Das Ende der „Proud Boys“ – Wie eine schwarze Kirche den Namen einer Hassbewegung übernahm

VonRainer Hofmann

Oktober 23, 2025

Viele Leserinnen und Leser fragen inzwischen, was aus den Proud Boys geworden ist – jener rechtsextremen Gruppe, die einst Trumps Straßenarmee war und beim Sturm auf das Kapitol eine zentrale Rolle spielte. Die Antwort ist ebenso unerwartet wie symbolisch: Ihre Anführer waren verurteilt, viele von ihnen später von Präsident Trump begnadigt – ihre Strukturen sind zersplittert, und selbst der Name ‚Proud Boys‘ gehört ihnen nicht mehr.“

Es ist eine dieser ironischen Wendungen, die nur Amerika hervorbringen kann. Eine der ältesten schwarzen Kirchen des Landes, die Metropolitan African Methodist Episcopal Church in Washington D.C., besitzt heute die Markenrechte an einer Bewegung, die einst versuchte, sie einzuschüchtern. Der Name „Proud Boys“, Symbol für Gewalt, Machismo und weißen Nationalismus, gehört nun offiziell einer Gemeinde, deren Wurzeln bis in die Zeit der Sklaverei reichen – einem Ort, an dem einst Frederick Douglass und Rosa Parks geehrt wurden.

Nach bestem Wissen und Gewissen handelt es sich bei Mad Aster um eine mit den Proud Boys verbundene Scheinfirma, die ausschließlich zu dem Zweck gegründet wurde, die Markenrechte der Proud Boys vor einem nachteiligen Urteil aus der Klage der Kirche gegen PBI sowie vor möglichen Ansprüchen anderer Gläubiger von PBI und der Proud Boys zu schützen.

Aus den Gerichtsunterlagen geht hervor, dass „Mad Aster“ nichts anderes war als eine Strohfirma – gegründet, um den Namen „Proud Boys“ zu retten, als die rechtlichen Schlingen sich bereits zuzuziehen begannen. Laut Klage wurde die Gesellschaft nur Tage nach der Auflösung der ursprünglichen Proud Boys International LLC registriert, offenbar mit dem alleinigen Ziel, das Markenrecht vor einem drohenden Urteil der Metropolitan AME Church und möglichen Gläubigeransprüchen zu schützen. Ein juristischer Schutzschild, leer an Substanz, aber reich an Absicht.

Die Geschichte beginnt an einem kalten Dezemberabend im Jahr 2020. Nach einer pro-Trump-Kundgebung zogen Anhänger der Proud Boys durch die Innenstadt von Washington. Gegen 22 Uhr erreichten sie das rote Backsteingebäude an der 1518 M Street NW, Washington, D.C. 20005, nur wenige hundert Meter vom Weißen Haus entfernt. Vor den Augen von Anwohnern rissen sie ein großes „Black Lives Matter“-Banner von der Fassade der Metropolitan AME Church, trugen es triumphierend durch die Straßen, riefen rassistische Parolen und verbrannten es schließlich in der Nähe des Black Lives Matter Plaza. Die Szene, gefilmt und online verbreitet, war kein Ausrutscher, sondern ein Akt politischer Einschüchterung – eine symbolische Drohung gegen eine schwarze Gemeinde, die seit fast zwei Jahrhunderten standhält.

„Das war keine jugendliche Dummheit und kein betrunkenes Gehabe“, sagte Reverend William H. Lamar IV später. „Das war eine mildere Form des Kreuzverbrennens. Eine Botschaft: Schweigt, oder wir kommen wieder.“

Die Kirche, 1838 gegründet, hatte in ihrer Geschichte immer wieder gelernt, Gewalt in Entschlossenheit zu verwandeln. Nach dem Angriff entschied ihr Kirchenrat einstimmig, zu klagen. Im Juni 2023 sprach der Superior Court of the District of Columbia in dem Verfahren Metropolitan African Methodist Episcopal Church v. Proud Boys International LLC et al. (Aktenzeichen 2021 CA 003356 B) ein sogenanntes Default Judgment – ein Urteil, das ergeht, wenn eine Partei nicht reagiert oder sich weigert, vor Gericht zu erscheinen. Die Proud Boys hatten weder Stellung genommen noch Anwälte geschickt. Das Ergebnis: 2,8 Millionen Dollar Schadenersatz.

