Raketen, Hitler, Hass und die Rückkehr der Götterdämmerung – Trumps gefährlichster Moment

VonRainer Hofmann

Oktober 16, 2025

Ein Präsident, der Raketen über Kalifornien abfeuern will. Ein Vizepräsident, der Chatnachrichten über Hitler verteidigt, und Chats, die Vergewaltigungen als episch bezeichnen. Amerika, ein Land, das den Kompass längst verloren hat.

Blick im September 2025 von der südlichen Raststätte Aliso Creek an der Interstate 5: U.S.-Marines fahren mit amphibischen Gefechtsfahrzeugen durch die Brandung, während sie auf dem Stützpunkt Camp Pendleton trainieren.

Donald Trump hat für das Wochenende ein Spektakel angeordnet, das selbst in den Maßstäben seiner Amtszeit surreal wirkt. Unter dem Titel „Sea to Shore – A Review of Amphibious Strength“ sollen an der kalifornischen Küste Kriegsschiffe der Navy und 15 000 Marines aufmarschieren, begleitet von einer großangelegten Demonstration mit scharfer Munition. Das Ganze wird vom Produktionsbüro des Weißen Hauses aufgezeichnet und am 9. November landesweit ausgestrahlt – offiziell als Jubiläumsfeier zum 250-jährigen Bestehen des Marinekorps, tatsächlich aber als politische Inszenierung.

Die Vorbereitungen liefen chaotisch. Am Mittwoch hatte das Büro von Gouverneur Gavin Newsom angekündigt, Teile der Interstate 5 zwischen Orange County und San Diego aus Sicherheitsgründen sperren zu müssen. Berichte, wonach Navy-Schiffe während der Veranstaltung scharfe Munition über die Autobahn hinweg auf das Gelände von Camp Pendleton feuern könnten, sorgten für Empörung und Angst. Erst nach massiver Kritik und direkter Nachfrage beim Pentagon erklärte das Marinekorps am späten Abend, die I-5 werde offen bleiben.

„Donald Trump und J. D. Vance finden Geld, um während eines Regierungsstillstands Raketen über der I-5 abzufeuern – aber keinen einzigen Cent für die Gesundheitsversorgung der Amerikaner.“

„Jetzt, da die Autobahn geöffnet bleibt, hoffen wir, dass die Trump-Regierung denselben gesunden Menschenverstand anwendet, um endlich auch die Bundesregierung wieder zu öffnen“, ließ Newsoms Büro verlautbaren. Der Ton war spöttisch, doch die Botschaft klar: Selbst bei Sicherheitsfragen herrscht Unordnung im Zentrum der Macht.

Die Korrektur kam zu spät, um das Vertrauensdefizit zu beseitigen. Lokale Behörden hatten bereits Notfallpläne vorbereitet, der kalifornische Verkehrsminister Edward Barrera sprach von „potenziellen Szenarien“, die vom Bund kommuniziert worden seien und eine Sperrung erforderlich gemacht hätten. Der gesamte Vorfall entlarvte die Koordinationslosigkeit zwischen Sacramento, Washington und den Streitkräften – und eine politische Kultur, die Inszenierung über Verantwortung stellt. Camp Pendleton selbst, eine 125 000 Acre große Basis und seit dem Zweiten Weltkrieg Trainingsgelände für amphibische Missionen, steht sinnbildlich für diese Spannung. Während das Verteidigungsministerium darüber nachdenkt, Teile des Areals für zivile Nutzung oder kommerzielle Entwicklung freizugeben, nutzt das Weiße Haus dieselbe Fläche als Bühne militärischer Selbstdarstellung.

Vizepräsident J. D. Vance, der als erster Marine-Veteran dieses Amt bekleidet, wird die Veranstaltung anführen, flankiert von Verteidigungsminister Pete Hegseth. Nach offiziellen Angaben werden 15 000 Marines, Veteranen und Angehörige erwartet. Der Marine-Pressedienst spricht von einem „Amphibious Review zur Demonstration der Verteidigungsbereitschaft“, doch die Formulierungen klingen wie aus einem Drehbuch: „Die geplanten Trainingsaktivitäten sichern unsere Fähigkeit, die Heimat zu verteidigen und die Interessen der Nation im In- und Ausland zu schützen – gegen heutige und künftige Herausforderungen.“

Während Kalifornien unter Anspannung steht, eskaliert in Washington die moralische Dimension. Denn ausgerechnet J. D. Vance, der an diesem Wochenende die Parade der Macht anführt, ist in eine zweite Affäre verwickelt – diesmal nicht militärisch, sondern menschlich.

Vance, der sich einst als Stimme der „vergessenen Amerikaner“ inszenierte, hat in den letzten Tagen gezeigt, dass seine Loyalität längst nicht mehr den Menschen, sondern der Macht gilt. An diesem Tag verteidigte Vance in einem Interview in der Charlie Kirk Show – dem inzwischen ohne ihren verstorbenen Namensgeber fortgeführten Format, das aber weiterhin grenzenlos radikal und extremistisch auftritt, – die sogenannten ‚Hitler-Chats‘ aus dem Umfeld der Young Republicans – Chats, in denen über Gaskammern gescherzt, Lynchjustiz verharmlost und sexuelle Gewalt als Pointe verwendet wurde. Er sprach von „überzogener Empörung“ und wiederholte seine Formel: „Junge Männer machen dumme Dinge.“

In einem Tweet dazu, der selbst konservative Kommentatoren fassungslos machte, schrieb er:

