Geschwärzte Wahrheit – Wie das Justizministerium Transparenz verspricht und nicht liefert

VonRainer Hofmann

Dezember 20, 2025

Das US-Justizministerium hat begonnen, Akten zum Fall Jeffrey Epstein zu veröffentlichen – und gleichzeitig eingeräumt, dass diese Veröffentlichung unvollständig ist. In einem Schreiben an den Kongress bestätigt das Ministerium, dass weitere Unterlagen erst bis zum Jahresende folgen sollen. Was bislang vorliegt, ist kein Durchbruch, sondern ein schmaler Ausschnitt aus einem Aktenberg, den die Behörde seit Jahren unter Verschluss hielt. Tausende Seiten wurden online gestellt, doch ein erheblicher Teil davon ist geschwärzt, vieles aber längst bekannt, manches wirkt ohne Zusammenhang oder Erklärung wie lose abgelegte Überreste.

Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Senator Chuck Schumer brachte die Kritik auf den Punkt. Ein bloßes Veröffentlichen eines riesigen Bergs geschwärzter Seiten verletze sowohl den Geist der Transparenz als auch den Buchstaben des Gesetzes. Besonders brisant ist ein Dokument aus dem Grand-Jury-Verfahren: Alle 119 Seiten sind vollständig geschwärzt. Kein Satz, kein Name, kein Hinweis bleibt sichtbar. Warum ein solches Dokument überhaupt veröffentlicht wird, wenn es vollständig unlesbar ist, bleibt unbeantwortet.

Das Justizministerium selbst räumt ein, dass es sich nicht um die vollständigen Akten handelt. In dem an den Kongress gerichteten Schreiben erklärt der stellvertretende Justizminister Todd Blanche, man prüfe weiterhin Unterlagen und rechne mit zusätzlichen Offenlegungen, wohl besser Schwärzungen, bis zum Ende des Jahres. Gleichzeitig beruft sich das Ministerium auf gesetzlich erlaubte Ausnahmen, um weitere Dokumente zurückzuhalten. Namen von Opfern würden konsequent entfernt, ebenso Materialien, die laufende Ermittlungen gefährden könnten oder sensible Inhalte wie Missbrauchsdarstellungen enthielten.

Veröffentlicht wurden unter anderem Fotos, Telefonprotokolle, Zeugenaussagen vor der Grand Jury und Vernehmungsprotokolle. Ein Großteil dieser Unterlagen ist jedoch stark geschwärzt oder längst bekannt. Besonders auffällig ist der enorme Anteil an Bildmaterial. Fast 80 Prozent der freigegebenen Dateien bestehen aus Fotos von FBI-Durchsuchungen in Epsteins Anwesen in New York und auf Little St. John auf den Amerikanischen Jungferninseln. Tausende Aufnahmen zeigen Räume, Möbel, Kunstwerke und persönliche Gegenstände – oft ohne Einordnung, ohne Erklärung ihrer Bedeutung für die Ermittlungen, nicht lohnenswert überhaupt zu zeigen. Da können wir unser eigenes Material weiter nehmen, was mehr aussagt, als dieser juristischer Witz.

Das Weiße Haus spricht dennoch von einem historischen Akt der Offenheit und Verwechselt Vertuschung mit Transparenz. Die Veröffentlichung zeige, so die Darstellung der Regierung, dass die Trump-Administration die transparenteste der Geschichte sei. Dabei bleibt, neben vielen Lachern, unerwähnt, dass diese Offenlegung nicht freiwillig erfolgte. Erst nachdem Republikaner im Kongress massiven Druck aufgebaut hatten, unterzeichnete Donald Trump am 19. November ein Gesetz, das dem Justizministerium eine Frist von 30 Tagen setzte. Zuvor hatte die Behörde erklärt, keine weiteren Akten veröffentlichen zu wollen.

