Das Weiße Haus gibt sich entschlossen. Ein Navy-Admiral habe „im Rahmen seiner Befugnisse und der geltenden Gesetze“ gehandelt, als er am 2. September einen zweiten Schlag gegen ein mutmaßliches Drogenboot befahl. So präsentiert es die Regierung am Montag – doch die Zweifel reißen nicht ab. Zu viele Widersprüche, zu viele Tote, zu viele offene Fragen. Seit Wochen wächst der Druck aus dem Kongress, und anders als sonst kommen die Einwände diesmal von beiden Parteien. Denn im Raum steht ein Vorwurf, der jede politische Verteidigung zerreißt: Sollte der zweite Angriff tatsächlich Überlebende getroffen haben, wäre das ein Verstoß gegen das Völkerrecht.
Während die Sprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, versucht, die Vorgänge zu ordnen, rückt ein Satz aus ihrem Briefing besonders in den Vordergrund. Sie stellt nicht in Abrede, dass es nach dem ersten Treffer Menschen gab, die nicht mehr kämpfen konnten. Trotzdem hält sie an der Darstellung fest, der befehlende Admiral habe die Bedrohung „eliminiert“ und die Operation sei vollständig rechtmäßig gewesen. Damit widerspricht sie nicht ausdrücklich dem Zeitungsbericht, der den Stein ins Rollen brachte – sie erklärt ihn nur für irrelevant. Dass der Präsident am Vortag äußerte, er hätte keinen zweiten Schlag gewollt, macht die Sache nicht einfacher.
Im Kapitol zeigen sich Demokraten und Republikaner selten so einig wie in diesen Stunden. Tim Kaine aus Virginia sagt offen, dass der Vorwurf, falls er sich bestätigt, die Schwelle zu einem Kriegsverbrechen überschreitet. Mike Turner aus Ohio, ein Republikaner mit enger Bindung zur Streitkräfte-Community, bezeichnet einen gezielten Angriff auf Überlebende als eindeutig illegal. Beide verweisen auf die laufenden Untersuchungen in Senat und Repräsentantenhaus. In der Sprache Washingtons ist das ein ungewöhnliches Signal: Die Ausschüsse wollen Dokumente sehen, Zeugenaussagen hören, jede Entscheidung nachvollziehen. Die Regierung hat darauf keinen direkten Einfluss.
Rep. Mike Turner über den doppelten Schlag zur Ausführung von Hegseths angeblichem Befehl: „Wenn das so passiert ist, wäre das sehr ernst und ich stimme zu, dass es ein illegaler Akt wäre … Das liegt völlig außerhalb dessen, was mit dem Kongress besprochen wurde, und es läuft eine Untersuchung.“
John Thune, republikanischer Mehrheitsführer im Senat, begrüßt, dass die Streitkräfteausschüsse die Vorfälle prüfen. Er vermeidet es, Hegseth direkt zu bewerten, sagt aber, man brauche alle Einzelheiten zu den Schlägen gegen mutmaßliche Drogenboote. Die Ausschüsse müssten klären, welche Befehle wann gegeben wurden. Thune warnt davor, voreilige Schlüsse zu ziehen, bevor alle Fakten auf dem Tisch liegen. Diese Haltung zeigt, wie die Führung der Republikaner versucht, einen Spagat hinzubekommen: Sie will nicht in den Verdacht geraten, Kriegsrechtsverstöße zu decken, aber auch nicht vorschnell einen Minister opfern, den sie selbst mitgetragen hat.

Trump wiederum stellt sich schützend vor seinen Verteidigungsminister. Pete habe niemals den Tod der beiden Männer angeordnet, erklärt er und fügt hinzu, dass er ihm glaubt. Es ist die gleiche Mischung aus Loyalität und Abgrenzung, die Trump gern nutzt, wenn ihm ein Vorfall politisch entgleiten könnte. Hegseth selbst reagiert auf X mit scharfen Angriffen auf die Presse. Er spricht von erfundenen Geschichten, von Versuchen, Soldaten zu diskreditieren. Ein Muster, das sich durch seine gesamte Amtsführung zieht: Kritik soll als Angriff dargestellt werden, bevor sie überhaupt geprüft wird.
Doch selbst wenn die Regierung die Ereignisse als klar rechtmäßig darstellt, ändern sich die Fakten nicht. Seit dem Sommer fliegt das US-Militär in der Karibik und im östlichen Pazifik eine Serie tödlicher Einsätze. Mehr als achtzig Menschen sind dabei ums Leben gekommen, viele davon in kleinen Booten, die angeblich für Drogenkartelle arbeiten. Washington behauptet, ein Teil dieser Gruppen werde von Venezuelas Präsident Maduro gesteuert. Deshalb erwägt die Regierung bereits Schläge gegen Ziele auf dem venezolanischen Festland. Es ist eine Eskalation, die weit über den ursprünglichen Ansatz hinausgeht, maritime Schmuggelrouten zu unterbrechen.

Trump bestätigte inzwischen, was wir bereits am 29.11. veröffentlicht hatten, dass er kürzlich mit Maduro telefoniert habe. Was in dem Gespräch gesagt wurde, lässt er offen. Doch die politische Lage spricht eine deutlichere Sprache. Die Nationalversammlung in Caracas hat nun eine eigene Untersuchung zu den tödlichen Angriffen eingeleitet. Zum ersten Mal bestätigt ein Maduro-Vertrauter öffentlich, dass Venezolaner unter den Getöteten sind. Der Präsident der Versammlung, Jorge Rodríguez, kündigte an, die Abgeordneten würden klären, „welche Ereignisse zum Tod venezolanischer Bürger in den Gewässern der Karibik geführt haben“.
Damit hat der Konflikt eine neue Dimension erreicht. Es geht nicht mehr nur um die Frage, ob der zweite Schlag rechtmäßig war. Es geht darum, dass ein ganzer Einsatzkomplex nun auf dem Tisch liegt: internationale Verantwortung, politische Absicht, militärische Grenzen und die Frage, wie weit ein Präsident gehen darf, wenn er behauptet, das Land zu schützen. Der Septemberangriff war nur ein Punkt auf der Karte. Jetzt zeigt sich, dass die Wellen, die er schlägt, Washington und Caracas zugleich erfassen – und eine Geschichte schreiben, die mit Fragen nach Verantwortung, Völkerrechtsbruch und politischer Schuld erst beginnt.
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