„Werdet endlich erwachsen! Konzentriert euch auf die echten Probleme. Beschäftigt euch nicht damit, was Kinder in Gruppenchats sagen… Die Wahrheit ist, dass Kinder dumme Dinge tun, vor allem junge Jungs – sie machen provokante, beleidigende Witze. So sind Kinder nun einmal.“

Auszüge aus über 3500 Nachrichten

Doch die Beteiligten waren keine Kinder. Es waren bezahlte Kommunikationsberater, lokale Parteichefs, Anwälte, Mitarbeiter von Abgeordneten – Menschen, die den politischen Apparat seiner Partei mittragen. Sie sind Teil jener Maschinerie, die Gesetze entwirft, Kampagnen steuert und Narrative prägt. Wer in solchen Positionen über Hitler witzelt oder Vergewaltigung als „episch“ bezeichnet, prägt nicht nur den Ton der Rechten, sondern ihre moralische DNA.

Vance tat, was er in solchen Momenten immer tut: Er verlegte den Maßstab. Indem er diese Männer wie pubertierende Jungs behandelte, verschob er die Grenze dessen, was als „Fehler“ gelten darf. Aus Verantwortung wurde Unreife, aus Ideologie wurde Jux. Es war die vielleicht gefährlichste Entschuldigung eines Spitzenpolitikers, nennen wir ihn mal so, seit Jahren – nicht, weil sie nur dumm war, sondern weil sie auch kalkuliert war.

Und weiter geht es in der Chatwelt der „Jungen Republikanern“. Zu diesem zählt ein Chat mit Bobby Walker, Vizevorsitzender der New York State Young Republicans und enger Verbündeter von Mike Johnson und dem verstorbenen Charlie Kirk. In einem der geleakten Chats bezeichnete Walker eine Vergewaltigung als „episch“. Ein Gespräch, das mit dem Satz begann „Die Spanier kamen nach Amerika und schliefen mit jeder einzelnen Frau“ und mit der Erwiderung „Es war Vergewaltigung“ endete, kommentierte er mit nur einem Wort: „Epic.“ – Man ist einfach nur noch sprachlos.

Solche Nachrichten sind keine Randnotizen mehr. Sie spiegeln eine Kultur, in der Gewalt verharmlost, Empathie verspottet und moralische Grenzen nur noch als Schwäche gelten. Während an der Pazifikküste Schiffe für eine „Machtdemonstration“ positioniert werden, zeigt sich in Washington eine andere Form der Verwahrlosung – eine, die kein Stahlhelm verdeckt. Der Vizepräsident, der an diesem Wochenende Panzerformationen abnimmt, verteidigt in denselben Tagen Menschen, die über den Tod von Kindern lachen.

Bobby Walker mit dem verstorbenen Charlie Kirk und Regierungssprecher Mike Johnson

Diese Haltung – die Kälte gegenüber Schwäche, die Gleichgültigkeit gegenüber Verantwortung – zieht sich wie ein roter Faden durch die Trump-Vance-Regierung. Während sie Straßen für militärische Inszenierungen sperrt und Raketen als patriotische Requisite nutzt, lässt sie Millionen Bürger ohne Lohn, ohne Sicherheit und ohne Vertrauen zurück. Die Verbindung zwischen diesen Ereignissen ist kein Zufall. Sie offenbart das Wesen dieser Macht: ein Zynismus, der Stärke mit Spektakel verwechselt und Verantwortung mit Showmanship ersetzt.

Am Ende bleibt ein Bild: ein Meer aus Stahl, ein Präsident, der die Kameras dirigiert, und ein Vizepräsident, der lächelt, während unter der Oberfläche der moralische Grund zerbricht. Camp Pendleton mag die Heimat der Marines sein – doch an diesem Wochenende wird es zum Symbol einer Republik, die ihre Kraft nicht mehr aus Prinzipien zieht, sondern aus Projektion. Vielleicht wird man eines Tages auf diese Woche zurückblicken, auf die Raketen, die Paraden, die Tweets – und erkennen, dass der moralische Kollaps einer Nation nicht mit einem Knall begann, sondern mit ganz viel Applaus.

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Irene Monreal
Irene Monreal
2 Tage zuvor

Hoffentlich endet das nicht mit der Besetzung Kaliforniens 🙁

Helga M.
Helga M.
1 Tag zuvor
Reply to  Irene Monreal

Den Unmenschen da drüben traue ich mittlerweile alles zu.😢😢😢😡

Helga M.
Helga M.
1 Tag zuvor

Es ist mir unmöglich zu beschreiben, wie ich mich fühle nach diesem und anderen Berichten. Gestern hab ich mir mal wieder einen Film über die Geschwister Scholl angeschaut und jetzt gerade DIE SPRACHE LÜGT NICHT über Victor Klemperer. Es ist alles nur noch grausam und unmenschlich, und die Regierung drüben besteht komplett aus Unmenschen.😡😠😢😢😢 Ab in die Hölle mit allen.

Ela Gatto
Ela Gatto
11 Stunden zuvor

Menschen verhungern quasi im eigenen Land.

Aber für solch Inszenierung findet sich Geld.
Sogar soviel Geld, dass nicht nur Militär Löhne gezahlt werden, sondern auch ein derart teures Unterfangen durchgeführt wird.

Es zeigt auch, wie leicht doch Kalifornien mit den unliebsamen Demokraten eingenommen werden kann.
Das mit der Nationalgarde hat nicht geklappt, wie gewünscht.
Dann eben das Militär.

Einschüchtern, aushungern, brechen … das ist das neue Amerika. The Fascist States of America

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