Öltanker gekapert, Jets, Drohnenkrieg – Trumps Handlungen werden mehr und mehr zum Fall für den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte

VonRainer Hofmann

Dezember 11, 2025

Arauca, Kolumbien – Donald Trump hat den Ton in der Karibik noch einmal verschärft. Ein Öltanker, die Skipper, wurde in internationalen Gewässern vor Venezuela von der Küstenwache gestoppt, eingeschwebt von einem Hubschrauber des Flugzeugträgers USS Gerald R. Ford, der seit Wochen demonstrativ vor Ort kreuzt. Trump verkündete den Zugriff bei einem Termin im Weißen Haus, als handle es sich um eine Randnotiz – und setzte mit einem Satz die Welt ins Staunen: Was mit dem Öl passiere? „Wir behalten es, nehme ich an.“ Die Nonchalance, mit der ein Präsident über fremdes Eigentum spricht, trifft auf eine Operation, deren rechtliche Grundlage selbst im eigenen Regierungsapparat kaum jemand offen erklären will.

Wie die Operation ablief, zeigen die Videos aus dem Büro von Pam Bondi: ein Hubschrauber der USS Gerald R. Ford schwebt wenige Meter über dem Deck, während Einsatzkräfte sich per Seil ablassen und die Zugänge des Schiffes sichern. Später bewegen sie sich mit gezogenen Waffen durch die Aufbauten des Tankers – ein Bild, das mehr an eine verdeckte Militäroperation erinnert als an eine klassische Maßnahme der Küstenwache. Dass ausgerechnet Bondi, nicht das Pentagon, die Bilder zuerst verbreitete, hat in Washington für Stirnrunzeln gesorgt. Der Flugzeugträger operiert erst seit wenigen Wochen in der Karibik, doch sein Einsatzradius bestimmt inzwischen den gesamten politischen Raum, in dem Trump seine Entscheidungen trifft.

Das Video zur Beschlagnahmung des Öltankers ist veröffentlicht. Auffällig ist, dass der erste Post nicht aus dem Verteidigungsministerium von Pete Hegseth kam, sondern aus dem Büro von Pam Bondi

Hinter den Kulissen heißt es, ein versiegelter Haftbefehl richte sich gegen die Skipper, weil sie früher iranisches Öl geschmuggelt habe. Dass sie jetzt venezolanische Ladung transportierte, macht die Sache heikler: Caracas sieht darin einen direkten Angriff auf seine wirtschaftliche Lebensader. Die Skipper soll unter falscher Flagge unterwegs gewesen sein, ihr Ziel war angeblich Asien. Drei US-Beamte bestätigten die Aktion, anonym versteht sich, und betonen, die Crew habe sich nicht gewehrt. Es ist ein Zugriff, der weit über das Schiff hinausreicht. Die USA wollen nach Informationen aus Washington weitere Tanker ins Visier nehmen, um Nicolás Maduros Regierung finanziell zu treffen. Ein Schritt, der nicht nur Ölpreise erschüttern könnte, sondern eine fragile Nation weiter ins Chaos treibt.

Weitere Informationen und Dokumente aus dem Umfeld von PDVSA zeigen, dass rund die Hälfte der knapp zwei Millionen Barrel Rohöl an einen staatlichen kubanischen Importeur gebunden war. Damit gewinnt die Beschlagnahmung eine geopolitische Schärfe, die weit über die Operation auf See hinausgeht: Es geht nicht nur um venezolanisches Öl, sondern um ein Geflecht aus staatlichen Abhängigkeiten, politischen Allianzen und jahrzehntelangen Energieversprechen zwischen Caracas und Havanna. Wir konnten durch Recherchen feststellen, dass rund die Hälfte der Ladung für Cubametales bestimmt war, den staatlichen kubanischen Ölimporteur, der seit Jahren eine zentrale Rolle im Energieaustausch zwischen Havanna und Caracas spielt. Dieses Unternehmen wurde bereits 2019 vom US-Finanzministerium sanktioniert, weil es trotz Embargos venezolanisches Öl weiter nach Kuba leitete und damit die politische Bindung beider Staaten absicherte. Dass nun ausgerechnet eine solche Lieferung abgefangen wurde, verleiht der Operation eine zusätzliche politische Sprengkraft. Sie trifft nicht nur Venezuela, sondern zugleich eines der letzten echten Bündnisse der Region – und damit einen Pfeiler, den Washington seit Langem zu schwächen versucht.

Die Skipper selbst war kein unbeschriebenes Blatt. Früher unter dem Namen Alisa unterwegs, wurde sie 2022 von den USA sanktioniert, weil sie Teil eines Schattennetzwerks gewesen sein soll, das im Auftrag der Revolutionsgarden Irans und der libanesischen Hisbollah Rohöl transportierte. Geführt wurde dieses Netzwerk laut US-Finanzministerium von einem ukrainischen Händler mit Sitz in der Schweiz – ein weiteres Indiz dafür, wie sehr der globale Ölmarkt von diskreten Strukturen durchzogen ist, die von großen Staaten stillschweigend genutzt oder bekämpft werden.

