Zwölf Tage Stillstand. Zwölf Tage, in denen das mächtigste Land der Welt seine eigenen Institutionen lahmlegt, während Hunderttausende Bundesangestellte unbezahlt zu Hause sitzen – als Geiseln einer politischen Strategie, die längst keine mehr ist, sondern ein Selbstzerstörungsritual. Der neue Vizepräsident J. D. Vance hat es am Sonntag ausgesprochen: Je länger die Blockade dauert, desto tiefer werden die Einschnitte. „Einige dieser Kürzungen werden schmerzhaft sein“, sagte er. Schmerzhaft für wen, ließ er offen.

Das Weiße Haus arbeitet unterdessen daran, die Militärgehälter zu sichern und minimale Sozialleistungen für einkommensschwache Familien aufrechtzuerhalten. Der Subtext ist zynisch: Das System schützt Waffen vor Menschen. In einem Land, das sich als Bastion des Individualismus begreift, wird die Beamtenschaft zur Verhandlungsmasse. Laut einer Eingabe des Budgetamts sollen über 4.000 Bundesangestellte entlassen werden, zusätzlich zu den Hunderttausenden, die bereits beurlaubt sind.
Vance, der sich in Interviews gern als Pragmatiker inszeniert, nannte das unvermeidlich. „Die Demokraten haben uns ein schwieriges Blatt gegeben“, sagte er auf Fox News. Der Satz steht sinnbildlich für die rhetorische Schieflage dieser Regierung: Eine ökonomische und moralische Krise wird zur Kartenspielmetapher, als ließe sich staatliche Verantwortung ablegen, wenn das Blatt schlecht steht.
Die Lähmung begann am 1. Oktober, als die Demokraten eine kurzfristige Zwischenfinanzierung ablehnten, weil das Gesetz keine Verlängerung der Krankenversicherungszuschüsse enthielt – Zuschüsse, die Millionen von Amerikanern ab Januar fehlen werden. Trump und seine republikanische Mehrheit bestanden darauf, die Regierung zuerst wieder zu öffnen, bevor man über Gesundheitskosten reden könne. In Wahrheit öffnet sich gar nichts: kein Dialog, kein Fortschritt, kein Verantwortungsbewusstsein.
Während beide Seiten einander in den Sonntagsshows die Schuld zuschieben, spielt sich das Drama auf den Fluren der Ministerien ab. In den Gebäuden des Bildungs- und Finanzministeriums, der Gesundheitsbehörde und der Umweltagentur werden dieser Tage Hunderte Entlassungsschreiben vorbereitet. Gewerkschaften sprechen von „rechtswidrigen Maßnahmen“, doch das Justizministerium bleibt stumm. Ein ganzes Land befindet sich in einer juristischen Zwischenwelt – zu teuer, um zu funktionieren, zu stolz, um sich einzugestehen, dass es zusammenbricht.

Trump selbst hält sich derweil an seine Lieblingsbeschäftigung: die Wirklichkeit umzuschreiben. Vor den Vereinten Nationen verkündete er Ende September, die Inflation sei „besiegt“, die Preise fielen, die Wirtschaft blühe. In den Daten spiegelt sich das Gegenteil. Die Inflation liegt über dem Vorjahreswert, Lebensmittelpreise steigen, und die Zölle, die Trump als patriotischen Hebel verkauft, verteuern Waren des täglichen Lebens. Der Präsident hat die Teuerung nicht besiegt – er hat sie verschleiert.
Die Federal Reserve, deren Unabhängigkeit längst in Trumps rhetorischem Schussfeld steht, senkte im September erstmals seit einem Jahr den Leitzins. Jerome Powell sprach von einer „deutlichen Entspannung“, doch Ökonomen warnen, die Zinssenkung beruhe auf einem Trugschluss: dass Trumps Handelskrieg nur vorübergehende Preisschübe verursache. Sollte sich das als falsch erweisen, würde die Glaubwürdigkeit der Fed den gleichen Erosionsprozess durchlaufen wie der Rest der amerikanischen Institutionen.

