Donald Trump erklärte nach den US-Luftangriffen im Nordwesten Nigerias, Ziel seien Kämpfer des Islamischen Staates gewesen, die vor allem Christen brutal ermordeten. Die Botschaft war klar, zugespitzt, anschlussfähig. Sie war aber auch irreführend. Denn was in der Nacht auf Donnerstag in Sokoto geschah, passt nur schlecht zu dieser Erzählung, es ist eine Lüge. Mehr als ein Dutzend Tomahawk-Raketen schlugen im Bundesstaat Sokoto ein, einer Region, die fast vollständig muslimisch geprägt ist und in der Muslime seit Jahren den Großteil der Opfer bewaffneter Gewalt stellen. Selbst der katholische Bischof von Sokoto, Matthew Hassan Kukah, hat wiederholt betont, dass es dort kein Problem systematischer Christenverfolgung gebe. Die Vorstellung eines gezielten Angriffs auf christliche Gemeinden hält der Realität vor Ort nicht stand.
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Auch die Frage, ob es sich bei den bewaffneten Gruppen in Sokoto überhaupt um Ableger des Islamischen Staates handelt, ist offen. Einige Analysten sehen mögliche Verbindungen zur Sahel-Provinz des IS, die vor allem in Mali, Niger und Burkina Faso aktiv ist. Andere halten diese Annahmen für dünn belegt. Recherchen ergeben das gleiche Bild. Die Gruppe, die lokal als Lakurawa bekannt ist, operiert seit Jahren in verschiedenen Bundesstaaten. Anfangs gewann sie Rückhalt, indem sie gegen Banditen vorging. Später wandte sie sich gegen die ländliche Bevölkerung selbst. Ihre Struktur ist unklar, ihre Loyalitäten wechselhaft.
In Nigeria findet kein Völkermord statt, und Christen werden dort auch nicht gezielt angegriffen“, erklärte der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union, Mahmoud Ali Youssouf, als Reaktion auf US-Präsident Trump. (13. November 2025)
Trotz der öffentlichen Zurückweisung von Trumps Rede von einem christlichen „Genozid“ entschied sich die nigerianische Regierung zur Zusammenarbeit. Man nutzte die Gelegenheit, amerikanische Feuerkraft gegen bewaffnete Gruppen einzusetzen, die ganze Landstriche destabilisieren. Außenminister Yusuf Tuggar machte deutlich, dass Abuja den Angriffen zugestimmt habe. Nach Gesprächen zwischen dem US-Verteidigungsministerium und Nigerias Militär habe es grünes Licht gegeben. Auch Präsident Bola Ahmed Tinubu sei eingebunden gewesen. Tuggar betonte zugleich, man habe darauf gedrängt, die Kommunikation nicht auf religiöse Fragen zu verengen.

Die US-Angriffe fanden im Nordwesten Nigerias, im Bundesstaat Sokoto State, statt, unter anderem nahe Jabo. Das ist eine Region, die überwiegend muslimisch geprägt ist und nicht zu den Gegenden gehört, in denen es die schweren, dokumentierten Angriffe auf christliche Gemeinden gibt.
Die Gebiete, in denen es tatsächlich regelmäßig zu Massakern, Überfällen auf Kirchen und gezielten Angriffen auf christliche Dörfer kommt, liegen vor allem im sogenannten Middle Belt Nigerias – insbesondere in Plateau State, Benue State und Teilen von Kaduna State. Dort treffen ethnische Konflikte, Landstreitigkeiten, Milizen und religiöse Spannungen aufeinander. Diese Regionen liegen mehrere Hundert Kilometer südöstlich von Sokoto.
Zur Einordnung der Entfernungen:
- Sokoto – Plateau (Jos): etwa 500 bis 600 Kilometer
- Sokoto – Benue: teils über 700 Kilometer
- Sokoto – Kaduna (Zentralregion): rund 400 Kilometer
Das sind keine Nachbargebiete, keine Randzonen, keine Überschneidungen. Militärisch wie gesellschaftlich handelt es sich um völlig unterschiedliche Konflikträume.
Auch das wird durch Stimmen vor Ort bestätigt: Der katholische Bischof von Sokoto, Matthew Hassan Kukah, sagt ausdrücklich, dass es in seiner Diözese keine systematische Christenverfolgung gibt. Die Gewalt dort trifft vor allem muslimische Dorfgemeinschaften, nicht christliche Minderheiten.
Resultat der Recherche:
Die Luftangriffe fanden weit entfernt von den Regionen statt, in denen Christen tatsächlich verfolgt oder angegriffen werden sollen. Wer behauptet, diese Angriffe seien eine direkte Antwort auf Christenverfolgung, vermischt bewusst unterschiedliche Konflikte – geografisch, religiös und politisch. Hier spielen ganz andere Interessen eine Rolle.
Nigeria stellte den USA nach eigenen Angaben auch Geheimdienstinformationen zur Verfügung. Ziel der Angriffe sei es gewesen, weitere Überfälle abzuschrecken. Luftschläge, so die Logik, seien etwas, dem sich die bewaffneten Gruppen kaum entziehen könnten. Ob dieses Ziel erreicht wurde, ist bislang unklar. Bereits am Freitagmorgen gab es Berichte, dass eines der getroffenen Gebiete am Rand der Stadt Jabo lag, wo nach Einschätzung von Beobachtern weder Terrorlager noch Banditenstützpunkte bekannt waren. Ein Bewohner von Jabo schilderte, wie er mitten in der Nacht ein dröhnendes Geräusch hörte, gefolgt von einer Sirene und einer Druckwelle, die beinahe Dächer anhob. Menschen liefen zu einem nahegelegenen Feld, weil sie einen Flugzeugabsturz vermuteten. Dort fanden sie Trümmer von Munition. Eine einfache Hütte brannte, verletzt wurde niemand. Von Terroristen wisse er nichts.

