Wie Los Angeles sich gegen die Angst erhebt

VonRainer Hofmann

Juni 9, 2025

Es ist ein Sonntag, aber keiner des Friedens. Kein stiller Tag, kein müder Rest der Woche. Der 8. Juni 2025 markierte einen jener Momente, in denen eine Stadt nicht nur bebt – sondern spricht. Laut. Wütend. Unmissverständlich. Was sich in den Straßen von Los Angeles entfaltete, war keine gewöhnliche Demonstration, keine Routine des Protests, sondern ein Aufschrei. Ein zorniger, kollektiver Reflex auf die Entfremdung durch einen Staat, der mit Uniform und Gewehr auf seine Bürger antwortet.

In Downtown, in Boyle Heights, in Compton, in Santa Monica – überall versammelten sich Tausende. Alte und Junge, Schwarze, Weiße, Migranten, Studierende, Gewerkschafter, Mütter mit Kindern, Rentner mit Trillerpfeifen. Es war ein Panorama der Gesellschaft, verdichtet auf Asphalt, zusammengehalten durch das Gefühl: Jetzt reicht es. Der Auslöser war der Einmarsch der Nationalgarde, legitimiert durch das Memorandum Präsident Trumps – unterzeichnet keine 24 Stunden zuvor, mit Worten, die Protest zur Rebellion erklärten und Widerstand zur Bedrohung.

Aber Los Angeles ließ sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil. Die Stadt vibrierte. Unter der Oberfläche, in den Adern des urbanen Körpers, arbeitete die Geschichte. Die Bilder, die sich an diesem Tag auf die Netzhaut der Nation legten, sind keine Randnotizen: versperrte Straßen vor Bundesgebäuden, Hubschrauber über Santa Monica, und Stimmen – hunderte, tausende Stimmen – die nicht mehr bitten, sondern fordern. „No ICE, no fear!“, „Our streets, not their war zones!“ – Rufe, die sich nicht als Slogans verstanden, sondern als letzte Zeugen eines demokratischen Anspruchs, der täglich neu verteidigt werden muss.

Die Behörden reagierten mit Härte. Die Polizei erklärte mehrere Versammlungen zur „unlawful assembly“. Es kam zu Festnahmen, zu Verletzten, zu Szenen, die an Bürgerkriegszustände erinnerten. Und doch blieb der Protest – bei aller Wut – durchzogen von etwas, das man fast vergessen hatte: Würde. Kein Hass, sondern Entschlossenheit. Keine Gewalt um ihrer selbst willen, sondern ein klares Ziel: Sichtbarkeit. Wahrheit. Gerechtigkeit.

Es war, als hätte die Stadt selbst beschlossen, nicht länger Zuschauerin ihrer eigenen Entmündigung zu sein. Als hätte sie erkannt, dass Schweigen Zustimmung ist – und dass in einer Zeit, in der Gerichte schweigen, Minister wegblicken und Präsidenten Soldaten schicken, nur der Körper auf der Straße bleibt, um Zeugnis abzulegen.

Doch so sehr dieser Tag von Haltung und Widerstand geprägt war – die Angst vor Eskalation bleibt. In einigen Vierteln, vor allem im Süden und Osten der Stadt, gingen am Abend Fahrzeuge in Flammen auf, Schaufenster splitterten, es kam zu ersten gezielten Angriffen auf Bundesfahrzeuge. Was als friedlicher Protest begann, droht nun stellenweise zu kippen – nicht überall, nicht als Gesamtbild, aber als brüchiger Riss in der Fassade einer Stadt, die sich selbst behauptet.

  • Die Ereignisse rufen unweigerlich Erinnerungen an die Unruhen nach dem Tod von George Floyd wach.-

Und doch muss man hoffen – dass das Maß nicht überläuft, dass die Rufe nicht in Rauch aufgehen, dass die Bewegung nicht verschlungen wird von der Gewalt, die sie eigentlich überwinden will. Denn am Horizont steht bereits der 14. Juni. Ein Tag, der kommen wird wie ein Versprechen – oder wie eine Warnung. In über vierzig Städten sind Großdemonstrationen angekündigt. In Los Angeles, in New York, in Chicago, in Houston. Der Widerstand wächst, landesweit – und mit ihm die Frage: Wird Amerika zuhören, oder wieder zuschlagen?

Der 8. Juni wird bleiben. Als Datum. Als Erinnerung. Als Mahnung. Los Angeles hat gesprochen – in der Sprache des Widerstands, in der Grammatik des Zorns. Und vielleicht, nur vielleicht, war dieser Sonntag ein Anfang. Kein lodernder Schlusspunkt, sondern ein leiser Aufbruch. Mitten in der Anspannung. Am Rand einer Entscheidung. Und der Tag ist noch lange nicht vorbei…

Update: Leider ist die erhoffte Ruhe nicht eingetreten – und die Nacht hat noch nicht einmal begonnen.

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Ela Gatto
Ela Gatto
4 Monate zuvor

Und Trump hat den Grundstein gelegt mit Allen Mitteln Proteste am 14.06.2025 einzudämmen oder gleich ganz zu verhindern

Katharina Hofmann
Admin
4 Monate zuvor
Antwort an  Ela Gatto

…da waren die Gewaltausschreitungen sehr hinderlich

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