Schon beim Betreten des Saals war spürbar, dass diese Anhörung nicht routiniert ablaufen würde. Seit Noem im Mai zuletzt vor dem Kongress erschien, hat sich die Lage in Amerikas Städten weiter zugespitzt. Überall dort, wo ihr Ministerium Migrations- und Sondereinsätze durchführt, prallen Behörden, Aktivisten und Anwohner aufeinander. Die Konflikte sind kein Randphänomen mehr, sondern Ausdruck eines Landes, in dem die Grenzen zwischen Vollzug, Politik und persönlicher Loyalität immer stärker verwischen.
Kaum hatte Noem Platz genommen, riefen Demonstranten „Stoppt die Deportationen“ und „Beendet die ICE-Razzien“. Capitol Police entfernte die Protestierenden aus dem Saal, doch der Ton der Sitzung war gesetzt. Noem wollte ihre vorbereitete Erklärung abgeben, doch die Demokraten wechselten schnell in den Angriffsmodus. Bennie Thompson verlangte ihre sofortige Entlassung, mit der Begründung, sie habe Milliarden umgeleitet, um Trumps Agenda durchzusetzen, und gleichzeitig Anfragen des Kongresses ignoriert. „Tun Sie dem Land einen Dienst und treten Sie zurück“, sagte Thompson. Noem reagierte knapp und wich aus.
Ramirez an Noem: „Sie haben eine Falschaussage ins Protokoll gegeben. Sie haben dieses Komitee belogen. Und unter Ihrer Verantwortung wurden Abschiebeflüge nach El Salvador geschickt – entgegen gerichtlicher Anordnungen –, wo Hunderte berichteten, dass sie vergewaltigt, geschlagen oder beinahe getötet wurden.“
Wir können diese Vorfälle nur bestätigen, da wir in El Salvador waren, um dort Inhaftierte wieder aus dem CECOT herausbekommen. Siehe zum Beispiel unseren Artikel: „Der Kampf hat sich gelohnt – Andry Hernández Romero, das CECOT und das doppelte Exil eines Überlebenden“ – unter dem Link: https://kaizen-blog.org/der-kampf-hat-sich-gelohnt-andry-hernandez-romero-das-cecot-und-das-doppelte-exil-eines-ueberlebenden/
Es gelang uns auch damals, mit viel Hilfe, verdeckte Aufnahmen aus dem CECOT zu erhalten. Das Video ist nichts für schwache Nerven:
Delia Ramirez ging weiter. Sie warf Noem öffentlich vor, „ohne Rechenschaft, ohne Rechtsgrundlage und ohne Verfassungstreue“ gegen ganze Gemeinschaften vorzugehen. Ramirez zeigte mehrere Videos, in denen Noem einmal behauptet, man gehe nur gegen Menschen ohne legalen Status vor, und ein anderes Mal, man konzentriere sich auf die „Schlimmsten der Schlimmen“. Ramirez sagte: „Sie lügen den Menschen ins Gesicht.“ Der Satz blieb im Raum stehen.
Als Nächstes landete der Fall der venezolanischen Tankerseizure auf dem Tisch. Noem verband den Einsatz mit einer angeblichen Anti-Drogen-Strategie und behauptete, die Regierung habe genug Kokain beschlagnahmt, um „177 Millionen Amerikaner zu töten“. Trump hatte tags zuvor erklärt, der Tanker transportiere „schwarzes Marktöl“, und rechtfertigte damit das militärische Vorgehen. Kritiker sprachen von Eskalation ohne klare Belege.
Der Abgeordneter Seth Magaziner konfrontierte Heimatschutzministerin Kristi Noem mit der mutmaßlich rechtswidrigen Abschiebung eines Militärveteranen. Auch hier konnten wir dutzende von Fälle dokumentieren und mehr noch: Auch Ehefrauen von Soldaten oder Veteranen wurden grundlos bei Green-Card- Terminen abgeschoben
Siehe dazu ebenfalls unseren Artikel: „Green-Card-Termine werden zur Falle – wir kommen kaum noch hinterher, wie Militärfamilien auseinandergerissen werden“ – unter dem Link: https://kaizen-blog.org/green-card-termine-werden-zur-falle-wir-kommen-kaum-noch-hinterher-wie-militaerfamilien-auseinandergerissen-werden/
Auch die Deportationen rückten in den Fokus. Seth Magaziner zeigte Fälle, die kaum erklärbar waren: Familien mit US-Kindern, Menschen mit gültigen Arbeitspapieren, ein Veteran mit Auszeichnung. Einer davon erschien per Video und schilderte, wie er abgeschoben wurde, obwohl er im Einsatz für die USA verletzt worden war. „Sie erkennen noch immer nicht den Unterschied zwischen gefährlichen Tätern und Menschen, die einfach ein Leben führen wollen“, sagte Magaziner. Noem wich aus, versprach „Einzelfallprüfungen“, ohne die Praxis zu hinterfragen.
