass solche Szenen live übertragen wurden.“ Auch die Medienaufsicht Ofcom zeigte sich „sehr besorgt“ und kündigte Untersuchungen an. Die Debatte ist entfacht – über die Macht der Worte, die Verantwortung von Künstlern, und über die Frage, wo Protest endet und Hetze beginnt.
Bob Vylan – seit 2017 aktiv, mit vier Alben über Rassismus, Männlichkeit und Klassenkampf – ist bekannt für seine konfrontative Haltung. Doch diesmal ist die Provokation kein künstlerisches Spiel mehr. „Death to the IDF“ – das ist keine bloße Anti-Kriegsparole, sondern ein Aufruf, der für viele als antisemitisch gilt, weil er pauschal eine Institution ins Visier nimmt, die für den Staat Israel steht. Auch wenn sich die Kritik formal auf das Militär bezieht, verschwindet im kollektiven Echo schnell die Differenzierung zwischen Armee und Menschen, zwischen Staat und Volk. Genau hier verläuft die Linie zwischen berechtigtem Protest und gefährlicher Vereinfachung – eine Linie, die Bob Vylan mutmaßlich bewusst überschritt. In einem Statement auf Social Media verteidigte sich Bobby Vylan: Es sei wichtig, Kinder dazu zu ermutigen, „für den Wandel einzustehen, den sie brauchen“. Doch während diese Aussage nach pädagogischem Idealismus klingt, stehen ihr die Realität und das Gewicht des Gesagten gegenüber. „Death to the IDF“ ist eben nicht nur ein politischer Slogan – es ist ein Aufruf zur Gewalt, gerichtet gegen Soldaten, Familienväter, Menschen. Und in einer Zeit, in der im Nahen Osten ein blutiger Krieg tobt, ist jedes Wort ein Instrument – zur Versöhnung oder zur Verrohung.
Seit dem Zusammenbruch des Waffenstillstands zwischen Israel und Hamas im März 2025 sind laut Gesundheitsministerium von Gaza über 56.000 Menschen getötet worden, 132.000 verletzt, darunter unzählige Frauen und Kinder. Israels Regierung spricht von gezielten Angriffen auf Terroristen, Hamas nutze Zivilisten als menschliche Schutzschilde. Die Wahrheit ist – wie immer im Krieg – umkämpft, verwundet, fragmentiert. Doch was unstrittig bleibt: Die Bilder aus Gaza zeigen eine humanitäre Katastrophe. Und wer angesichts dieses Leids Parolen ruft, die zu weiterer Gewalt aufrufen, fügt dem Drama eine neue, schmerzhafte Ebene hinzu – in den Konzertsälen des Westens. Die BBC hatte während des Glastonbury-Auftritts einen Warnhinweis eingeblendet – wegen „starker und diskriminierender Sprache“. Doch dass dieser nicht genügte, zeigt die nachträgliche Einsicht. Die Verantwortung für das Gesendete beginnt nicht beim Zuschauer, sondern beim Sender. Dass Glastonbury ein Ort politischer Kunst ist, bleibt unbestritten – von Beyoncé bis Stormzy haben hier Musiker ihre Stimme erhoben. Doch nie zuvor klang es so martialisch, so gnadenlos. Die Causa Bob Vylan ist mehr als ein Mediensturm – sie ist ein Prüfstein für den Zustand der Debattenkultur. Für manche ist es mutiger Widerstand gegen ein militärisches Unrecht, für andere schlicht antisemitische Hetze. Die Wahrheit liegt vielleicht in der Brutalität des Krieges selbst. Aber auch in der Verantwortung dessen, der ein Mikrofon in der Hand hält. Denn wer zu Zehntausenden spricht, der spricht nie nur für sich. Und Glastonbury war still nach diesem Satz. Still wie eine offene Wunde.