Karen Dynan vom Peterson Institute formulierte es nüchtern: „Wenn sich zeigt, dass die Zölle länger wirken, wird man die Zinssenkungen als Fehler betrachten.“ Die Zahlen stützen sie: Die Verbraucherpreise stiegen im August um 2,9 Prozent, die Mieten fallen kaum, Lebensmittel verteuern sich weiter. Kaffee, einst Symbol amerikanischer Alltäglichkeit, ist um 21 Prozent teurer – eine Mischung aus Klimafolgen und Importzöllen auf brasilianische Bohnen. Doch Trump denkt in Kulissen, nicht in Kausalitäten. Ein paar sinkende Hypothekenzinsen, eine optimistische Rede – und die Illusion steht. Das Land erlebt den seltsamsten Widerspruch seiner jüngeren Geschichte: eine Inflation, die offiziell besiegt ist, aber im Portemonnaie weiter lebt.
Gleichzeitig drängen sich im Hintergrund neue Verwerfungen auf, sichtbar am Beispiel Washingtons. Während Nationalgardisten U-Bahnstationen patrouillieren und föderale Sicherheitskräfte Stadtbewohner festnehmen, ringt die Hauptstadt mit einem alten Problem: der Abwesenheit ihrer Stimme. Eleanor Holmes Norton, 88 Jahre alt, seit 18 Amtszeiten nicht stimmberechtigte Repräsentantin des District of Columbia, ist kaum noch zu sehen. Selbst frühere Weggefährtinnen wie Donna Brazile fordern ihren Rücktritt. „D. C. steht unter Beschuss wie seit Jahrzehnten nicht“, schrieb sie. „Wir brauchen eine neue Stimme.“

Eleanor Holmes Norton ist eine gewählte Stimme ohne Stimme – das Paradox der amerikanischen Demokratie in Person. Seit 1991 vertritt sie den District of Columbia im Repräsentantenhaus, darf reden, argumentieren, Gesetze einbringen, aber nicht abstimmen. Washington, D.C. ist kein Bundesstaat, seine Bürger zahlen Steuern, aber ihnen fehlt das volle Mitspracherecht – ein stiller Widerspruch, der auf jedem Nummernschild der Stadt steht: „Taxation without representation.“ Norton bewegt sich in dieser Grauzone zwischen Macht und Ohnmacht, als Symbol einer Hauptstadt, die das Zentrum der Demokratie ist, aber selbst nicht ganz dazugehört.
Norton, die in den 1960er Jahren für Bürgerrechte kämpfte und später die Antidiskriminierungsbehörde leitete, hat ein Lebenswerk hinter sich, das Amerika mitgeprägt hat. Doch in den Ausschüssen wirkt sie zerbrechlich, liest mit stockender Stimme aus vorbereiteten Notizen. Ihr Schweigen inmitten des föderalen Ausnahmezustands wurde zum Symbol einer Stadt, deren Selbstverwaltung seit Trumps Machtübernahme nur noch auf dem Papier existiert. Seit der Präsident im August den Ausnahmezustand über Washington verhängte, sind Nationalgardisten und Bundespolizisten geblieben – auch nach Ablauf des Dekrets. Die Stadtregierung ist machtlos. Die Budgetautonomie, einst mühsam errungen, liegt faktisch wieder beim Kongress. Und während Norton schwieg, schuf das Parlament ein Haushaltsloch von 1,1 Milliarden Dollar, das bis heute nicht geschlossen ist.
Trump verkauft das als Ordnungspolitik. In Wahrheit ist es ein Staatsumbau im Schatten: die Reduktion einer Stadt auf ein Symbol, die Entmachtung eines Parlaments, die Demontage föderaler Normen – alles unter dem Etikett „Sicherheit“. In dieser Kulisse wirkt Washington nicht mehr wie die Hauptstadt der Demokratie, sondern wie ihr Spiegelbild: schwer bewacht, sprachlos und kontrolliert. „Sie hat die Stadt gerettet“, sagte einst Tom Davis, Republikaner und ehemaliger Kollege Nortons. Heute klingt der Satz wie aus einer anderen Zeit. Eine ganze Generation, die einst für Bürgerrechte kämpfte, sieht nun zu, wie die republikanische Regierung sie Schritt für Schritt zurücknimmt – nicht laut, sondern mit administrativer Präzision.
So schließt sich der Kreis: Ein Land, das seine Beamten entlässt, seine Inflation schönt und seine Hauptstadt unter Aufsicht stellt, glaubt sich immer noch in Kontrolle. In Wahrheit taumelt es – zwischen Selbstbetrug und Selbstzerstörung. Vielleicht ist das der neue amerikanische Realismus: einer, der sich gestört nennt, weil er sich längst an die Störung gewöhnt hat.
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Und das Trump das Militär bezahlen will, liegt nicht daran, dass ihm die Menschen wichtig sind (außer hohler Worte wie „unser wunderbares Militär ‚ o.ä. hat er nichts positives für das Militär vollbracht), es dämmert ihm wohl, dass ein unbezahltes Militär vielleicht aus der MAGA Bubble aufwachen könnte und sich dann gegen ihn stellt.
Und Washington…. da haben es die Demokraten, als sie ordentliche Mehrheiten hatten, es versäumt den Status von DC zu ändern.
Nun kann Trump dort schalten und walten, wie es ihm beliebt.
Die Demokraten schweigen.