Der Abgeordnete Ro Khanna erklärte: „Die heutige Aktenveröffentlichung des Justizministeriums entspricht nicht dem Epstein Transparency Act von Thomas Massie und mir. Unser Gesetz verpflichtet das Ministerium, Schwärzungen zu begründen. Es gibt keine einzige Erklärung dafür, warum dieses gesamte Dokument vollständig geschwärzt wurde.“

Währenddessen wächst der politische Streit. Abgeordnete wie Ro Khanna sprechen offen von Enttäuschung und fordern einen klaren Zeitplan für die vollständige Freigabe. Senator Jeff Merkley geht noch weiter und wirft der Regierung vor, das Gesetz bewusst zu missachten. Er kündigte an, alle rechtlichen Mittel zu prüfen, um eine vollständige Offenlegung zu erzwingen – nicht zuletzt im Namen der Opfer. Auch Betroffene selbst melden sich zu Wort. Marina Lacerda, eine der Frauen, die Epstein sexuellen Missbrauch vorwerfen, fordert nichts anderes als die vollständige Veröffentlichung der Akten. Man solle die Unterlagen einfach herausgeben und aufhören, Namen zu schwärzen, die nicht geschützt werden müssten. Das Misstrauen gegenüber den Beteuerungen der Regierung ist tief. Erst seien die Opfer als Erfindung abgetan worden, nun verspreche man Transparenz – liefere sie aber nicht.

Bill Clinton in einem Swimming Pool – Darauf hatte die Welt gewartet. Substanz des Fotos ist gleich Null.

Zusätzliche Aufmerksamkeit erzeugen politische Nebenkriegsschauplätze. Mitarbeiter des Weißen Hauses verbreiten in sozialen Netzwerken Fotos aus den Akten, die Bill Clinton zeigen, teils mit unkenntlich gemachten Personen. Clinton wurde nie eines Fehlverhaltens im Zusammenhang mit Epstein beschuldigt, doch die gezielte Hervorhebung dieser Bilder durch Regierungsvertreter zeigt, wie sehr die Veröffentlichung auch als politisches Instrument genutzt wird. Clinton ist im Zusammenhang mit Epstein nie beschuldigt worden, und die bloße Nennung seines Namens oder die Aufnahme von Fotos in Ermittlungsunterlagen erlaubt keinen Schluss auf ein schuldhaftes Verhalten.

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, kommentierte ein Bild, das Clinton in einem Whirlpool mit einer Frau zeigt, deren Gesicht geschwärzt ist, mit dem Ausruf „Oh my!“ und einem schockierten Emoji. Eine andere Reaktion war nicht zu erwarten, von einer Frau, die wie an der Leine geführt Donald Trump hörig ist. Welche Folgen das für sie ab 2028 haben könnte, bleibt dann abzuwarten.

Das Justizministerium betont, mehr als 200 Juristen hätten an der Sichtung der Akten gearbeitet. 187 davon aus dem Bereich der nationalen Sicherheit, weitere Anwälte aus Datenschutz- und Informationsabteilungen zur Qualitätskontrolle. Ziel sei es gewesen, Opfer zu schützen und zugleich so viel wie möglich offenzulegen. Gleichzeitig warnt das Ministerium selbst, dass aufgrund des Zeitdrucks versehentlich sensible Informationen veröffentlicht worden sein könnten – und bittet die Öffentlichkeit, entsprechende Hinweise zu melden. Für die breite Öffentlichkeit wirken die am Freitag freigegebenen Akten oft verwirrend – vor allem wegen der zahlreichen Schwärzungen und der fehlenden Einordnung. Strafverteidiger und Staatsanwälte hingegen erkennen darin das typische Rohmaterial eines Verfahrens: eine Fülle einzelner Belege, von Fotos und Videos bis hin zu Notizen aus FBI-Vernehmungen. Aus genau solchen Einzelteilen versuchen Ankläger später, eine nachvollziehbare Abfolge von Taten zu formen, die sie einer Jury präsentieren können.

Ein besserer IKEA-Katalog

Der überwiegende Teil dieses Materials erreicht allerdings nie einen Gerichtssaal und wird normalerweise auch nie öffentlich. Hinzu kommt, dass die jetzt veröffentlichten Unterlagen besonders schwer zu lesen sind. Da wir diesen gesamten Fall extrem gut kennen, sehen wir bereits nach einer kurzen Sichtung, dass die Dokumente und Bilder aus mindestens vier unterschiedlichen Ermittlungen stammen, teilweise auch aus zusammengeführten Ermittlungen – aus staatlichen und bundesweiten Verfahren in Florida vor rund zwei Jahrzehnten, sowie aus späteren Bundesermittlungen der vergangenen sechs Jahre, die schließlich zu den Anklagen gegen Epstein und Maxwell in New York führten.

Nicht wirklich relevant, war über Jahre bekannt.

