In Washington wächst an diesem Wochenende die Nervosität über einen Einsatz, der eigentlich als Teil eines routinierten Anti-Drogen-Kriegs verkauft wurde. Seit Monaten lässt die Regierung vor der Küste Lateinamerikas Boote beschießen, die angeblich Drogen in Richtung USA transportieren. Mindestens siebzehn Mal endete ein solcher Angriff tödlich, immer mit der gleichen Botschaft: entschlossene Härte gegen Kartelle, von denen das Weiße Haus behauptet, sie würden aus Caracas gesteuert. Doch ein Bericht über den Einsatz vom 2. September hat diese Erzählung zerrissen – und die Frage in den Raum gestellt, ob ein amerikanischer Verteidigungsminister einen Befehl erteilt haben könnte, der nach internationalem Recht schlicht verboten ist.
Es war am 3. Oktober bereits der vierte Angriff dieser Art seit September. Am 2. September meldete das US-Militär den Tod von elf Menschen auf einem Boot, das Trump in einem Social-Media-Post dem „Tren de Aragua“-Kartell zuordnete. Am 15. und 19. September folgten weitere Attacken, jeweils mit mehreren Toten, auch hier ohne Beweise, wer die Opfer waren. Mit dem jüngsten Schlag vom 3. Oktober summiert sich die Bilanz auf mindestens 21 Tote. Mit Stand von heute liegt die Anzahl von Toten bei über 80
Auslöser ist, dass Verteidigungsminister Pete Hegseth bei dem Angriff am 2. September mündlich angeordnet haben soll, sämtliche Überlebenden eines ersten Raketenschlags zu töten. Der Verdacht ist so schwer, dass am Sonntag gleich mehrere Abgeordnete und Senatoren vor die Kameras traten. Tim Kaine, Demokrat aus Virginia, brachte die Dimension des Vorwurfs in einem Satz auf den Punkt: Wenn diese Darstellung stimmt, dann reden wir über ein Kriegsverbrechen. Damit war der Rahmen gesetzt – und es war klar, dass sich die Regierung nicht mit einem Achselzucken aus der Affäre ziehen kann.
Auf republikanischer Seite versucht man, den Schaden zu begrenzen, ohne den Ernst der Lage zu leugnen. Mike Turner, Republikaner aus Ohio und einflussreicher Mann im sicherheitspolitischen Lager, erklärte, dem Kongress lägen bislang keine Beweise für einen gezielten zweiten Schlag gegen bereits kampfunfähige Menschen vor. Gleichzeitig räumte er ein, dass ein solcher Befehl eindeutig illegal wäre. Er verwies darauf, dass die Verteidigungsausschüsse in beiden Kammern – im Senat wie im Repräsentantenhaus – Untersuchungen eingeleitet haben. Allein, dass Turner das so offen sagt, zeigt, wie weit der Verdacht inzwischen in das Zentrum der amerikanischen Politik vorgedrungen ist.

Im Hintergrund haben sich die entscheidenden Köpfe längst sortiert. Im Senat traten Roger Wicker, Republikaner aus Mississippi und Vorsitzender des Streitkräfteausschusses, und Jack Reed, Demokrat aus Rhode Island, mit einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit. Sie kündigten eine „energische Kontrolle“ an und ließen keinen Zweifel daran, dass sie jeden Schritt des Einsatzes rekonstruiert sehen wollen. Kurz darauf folgten im Repräsentantenhaus Mike Rogers, Republikaner aus Alabama und Chef des dortigen Verteidigungsausschusses, sowie der ranghöchste Demokrat Adam Smith aus Washington mit einem ähnlichen Signal: Man nehme die Berichte über Folgeschläge auf Boote in der Zuständigkeit des Südkommandos sehr ernst und werde eine vollständige Aufklärung verlangen. Dass beide Ausschüsse über Parteigrenzen hinweg im Gleichklang sprechen, ist in der gegenwärtigen politischen Atmosphäre alles andere als selbstverständlich.
Der Präsident selbst versucht, Gleichgültigkeit zu spielen, ohne die Kontrolle zu verlieren. Auf dem Rückflug aus Florida, wo er Thanksgiving verbracht hatte, bestätigte Donald Trump, dass er kürzlich mit Venezuelas Präsident Nicolás Maduro telefoniert habe. Wir hatten bereits am 29. November 2025 in unseren Kurznachrichten es öffentlich gemacht unter dem Link: https://kaizen-blog.org/29-november-2025-kurznachrichten/ – Ob das Gespräch gut, schlecht oder gar nicht einzuordnen sei, ließ er bewusst offen. Gleichzeitig ließ er wissen, er wolle der Sache mit den angeblichen Folgeschlägen nachgehen, fügte aber sofort hinzu, dass er einen zweiten Angriff, der sich gegen Überlebende richte, nicht gewollt hätte. Es ist die übliche Mischung aus Abgrenzung und Loyalität: Trump stellt sich schützend vor Hegseth und betont, der Minister bestreite, einen Befehl zur Tötung der beiden Männer gegeben zu haben. Und er glaube ihm.