Auch das US-Militär räumte ein, dass eine Bewertung der Schäden Zeit brauche. Die Einschlagorte seien so abgelegen, dass erst nach Tagen klar werde, was tatsächlich getroffen wurde. Der Schlag fällt in eine Phase, in der Trump außenpolitische Drohungen gezielt mit innenpolitischen Botschaften verbindet. Bereits im vergangenen Monat hatte er Nigeria mit Angriffen oder der Entsendung von Truppen gedroht, sollte die Regierung nicht schnell handeln. Diese Wortwahl findet in Teilen seines politischen Umfelds Anklang, insbesondere bei Gruppen in den USA, die seit Jahren die These verbreiten, Christen würden in Nigeria gezielt verfolgt. Dass Nigeria ein Land mit Hunderten Millionen Muslimen und Christen ist, die gleichermaßen Opfer komplexer Gewalt werden, passt in dieses Bild nicht hinein.
Selbst wenn es zutreffen sollte, dass Muslime in Nigeria Christen gezielt wegen ihrer Religion angreifen, verleiht das einem amerikanischen Präsidenten keine einseitige rechtliche Befugnis, einen militärischen Einsatz der USA anzuordnen, solange keine unmittelbare Bedrohung der nationalen Interessen der Vereinigten Staaten vorliegt. (Moe Davis, U.S. Air Force, Veteran)
Sicher ist: Die am besten belegten Verbindungen zwischen nigerianischen Extremisten und dem Islamischen Staat finden sich im Nordosten des Landes. Wir haben immer, auch aus anderen Gründen, Recherchen zu diesen Gebieten durchgeführt. Dort ist die Provinz Islamischer Staat Westafrika aktiv, die sich einst von Boko Haram abspaltete. In dieser Region, etwa im Sambisa-Wald, hätte ein Angriff kaum überrascht. Sokoto hingegen liegt weit davon entfernt. Gleichzeitig dehnen bewaffnete Gruppen aus der Sahelzone ihren Aktionsradius nach Süden aus. Sie suchen neue Rückzugsräume, neue Routen, neue Rekruten. Der Sahel ist inzwischen für mehr als die Hälfte aller weltweiten Terroropfer verantwortlich. Nigerias Norden und die Küstenstaaten Westafrikas geraten dadurch zunehmend unter Druck.
„Kein Verfolgungsproblem“ – Was Sokoto wirklich prägt

Der katholische Bischof von Sokoto, Matthew Hassan Kukah, widerspricht der gängigen Darstellung einer systematischen Christenverfolgung im Norden Nigerias. In Sokoto, einer überwiegend muslimischen Region, gebe es kein grundsätzliches Problem der Verfolgung, sondern Einschränkungen der Freiheit, vor allem auf bürokratischer Ebene. Religiöse Praxis sei möglich, selbst öffentliche Prozessionen stellten kein Hindernis dar. Schwierigkeiten entstünden vor allem bei Genehmigungen für neue Kirchenbauten und beim Religionsunterricht an staatlichen Schulen. Kukah betont, diese Fragen seien lösbar, durch Gespräche und Verhandlungen. Das Zusammenleben mit der muslimischen Mehrheit beschreibt er als respektvoll, die Beziehungen zu muslimischen Verantwortungsträgern als konstruktiv. Seine Aussage zielt darauf, die Lage zu entdramatisieren, ohne bestehende Probleme zu leugnen. Sokoto, so Kukah, sei kein Schauplatz eines Religionskriegs, sondern ein Ort, an dem Koexistenz unter Druck steht, vor allem durch Gewalt jihadistischer Gruppen.
Geschichte, Bildung, Instrumentalisierung – Die Wurzeln der Gewalt
Die Ursachen jihadistischer Gewalt sieht Kukah nicht in einem religiösen Gegensatz, sondern in Geschichte und sozialer Realität. Vor der Kolonialzeit existierte im heutigen Norden Nigerias ein muslimisches Kalifat, das durch die britische Herrschaft zerschlagen wurde. Dieses Erbe wirke bis heute nach. Viele Menschen verknüpften Christentum fälschlich mit Kolonialismus, obwohl Missionare nicht zur Ausbeutung gekommen seien. Hinzu komme die massive Bildungslücke im Norden des Landes. Millionen Kinder hätten keinen Zugang zu Schule, aus Angst, Bildung könne zur Abkehr vom Islam führen. Während die muslimische Elite ihre Kinder gut ausbilden lasse, bleibe die breite Bevölkerung zurück. Diese Mischung aus Unwissen, Frustration und sozialer Ungleichheit habe Gruppen wie Boko Haram den Nährboden bereitet. Kukah betont, dass jihadistische Gewalt mehr muslimische als christliche Opfer gefordert habe. Wer von einem reinen Religionskonflikt spreche, verkenne die Realität.
Pastor Wale Adefarasin, leitender Pastor und eine prominente, seriöse Stimme der Guiding Light Assembly, weist Trumps falsche Behauptungen über einen angeblichen christlichen Völkermord in Nigeria zurück. (3. November 2025)
Vor diesem Hintergrund wirkt Trumps Darstellung ist sachlich nicht gedeckt, die mehr über politische Bedürfnisse in den USA aussagt als über die Lage in Nigeria. Der Schlag mag militärisch Teil einer breiteren Sicherheitskooperation sein. Die öffentliche Begründung jedoch blendet zentrale Fakten aus. Sie vereinfacht einen Konflikt, der sich jeder einfachen Zuordnung entzieht. Und sie riskiert, religiöse Linien zu betonen, wo die Gewalt längst andere Ursachen und andere Opfer hat.
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