Am Ende bleibt ein widersprüchliches Bild. Eine Veröffentlichung, die als gesetzlich erzwungene Pflicht begann, wird als Transparenz verkauft, obwohl sie ein Witz ist. Vollständig geschwärzte Dokumente stehen neben tausenden Fotos ohne Kontext. Die zentrale Zusage, Licht in eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren US-Geschichte zu bringen, ist bislang nicht eingelöst. Die entscheidende Frage bleibt offen: Ob die angekündigten weiteren Akten tatsächlich Klarheit schaffen – oder ob auch sie am Ende vor allem eines liefern werden: mehr Seiten, mehr Schwärzungen und neue Gründe für Misstrauen.

Trump hat sich mit diesem Vorgehen selbst massiv geschadet. Er hat sich einen klassischen Bärendienst erwiesen. Neben weiterem Vertrauensverlust und dem Abwandern von Wählern drängt sich eine weit gravierendere Frage auf: Warum riskiert ein Präsident seine politische Glaubwürdigkeit durch Schwärzungen und nahezu vollständige Intransparenz? Wer seine eigene Standfestigkeit derart offen aufs Spiel setzt, tut das nicht leichtfertig. Man geht diesen Weg nur, wenn die Alternative als noch gefährlicher erscheint. Wenn Offenheit mehr Schaden anrichten würde als das Eingeständnis von Blockade und Verschleierung. Genau diesen Weg hat Trump nun eingeschlagen. Und damit selbst das Signal gesetzt, dass das, was zurückgehalten wird, womöglich weit schwerer wiegt, als viele bislang angenommen haben.

In eigener Sache
Liebe Leserin, lieber Leser des Kaizen Blog,
genau jetzt, in diesem Moment, sind alle von uns überall an vielen Orten im Einsatz und erleben Geschichte hautnah mit. Möglich ist das auch deshalb, weil Leserinnen und Leser wie Sie verstehen, dass jemand vor Ort sein muss – nicht aus der Ferne berichten, sondern miterleben, dokumentieren, Zeugnis ablegen. Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus, der Menschenrechte verteidigt und rechtspopulistischer Politik widerspricht.
Kaizen unterstützen

Updates – Kaizen Kurznachrichten

Alle aktuellen ausgesuchten Tagesmeldungen findet ihr in den Kaizen Kurznachrichten.

Zu den Kaizen Kurznachrichten In English
Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
1 Kommentar
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Ela Gatto
13 Stunden zuvor

Hat irgendein normal denkender Mensch etwas anderes erwartet?
Wobei die massive Schwärzung sogar meine Befürchtungen noch übertroffen hat.

Opfernamen müssen geschützt werden.
Da besteht kein Zweifel.
Aber mir will doch keiner weiß machen, dass es sich hier um eine Aneinanderreihung von hunderten Opfernamen handelt, dass man ganze Seiten schwärzen muss.

Und dann wurde eben nur ein Bruchteil veröffentlicht.

Das man Clinton in den Mittelpunkt schieben würde, war auch absehbar.
Seit der Monika-Lewinsky-Affäre ist er in „sexuellen Belangen“ ein Lieblingsopfer der Republikaner.
Auch die Vorladung der Clintons VOR Veröffentlichung der Fotos war ein Hinweis, wo die „Transparenz und Ermittlungen“ hin gehen sollen.

Und ja, MAGA fällt drauf rein.
Kein Trump auf den Fotos, aber zigmal Clinton.
Lesen überfordert den durchschnittlichen MAGA wahrscheinlich ohnehin. Somit sind für den die geschwärzten Seiten nur Nebensache.

Aber es gibt zum Glück noch Andere. Parteiübergreifend, die diese unvollständigen Akten und zusammenhangslosen deutlich kritisieren.

Die Frage ist, hat dies juristische Konsequenzen?
Es sollten alle Epstein Files offen gelegt werden. Nur die Namen der Opfer geschwärzt werden.
Der Rückhalt des Gros der Dokumente und diese massive Schwärzung stellt doch einen eklatanten Verstoss da.
Kann dagegen vorgegangen werden?
Wahrscheinlich nicht.

Und Trump?
Der grinst sich eins, weil er weiß, dass Bondi ihren Job für ihn machen wird.
Derzeit zweifel ich, dass ihm das wirklich auf die Füße fällt.
Dazu braucht es deutlich mehr Kritik, auch von einflussreichen Republikanern. Das sehe ich derzeit nicht

1
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x