Präsident der Vereinigten Staaten, Donald Trump, bestätigte am Sonntag, dem 30. November, dass er telefonisch mit Nicolás Maduro gesprochen hat.
„Ich kann nicht sagen, ob es ein gutes oder ein schlechtes Gespräch war, es war einfach ein Gespräch“, antwortete Trump auf die Frage von Journalistinnen und Journalisten zu diesem Telefonat.
Während der Präsident rhetorisch auf der Bremse steht, zieht die Regierung militärisch weiter an. Am Samstag erklärte Trump den Luftraum über und um Venezuela kurzerhand für „vollständig geschlossen“ und verlieh der Kampagne so eine neue Eskalationsstufe. Caracas reagierte erwartbar scharf: Die Regierung Maduro sprach von einer kolonialen Drohung und einem Angriff auf die Souveränität des Landes. Parallel dazu hält das Pentagon an der Darstellung fest, man bekämpfe Drogenrouten, die zum Teil von venezolanischen Machtzirkel gesteuert würden, und agiere im Rahmen von US-Recht und internationalem Recht.

Pete Hegseth versucht, den Vorwurf frontal zurückzuweisen. In einem Beitrag auf X warf er Medien vor, sie würden gezielt falsche, aufgeheizte Geschichten verbreiten, um die Soldaten zu diskreditieren, die angeblich nichts anderes tun, als das Heimatland zu schützen. Alle laufenden Operationen in der Karibik seien von Militär- und Ziviljuristen mehrfach geprüft, heißt es aus seinem Umfeld, jeder Schritt sei vom Recht gedeckt. Doch diese Verteidigung lässt eine entscheidende Lücke: Sie beantwortet nicht die Frage, ob es am 2. September eine mündliche Anweisung gab, die jenseits dieser angeblichen juristischen Absicherung lag.

Wie üblich verbreiten die Fake News immer mehr erfundene, aufhetzende und herabsetzende Berichte, um unsere unglaublichen Kämpfer zu diskreditieren, die das Heimatland schützen. Wie wir von Anfang an gesagt haben – und in jeder öffentlichen Erklärung –, sind diese hochwirksamen Schläge ausdrücklich als „tödliche, kinetische Angriffe“ vorgesehen. Die erklärte Absicht ist es, tödliche Drogen zu stoppen, Narco-Boote zu zerstören und die Narco-Terroristen zu töten, die das amerikanische Volk vergiften. Jeder Schmuggler, den wir töten, ist einer als Terrororganisation eingestuften Gruppe zugeordnet.
Die Biden-Regierung bevorzugte den Ansatz mit Samthandschuhen und erlaubte es Millionen von Menschen – darunter gefährlichen Kartellen und ungeprüften Afghanen –, unsere Gemeinden mit Drogen und Gewalt zu überschwemmen. Die Trump-Regierung hat die Grenze abgeriegelt und geht gegen Narco-Terroristen in die Offensive. Biden hat Terroristen verhätschelt, wir töten sie. Unsere laufenden Operationen in der Karibik sind sowohl nach US-Recht als auch nach internationalem Recht rechtmäßig, alle Maßnahmen entsprechen dem Recht bewaffneter Konflikte – und wurden von den besten militärischen und zivilen Juristen gebilligt, auf jeder Ebene der Befehlskette. Unsere Kämpfer im SOUTHCOM riskieren jeden Tag ihr Leben, um das Heimatland vor Narco-Terroristen zu schützen – und ich werde IMMER hinter ihnen stehen.
Im republikanischen Lager gibt es zudem Abgeordnete, die Hegseth zwar in Schutz nehmen, aber den Vorwurf nicht einfach vom Tisch wischen. Don Bacon, Republikaner aus Nebraska und selbst Ex-General, sagte, man müsse der Sache auf den Grund gehen. Er könne sich kaum vorstellen, dass der Verteidigungsminister so töricht wäre, einen Befehl zu geben, der auf das Töten aller Überlebenden hinauslaufe – das verstoße offensichtlich gegen das Kriegsrecht und gegen jede militärische Vernunft. Doch auch in dieser Formulierung steckt ein Eingeständnis: Wäre der Befehl so gefallen, ließe er sich weder politisch noch rechtlich verteidigen.
Der Einsatz vor der südamerikanischen Küste, über den lange kaum jemand außerhalb einschlägiger Fachkreise sprach, ist damit in den Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung gerückt. Die Regierung hat ihn als Teil eines entschlossenen Vorgehens gegen Drogenkartelle verkauft, als fernes Geschehen auf hoher See, das sich angeblich klar von klassischen Kriegshandlungen unterscheidet. Jetzt steht auf dem Prüfstand, ob in diesem Schattenkrieg Grenzen überschritten wurden, die das humanitäre Völkerrecht eindeutig zieht: Wer nicht mehr kämpfen kann, ist zu verschonen, nicht zu erledigen. Dass Senat und Repräsentantenhaus gemeinsam in Bewegung geraten, ist ein untrügliches Zeichen dafür, wie ernst der Vorwurf genommen wird – trotz aller Skepsis in Teilen der Republikanischen Partei gegenüber den Medien, die ihn erstmals öffentlich gemacht haben. Im besten Fall wird eine Untersuchung ergeben, dass der Befehl so nie erteilt wurde. Im schlimmsten Fall muss das Land sich der Tatsache stellen, dass ausgerechnet in einem Einsatz, der in der Öffentlichkeit lange als ferne Randoperation behandelt wurde, etwas passiert ist, das die USA in eine Reihe mit jenen stellt, die man sonst mit moralischer Empörung verurteilt.
Noch ist offen, welchen Weg diese Geschichte nimmt. Aber sie hat bereits eine Wahrheit freigelegt, die sich nicht wegreden lässt: Wer militärische Gewalt routiniert zum Werkzeug der Innen- und Außenpolitik macht, wird irgendwann gezwungen sein, sich zu erklären – nicht nur vor den eigenen Wählern, sondern vor dem Recht. Und genau an diesem Punkt ist Washington jetzt angekommen.
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