Ein Staat mit schwarzer Maske – Wie Narciso Barranco zum Gesicht eines repressiven Amerikas wurde

VonRainer Hofmann

Juni 24, 2025

Santa Ana, Kalifornien – Es sind Szenen, wie man sie aus Diktaturen kennt: Ein Mann steht auf dem Bürgersteig, ein Freischneider auf dem Rücken, er versucht zu fliehen. Maskierte Männer in Westen der US-Grenzschutzbehörde überwältigen ihn, besprühen ihn mit Pfefferspray, schlagen ihn zu Boden, legen ihm Handschellen an, prügeln weiter – und verfrachten ihn schließlich in ein unmarkiertes Fahrzeug. Kein Ausweis, kein Haftbefehl, keine Erklärung. Nur Gewalt. Der Mann heißt Narciso Barranco, 48 Jahre alt, Landschaftsgärtner. Seine drei Söhne tragen Uniform – die der US-Marines. Zwei von ihnen sind derzeit aktiv im Dienst. Willkommen in einem Amerika, das nicht länger vorgibt, frei zu sein. Barranco wurde am helllichten Tag in Santa Ana (Orange County) von einem Trupp maskierter Beamter festgenommen. Das Heimatschutzministerium behauptet, er habe mit seinem Freischneider die Beamten bedroht. Doch das, was die vorliegenden Aufnahmen zeigen, ist kein Angriff – es ist ein Übergriff. Ein gezielter Zugriff auf einen unbewaffneten Zivilisten. Als sich Barranco bereits auf dem Boden befand, gefesselt, kniend, sollen ihm weitere Schläge ins Gesicht versetzt worden sein. Ein Augenzeuge sagte: „Sie haben ihn wie ein Tier behandelt. Dabei hatte er nichts gemacht – er hat gearbeitet.“ Die Behörden sprechen von „notwendiger Gewalt“. Die Familie spricht von staatlicher Entgleisung. Und die Öffentlichkeit? Schweigt.

Narciso Barranco erlitt laut Klinikangaben eine ausgekugelte Schulter und mehrere Prellungen. In ICE-Haft erhielt er über 24 Stunden lang weder medizinische Versorgung noch etwas zu essen. Seine Familie, schockiert und entrechtet, musste eine Spendensammlung starten – über 48.000 Dollar kamen zusammen, um seine Verteidigung überhaupt zu ermöglichen. Doch Geld heilt keine Verletzungen. Und es ersetzt keinen Rechtsstaat. Wir berichten nicht, um Mitleid zu erheischen. Wir schreiben nicht, um Emotionen zu bedienen. Unsere Aufgabe ist Aufklärung. Und Hilfe. Nüchtern. Konsequent. Kompromisslos. Die Welt darf nicht wegsehen, wenn in den USA maskierte Beamte beginnen, Menschen aus dem Alltag zu reißen wie in einem Polizeistaat. Es geht hier nicht um Einzelfälle – es geht um Strukturen, um eine neue Kultur der Angst. Und es ist an uns, diese sichtbar zu machen, ehe das Schweigen zur Gewohnheit wird.

Wir sind keine Zubringer für Klicks. Wir sind keine Lieferanten für Empörung auf Bestellung. Wer hier journalistisch arbeitet, muss sich entscheiden: für Haltung oder für Gleichgültigkeit. Narciso Barranco ist kein Held. Er ist ein Mensch. Und genau deshalb ist sein Fall ein Maßstab. Für Recht. Für Gewalt. Und für die Frage, ob wir als Gesellschaft noch wissen, was Gerechtigkeit eigentlich bedeutet. Dafür, ob man uns mag oder nicht – das ist uns egal. Aber die journalistische Gangart wird härter. Keine Clownssprüche, sondern Widerstand – ohne Wenn und Aber. Dort, wo es passiert. Nicht auf der Couch. Nicht im stillgelegten Agenturjournalismus (gähn).

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x