Parallel dazu kreisen amerikanische Kampfjets so nah an der venezolanischen Grenze wie noch nie in dieser Amtszeit. Zwei F/A-18 der Navy flogen über den Golf von Venezuela, nur Minuten entfernt vom Luftraum eines Landes, dessen Präsident seit Monaten warnt, die USA wollten ihn stürzen. Offiziell ist von einer „Routineübung“ die Rede, doch der Zeitpunkt passt zu einer massiven Militärpräsenz, die im Herbst abrupt hochgefahren wurde: über 15.000 Soldaten, mehrere Zerstörer, Lenkwaffenkreuzer, der größte Flugzeugträger der Welt. Trump kündigt nun an, „Bodenangriffe“ könnten bald folgen, ohne ein Wort darüber zu verlieren, wen oder was genau er treffen will.

Die Zahl der getöteten Menschen bei den Bootsangriffen spricht eine eigene Sprache. Mindestens 87 Menschen starben in 22 Schlägen seit September, darunter zwei Überlebende, die nach dem ersten Treffer im Wasser trieben und durch einen zweiten Angriff ums Leben kamen. Der Druck auf das Pentagon steigt, die ungeschnittenen Einsatzvideos herauszugeben. Doch Verteidigungsminister Pete Hegseth zögert. Der Kongress verlangt Antworten, während die Regierung gleichzeitig weiter eskaliert. Der Verdacht liegt offen: Die Linie zwischen Drogenbekämpfung und verdeckter Kriegsführung verschwimmt.

Der Öltanker Skipper

Der Moment hätte nicht heikler sein können. Am selben Tag wurde in Oslo der Friedensnobelpreis an María Corina Machado verliehen – eine venezolanische Oppositionsführerin im Exil. Während Europa sie ehrt, führt die US-Regierung einen militärischen Feldzug, der das Land, aus dem sie vertrieben wurde, an den Rand eines internationalen Konflikts treibt. Trump telefoniert zwar sporadisch mit Maduro, träumt angeblich von einem Treffen, doch zugleich erklingen in Washington Stimmen, die offen darüber sprechen, Ölfelder zu besetzen oder den Präsidenten selbst auszuschalten.

Die Region verfolgt diese Entwicklung mit wachsender Angst. Es geht längst nicht mehr nur um ein Schiff, einen Tanker, ein paar Flugstunden über dem Meer. Es geht um die Frage, ob eine Großmacht sich das Recht nimmt, nach Belieben zuzugreifen – und ob ein Präsident, der „wir behalten es“ sagt, den Völkerrechtsrahmen überhaupt noch anerkennt. Mehrere Menschenrechtsgruppen prüfen, neben bereits eingereichten weiteren Klagen, bereits Schritte vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Für sie ist klar: Wenn ein Staat militärische Gewalt in einem Gebiet einsetzt, in dem Zivilisten sterben, Güter vereinnahmt und die Lage bewusst eskalieren lässt, dann steht nicht nur ein politischer Streit im Raum, sondern eine mögliche Verletzung internationaler Verpflichtungen.

In Caracas hat man die Botschaft verstanden. Die Regierung spricht offen von „internationaler Piraterie“ und einem „offenen Diebstahl“, der die wahren Absichten der USA enthülle. Die Erklärung liest sich wie ein Dokument der Erschöpfung und des Zorns: Es sei nie um Demokratie, nie um Menschenrechte gegangen, sondern um Ressourcen, die ausschließlich dem venezolanischen Volk gehörten. Diese Worte sind nicht neu, aber durch die Beschlagnahmung erhalten sie eine andere Wucht. Für die Regierung Maduro ist der Zugriff auf die Skipper ein Beweis dafür, dass Washington bereit ist, wirtschaftliche Lebensadern direkt anzutasten – auch dort, wo internationales Recht unklar, umstritten oder schlicht ignoriert wird.

So entsteht ein Bild, das Trump selbst kaum wahrhaben will: Die Skipper ist nicht nur ein Tanker. Sie ist ein Fall, an dem sich entscheidet, wie weit ein Präsident gehen kann, bis internationales Recht ihn einholt. Und es ist ein Moment, in dem die Welt zuschaut, wie nahe die Karibik einer Katastrophe kommt, die nicht aus Versehen entsteht, sondern aus Berechnung.

Die Welt kann nicht länger so tun, als ginge sie das alles nichts an. Auch Europa sieht zu, während investigative Journalisten und Menschenrechtsorganisationen die Arbeit übernehmen, zu der Regierungen entweder zu feige oder zu bequem sind. Es ist ein Armutszeugnis für die internationale Gemeinschaft und Gesellschaft, wenn Opferfamilien, Journalisten und NGOs Klagen vor dem Interamerikanischen Gerichtshof einreichen müssen, weil staatliche Stellen ihre Verantwortung verweigern. Wenn demokratische Staaten hier weiter schweigen, sind sie nicht mehr nur Beobachter.

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