Die Metropolitan African Methodist Episcopal Church in Washington D.C., eine historische schwarze Kirche, reichte Klage gegen die Proud Boys International LLC und deren damaligen Anführer Enrique Tarrio ein. In der Klageschrift wird beschrieben, dass am 12. Dezember 2020 Hunderte Mitglieder der Proud Boys nach Washington reisten, um gezielt Gewalt auszuüben, Eigentum zu zerstören und die „Black Lives Matter“-Bewegung einzuschüchtern. Die Proud Boys hätten das Kirchengebäude gestürmt, Banner heruntergerissen, Feuer gelegt und so versucht, die Stimme der Gemeinde für soziale Gerechtigkeit zum Schweigen zu bringen. Die Klage bezeichnete das Vorgehen als Teil eines „neuen und gefährlichen Kapitels weißer suprematistischer Gewalt“. Ziel des Verfahrens war es, die Proud Boys für diesen Terrorakt zur Verantwortung zu ziehen und die Kirche vor weiteren Angriffen zu schützen.

Die Summe setzte sich aus mehreren Komponenten zusammen. Die Kirche hatte nicht nur ein Banner verloren. Der Angriff beschädigte Teile der Fassade und Beleuchtung – Reparaturen, die zwischen 10.000 und 15.000 Dollar kosteten. Doch die physischen Schäden waren nur der Anfang. Nach dem Vorfall erhielt die Gemeinde Hassbriefe und Drohungen. Familien blieben Gottesdiensten fern, ältere Mitglieder kamen nachts nicht mehr. Um die Sicherheit zu gewährleisten, musste die Kirche einen privaten Sicherheitsdienst engagieren, später bewaffnete Wachkräfte. Laut Finanzunterlagen beliefen sich die Sicherheitskosten auf mehr als 400.000 Dollar in zwei Jahren.

Pfarrer William Lamar IV, Pastor der Metropolitan African Methodist Episcopal Church

Der größte Teil der Summe bestand aus Strafschadenersatz – zwei Millionen Dollar, die der Richter verhängte, um das rassistische Motiv des Angriffs zu sanktionieren. In seiner Begründung schrieb er, die Proud Boys hätten „gezielt Symbole schwarzer Selbstbehauptung angegriffen, um Angst zu erzeugen und eine Gemeinde einzuschüchtern“. Das Gericht wertete die Tat als eine Form „terrorisierender Demonstration“. Hinzu kamen 350.000 Dollar für seelische Schäden, weil Gemeindemitglieder anhaltende Angst, Depressionen und Traumatisierungen schilderten. Reverend Lamar berichtete, einige hätten nach Jahrzehnten aufgehört, die Kirche zu besuchen. „Sie fürchteten, dass das, was 2020 passierte, erst der Anfang war“, sagte er.

Als die Proud Boys trotz Urteil nichts zahlten, beantragte die Kirche die Vollstreckung. Am 5. Februar 2025 übertrug der Superior Court per Beschluss die Markenrechte, Logos und Symbole der Proud Boys – darunter das gelbe Lorbeerkranz-Emblem – an die Metropolitan AME Church. Das Urteil untersagte der Gruppe zudem ausdrücklich, Merchandising-Artikel mit ihrem Namen oder Logo zu verkaufen, und erlaubte der Kirche, Einnahmen aus solchen Verkäufen zu beschlagnahmen.

Proud-Boys-Anführer Enrique Tarrio

Seitdem hat die Kirche begonnen, das Symbol umzudeuten. Auf ihrer Website verkauft sie T-Shirts mit der Aufschrift „Stay Proud, Stay Black“, demnächst auch Kollektionen zum Pride Month und Juneteenth. Die Erlöse fließen in einen „Community Justice Fund“. Für Pastor Lamar ist das mehr als nur Satire: „Das ist unser Weg, etwas, das zum Bösen gedacht war, in Gutes zu verwandeln.“ Doch der Sieg kam nicht ohne Preis. Die Sicherheitsmaßnahmen kosteten die Gemeinde weiterhin rund 20.000 Dollar im Monat, und viele Mitglieder fürchteten Racheakte. „Ich habe zuerst gebetet, dass sie uns nichts antun“, sagte Khaleelah Harris, die auf ihre Ordination innerhalb der AME Church hinarbeitet. „Aber wir hatten keine Wahl. Das ist unsere Geschichte – wir kämpfen, mit allem, was wir haben.“