Währenddessen drängte ein anderer Konflikt in die Anhörung: die stillgelegten FEMA-Programme. Ein Bundesgericht in Massachusetts hatte Stunden zuvor entschieden, dass die Trump-Regierung die gestrichenen BRIC-Mittel im Umfang von 3,6 Milliarden Dollar wieder auszahlen muss. 22 Staaten und der District of Columbia hatten geklagt und gewonnen. Das Urteil war deutlich. Budgets lassen sich nicht mit einem Federstrich des Präsidenten kassieren. Noem versuchte, die Kürzungen zu verteidigen, sprach von einer angeblichen „Umwidmung für den Green New Deal“. Die Tatsachen standen gegen sie. Während sie über „Effizienz“ redete, wiesen Abgeordnete darauf hin, dass sie persönlich jede Ausgabe über 100.000 Dollar freigeben müsse – eine Regel, die vielerorts Hilfen verzögert hat.
Dann verließ Noem plötzlich die Anhörung. Sie erklärte, zu einem Treffen des FEMA-Reformrats zu müssen. Die Demokraten werteten das als Flucht. Julie Johnson kommentierte: „Ich gehe davon aus, dass sie meinen Fragen ausweichen wollte.“ Auf dem Weg nach draußen folgten Noem erneut Protestierende, die ihr „Schande!“ zuriefen.
Bennie Thompson griff danach die Einstufung von Antifa auf. Er wollte wissen, wie die Regierung eine dezentrale Protestbewegung als „terroristische Organisation“ einstufen konnte. Es gab keine Antworten. Michael Glasheen vom FBI sprach vage von „Strukturen im Aufbau“. Thompson fragte erneut nach Belegen, Zahlen, Orten. Nichts kam.
Die Anhörung eskalierte weiter, als Thompson den tödlichen Angriff auf zwei Nationalgardisten ansprach. Er nannte es einen „tragischen Unfall“. Noem fuhr ihm dazwischen: „Unfall? Das war ein Terroranschlag.“ Nach kurzer Auseinandersetzung führte sie die Schuld auf die Asylprüfung zurück, die unter der vorherigen Regierung stattgefunden habe. Der Streit zeigte, wie schnell selbst geteilte Fakten zu politischen Schusslinien werden.
Der gesamte Tag machte sichtbar, wie zerrissen die Linie der Regierung inzwischen wirkt. Trump fordert maximale Härte, Noem setzt sie um, doch sie verliert zunehmend Rückhalt in den eigenen Strukturen. Die Städte reagieren gereizt, die Gerichte sprechen Urteile, die sich gegen das Weiße Haus richten, und selbst im Kongress wächst der Widerstand. Während republikanische Vorsitzende um Fassung bemüht sind, arbeiten die Demokraten daran, jede Schwachstelle offenzulegen. Die Sitzung war ein Debakel eines Systems, das unter enormem Druck steht. Noem sollte Stärke demonstrieren, doch am Ende blieb das Bild einer Regierung, die sich gegen Bürger, Bundesstaaten und Gerichte gleichzeitig verhärtet hat – und einer Ministerin, die diese Widersprüche nicht mehr einfangen kann und nicht mehr haltbar ist.
Investigativer Journalismus braucht Mut – und Ihre Unterstützung.
Unterstützen Sie unsere Recherchen gegen Rechtspopulismus, Desinformation sowie Menschen- und Umweltrechtsverletzungen. Jeder Betrag fliesst in unsere tägliche Arbeit – Wir arbeiten ohne Werbung, ohne Abos, ohne Unternehmen, ohne Parteien. Unsere Berichterstattung soll frei zugänglich bleiben. Für jede und jeden.
Unabhängig – Kritisch – Für alle
Danke, dass Sie unsere unabhängige Arbeit möglich machen.
Updates – Kaizen Kurznachrichten
Alle aktuellen ausgesuchten Tagesmeldungen findet ihr in den Kaizen Kurznachrichten.
Zu den Kaizen Kurznachrichten In English