In Hallandale Beach trafen sich amerikanische und ukrainische Unterhändler an einem Ort, der eher nach Golfturnier als nach Weltpolitik aussieht. Doch hinter den Glasfassaden des Clubs ging es um weit mehr als um Höflichkeiten. Marco Rubio, Steve Witkoff und Jared Kushner versuchten, den nächsten Schritt in Gesprächen einzuleiten, die über das Schicksal eines ganzen Landes entscheiden. Sie sprachen über einen möglichen Frieden, während in der Ukraine weiter Sirenen heulten und Familien in Kellern ausharrten. Selenskyjs Delegation dankte den USA für ihre Unterstützung, doch niemand in diesem Raum konnte ausblenden, wie sehr die letzten Wochen das Kräfteverhältnis verändert haben. Der Rücktritt Andrij Jermaks, dessen Haus unter dem Verdacht millionenschwerer Bestechungen durchsucht wurde, sitzt Kiew tief in den Knochen. Es war Jermak, der noch vor Tagen in Genf mit Rubio verhandelt hatte, und plötzlich stand er selbst im Zentrum eines Skandals, den sein Land sich in dieser Lage kaum leisten kann.
Der amerikanisch-russische Plan, der zu Beginn noch 28 Punkte umfasste, hängt wie ein drohender Schatten über jeder Gesprächsrunde. Zu großzügig gegenüber Moskau, zu fordernd gegenüber Kiew, zu nah an Putins Wünschen – so bezeichneten ihn ukrainische Vertreter, noch bevor sich die Lage weiter zuspitzte. Von einer Abgabe ganzer Regionen, etwa des gesamten Donbas, ist inzwischen in vagen Nebensätzen die Rede, Rubio will Fragen zu Gebieten und Sicherheitsgarantien ansprechen. Doch auch die neu gezeichnete Fassung verlangt Ukraine viel ab: eine verkleinerte Armee, der Verzicht auf einen NATO-Beitritt, Wahlen in hundert Tagen. Es klingt wie ein Trugschluss, der Kiew kaum Luft lässt, während Russland weiter Raketen schickt. Die Delegationen sprechen davon, man habe die Punkte überarbeitet, doch niemand legt offen, welche Kompromisse nun auf dem Tisch liegen. Trump selbst nennt das Konstrukt nur noch eine Idee, eine Karte, die feiner justiert werden müsse, doch jeden Tag wird deutlicher, dass diese Justierung vor allem in Moskau stattfindet.

Dass Witkoff und vielleicht auch Kushner nun direkt zu Putin reisen sollen, wirkt wie eine Mischung aus Wagnis und Wunschdenken. Beide stammen aus einer Welt, in der ein zügiger Händedruck oft wichtiger ist als diplomatische Erfahrung. Mit einem ähnlichen Entwurf hatten sie bereits in Gaza einen Waffenstillstand vermittelt. Doch Russland ist kein Nahost-Schnellschach, und die Angriffe auf die Ukraine enden nicht für eine Unterschrift. Während die Unterhändler in Florida verhandelten, krachten in Kiew Drohnen und Raketen in Wohnhäuser. Drei Tote, Dutzende Verletzte, darunter Kinder. Stunden später traf ein weiterer Angriff ein neunstöckiges Gebäude in Vyshhorod. Zelenskyj zählte am Sonntag auf, womit sein Land Tag für Tag leben muss: über hundert Angriffsflugkörper, hunderte Bomben, Dutzende Raketen – allein in dieser Woche. Die USA sprechen von einem konstruktiven Ton, doch die Realität der Ukraine ist ein anderer Raum. Einer, der brennt.
Hinzu kommt ein neuer Konflikt, den man in Washington kaum auf dem Zettel hatte: Kasachstan warnte Kiew scharf, nachdem ukrainische Kräfte einen großen Ölhafen bei Noworossijsk getroffen hatten. Der Terminal gehört zum wichtigsten Pipelinekorridor des Landes, und Astana reagierte ungewöhnlich offen. Man erwarte, dass sich solche Angriffe nicht wiederholen. Es ist ein Satz, der zeigt, wie sehr sich die Risse in diesem Krieg auch auf Staaten auswirken, die nicht im Zentrum stehen, aber plötzlich einen Preis zahlen könnten.
In Florida ringt man derweil um Worte, die beruhigen sollen. Selenskyj sagt, beide Seiten arbeiteten an Schritten, die den Krieg zu einem würdigen Ende bringen könnten. Das mag stimmen. Doch die Angriffe der vergangenen Nächte erzählen eine andere Geschichte. Und zwischen diesen beiden Wirklichkeiten liegt der schmale Grat, auf dem jede Gesprächsrunde balancieren muss. Ein Frieden, der auf Druck entsteht, hält selten. Ein Frieden, der in Eile entsteht, hält noch seltener. Und doch bleibt Kiew nichts anderes übrig, als weiter an diesem Tisch zu sitzen – selbst wenn der Boden unter diesem Tisch jeden Tag ein Stück dünner wird.
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