„Die Sturmmärsche der Proud Boys gehören der Vergangenheit an – doch mit der heutigen Praxis der ICE-Behörde hat die Einschüchterung lediglich eine institutionelle Form angenommen“

Der ehemalige Proud-Boys-Anführer Enrique Tarrio, der die Brandstiftung des BLM-Banners eingeräumt hatte, wurde am 5. September 2023 vom Bundesgericht in Washington D.C. wegen seiner Rolle bei der Organisation des Angriffs auf das Kapitol am 6. Januar 2021 zu 22 Jahren Haft verurteilt – die härteste Strafe, die je in einem Verfahren wegen aufrührerischer Verschwörung verhängt wurde. Tarrio saß im Federal Correctional Institution Pollock in Louisiana, als Präsident Trump am 21. Januar 2025 eine Sammelbegnadigung für mehr als 1.500 Beteiligte des Kapitolsturms unterzeichnete, darunter auch ihn. Zwei Tage später wurde Tarrio freigelassen und kehrte nach Florida zurück. Kaum in Freiheit, reagierte er auf die Niederlage seiner Bewegung mit Hohn: Man könne sich ja „African Methodist Episcopal Boys“ nennen, spottete er auf X. Doch in Wahrheit klang der Satz wie das Eingeständnis eines Mannes, der begriffen hatte, dass seine Organisation alles verloren hatte – sogar ihren Namen.

Am 18. Oktober 2025 tauchte Tarrio in Miami auf, am Rande der dortigen „No Kings“-Proteste, bei denen Tausende Menschen gegen Trumps Machtpolitik demonstrierten. Das Foto, das an diesem Tag entstand, zeigt ihn in der Menge, in schwarzem T-Shirt mit der Aufschrift „Warboys Studios“ – ein Label aus dem Proud-Boys-Umfeld, benannt nach den fanatisierten Kriegern aus Mad Max: Fury Road. Die martialische Symbolik passte zu Tarrios Selbstinszenierung: ein Mann, der Stärke verkörpern will, während seine Bewegung juristisch und moralisch längst in Trümmern liegt.

Heute schulden die Proud Boys der Kirche laut Anwälten mehr als 3,1 Millionen Dollar inklusive Zinsen, haben aber bisher nur 1.500 Dollar überwiesen. Die Metropolitan AME hat angekündigt, weiter alles einzutreiben. „Wir werden unnachgiebig bleiben“, sagte Lamar. „Nicht nur für uns, sondern für jede Gemeinde, jeden Glauben, jede Hautfarbe. Niemand soll glauben, man könne Häuser des Gebets mit Hass überziehen, ohne Konsequenzen.“

Ein neues „Black Lives Matter“-Schild steht vor der Metropolitan African Methodist Episcopal Church in Washington, seit Sonntag, dem 2. März 2025

Vor der Kirche steht wieder ein großes, Schild: „Black Lives Matter“. Es steht dort, wo einst Feuer war – und symbolisiert, was Pastor Lamar als das „Erbe des Widerstands“ bezeichnet. „Unsere Vorfahren haben uns gezeigt, wie man kämpft“, sagt er. „Mit Würde. Mit Glaube. Mit Recht.“ Wer sich jetzt die Frage stellt, was aus „Black Lives Matter“ geworden ist, findet die Antwort in unserem Artikel: „Die verschwundene Bewegung – Wo Black Lives Matter wirklich steht“ unter dem Link: https://kaizen-blog.org/die-verschwundene-bewegung-wo-black-lives-matter-wirklich-steht/

Vielleicht ist das die eigentliche Bedeutung dieses Prozesses: dass eine Bewegung, die Stolz für sich beanspruchte, nun von Menschen übertroffen wurde, die wahren Stolz nie in Aggression, sondern in Beharrlichkeit fanden. Die Proud Boys dürfen sich nennen, wie sie wollen – aber der Name, der einst Furcht verbreiten sollte, gehört jetzt denen, die niemals knien mussten, um zu wissen, was Würde ist.

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