Es beginnt nicht mit Gewalt. Es beginnt mit Worten. Mit sogenannten „Meinungen“, die sich in Wirklichkeit gegen die Würde anderer richten. Die Urteilsverkündung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2025 ist deshalb mehr als ein juristischer Vorgang – sie ist ein politisches Menetekel. Dass das Verbot des als gesichert rechtsextrem eingestuften Mediums Compact aufgehoben wurde, ist kein Sieg der Meinungsfreiheit. Es ist die Legitimierung eines gezielten Angriffs auf die demokratische Ordnung – mit den Mitteln ihrer selbst. In der Urteilsbegründung heißt es, man müsse „auf die Kraft des offenen Diskurses vertrauen“. Das klingt nach Habermas, nach liberaler Rechtsstaatlichkeit. Doch was, wenn dieser Diskurs längst vergiftet ist? Wenn die Gegenseite keine Wahrheit sucht, sondern die Grundfesten dieses Diskurses zerstören will? Der vorsitzende Richter Ingo Kraft formulierte, Compact äußere lediglich „überspitzte, aber zulässige Migrationskritik“. Das Wort „zulässig“ hat hier eine doppelte Ironie: Es verweist auf juristische Zulässigkeit – aber auch auf eine neue gesellschaftliche Toleranzgrenze gegenüber dem Sagbaren, die sich bedrohlich verschoben hat.
Dabei hatte das Bundesinnenministerium 2023 mit seinem Verbot deutlich gemacht: Compact ist keine Presse im klassischen Sinn. Es ist eine Kampagnenorganisation, die offen zur Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung aufruft – eine Art publizistischer Infanterie im rechtsextremen Kulturkampf. Die Argumentation der Bundesregierung stützte sich dabei auf das Vereinsgesetz, konkret auf §3 Abs. 1, der es erlaubt, Vereinigungen zu verbieten, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Und doch kam das Leipziger Gericht nun zum gegenteiligen Schluss: Eine GmbH, so die Richter, falle nicht unter diesen Vereinsbegriff. Hier zeigt sich eine juristische Lücke, die zur systemischen Wunde werden kann. Die Idee, dass Verfassungsfeinde sich schlicht als „Verlage“ tarnen müssen, um ungestört ihre antidemokratischen Ziele zu verfolgen, ist eine Einladung zur strategischen Unterwanderung. Diese Grauzone, die zwischen Pressefreiheit und Meinungsmanipulation liegt, ist es, die Compact nutzt – und mit ihm ein wachsender Teil der sogenannten Neuen Rechten.
Doch das Urteil betrifft mehr als eine GmbH. Es berührt die Frage, wie wehrhaft eine Demokratie sein darf – und sein muss. Das Bundesverfassungsgericht hat in früheren Urteilen immer wieder betont: Die Meinungsfreiheit endet dort, wo die Menschenwürde beginnt. Antisemitische Narrative, rassistische Hetze, die Verächtlichmachung von Migrantinnen als „kulturfremde Barbaren“ – sie alle überschreiten diese Grenze. Compact will nicht streiten, es will spalten. Es will das „System“ stürzen, wie Gründer Jürgen Elsässer selbst mehrfach öffentlich sagte. Das ist keine Meinung – das ist eine Drohung. Völkerrechtlich betrachtet stellt sich zudem eine ernste Frage: Inwieweit ist ein Staat, der seinen internationalen Verpflichtungen zum Schutz vor rassistischer Propaganda (z. B. gemäß der UN-Rassendiskriminierungskonvention) nachkommen will, überhaupt noch handlungsfähig, wenn eigene Gerichte solche Medien mit Verfassungsfeindlichkeitsschutz verwechseln? Die Bundesrepublik steht international unter dem Anspruch, Hassrede und rechtsextreme Mobilisierung zu verhindern. Das Urteil unterminiert diesen Anspruch – auch gegenüber jenen, die längst beobachten, wie sehr Europa ins ideologische Schlingern gerät.
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass sich rechte Hetze durch gesellschaftlichen Diskurs „auflöst“. Der Diskurs ist längst gekapert – von jenen, die mit Sprache Realitäten umdeuten. Compact ist dabei nur der publizistische Kristallisationspunkt. Über YouTube, Telegram, Social Media entstehen Echokammern, in denen aus gefühltem Unrecht ein politisches Sendungsbewusstsein wächst – gespeist durch professionelle Desinformation, angebliche Systemkritik und eine vermeintliche „Gegenöffentlichkeit“, die in Wahrheit keine Öffentlichkeit mehr will, sondern allein Identität, Ausschluss und nationalistische Mythologie. In diesen Sphären ist auch die AfD längst zu Hause. Das Verfahren gegen die Verfassungsschutz-Einstufung der Partei wird ebenfalls vom 6. Senat in Leipzig verhandelt – jenem Gremium, das nun Compact Recht gegeben hat. Die Folgen liegen auf der Hand: Die AfD wird dieses Urteil zur rhetorischen Waffe machen, zur Bestätigung ihrer angeblichen „Diskriminierung durch das System“. Es ist der nächste Schritt zur Normalisierung.
Das Urteil von Leipzig steht damit nicht allein. Es reiht sich ein in eine zunehmende juristische Neutralisierung politischer Brandherde. Es ist die zivilgesellschaftliche Entkernung der Demokratie im Namen eines veralteten Liberalismus, der davon ausgeht, alle Stimmen seien gleichwertig. Doch manche Stimmen wollen genau diese Gleichwertigkeit abschaffen. Wer den Hass normalisiert, macht sich zum Erfüllungsgehilfen seiner Verbreitung. Compact war nie nur ein Magazin. Es ist ein Projekt der politischen Delegitimierung – durch Sprache, Bild und Dauerbeschallung. Dass dieses Projekt nun gerichtlichen Schutz erhält, ist kein Zeichen der Stärke des Rechtsstaats. Es ist sein Alarmruf. Vielleicht war es an der Zeit, tatsächlich ein neues Onlinemagazin zu gründen – ein Magazin, das nicht neutral ist gegenüber Menschenfeindlichkeit, sondern mutig im Einsatz für Demokratie. Nicht nur, weil wir ‚gegen rechts‘ sind – sondern weil wir für Menschen sind.