Chicago unter Bundesbefehl – Trumps Nationalgarde marschiert aus Texas ein

VonRainer Hofmann

Oktober 7, 2025

Was sich an diesem Dienstag in den südwestlichen Vororten Chicagos abspielt, ist mehr als eine Machtgeste – es ist ein Präzedenzfall. Die ersten Einheiten der texanischen Nationalgarde trafen am Nachmittag am U.S. Army Reserve Center in Elwood ein, begleitet von schwerem Gerät, gepanzerten Fahrzeugen und einer Entourage aus Bundesbeamten. Während Journalisten vor Ort die Ankunft filmten, war FBI-Direktor Kash Patel bereits auf dem Weg nach Chicago. Laut dem Justizministerium soll die Nationalgarde die Sicherheit von Bundesbeamten gewährleisten – offiziell als Reaktion auf gewaltsame Zwischenfälle bei Protesten gegen ICE-Einsätze. Inoffiziell ist klar: Hier beginnt die nächste Stufe eines föderalen Machtkampfs.

Illinois hatte versucht, die Verlegung der texanischen Truppen juristisch zu stoppen. Eine Richterin lehnte am Vormittag den Eilantrag der Staatsregierung ab, das Einrücken der Einheiten vorerst zu untersagen. Bis zur Hauptverhandlung, die Ende der Woche anberaumt ist, werden die Soldaten längst in der Stadt sein – mit ausdrücklicher Billigung des Weißen Hauses. Hunderte Gardisten sollen laut internen Einsatzplänen bereits am Dienstag mit Übungen beginnen, bevor sie in den kommenden Tagen offiziell patrouillieren. Es ist das erste Mal seit Jahrzehnten, dass Truppen eines Bundesstaats ohne Zustimmung des betroffenen Gouverneurs in ein anderes Bundesland entsandt werden.

Donald Trump nutzte die Gelegenheit, um den Konflikt politisch auszuschlachten. Bei einem Treffen mit dem kanadischen Premierminister Mark Carney im Oval Office erklärte er: „Chicago ist eine großartige Stadt, aber sie hat ein Kriminalitätsproblem. Wenn der Gouverneur seinen Job nicht macht, werden wir es tun.“ Damit stellte der Präsident offen infrage, dass die öffentliche Sicherheit Aufgabe der Bundesstaaten ist – und setzte sich über die jahrzehntelange föderale Ordnung hinweg. Der Satz war ebenso kalkuliert wie gefährlich: eine Ankündigung, dass sich der Präsident selbst als oberster Vollstrecker über lokale Institutionen hinweg begreift.

Justizministerin Pam Bondi verteidigte das Vorgehen vor dem Kongress – und lieferte sich ein scharfes Wortgefecht mit dem demokratischen Senator Dick Durbin, der den Einsatz als „politische Eskalation“ bezeichnete. Bondi konterte mit Zahlen: „Ihre Stadt hat eine Mordrate fünfmal höher als New York. 571 Tötungsdelikte im vergangenen Jahr. Wenn Sie Ihre Menschen wirklich schützen wollten, würden Sie um Hilfe bitten, statt sie zu verweigern.“ Doch Durbins Büro legte nach: Die Daten der Chicagoer Polizei zeigen für die letzten zwölf Monate 458 Morde – fast 30 Prozent weniger als in den Vorjahren. Eine Zahl, die Bondis Argumentation entlarvt, aber an der politischen Wirklichkeit dieses Tages nichts ändert.

BONDI: Die Nationalgarde ist bereits unterwegs, während wir hier sprechen. Sie sitzen hier und verhören mich – und währenddessen sind sie auf dem Weg nach Chicago, um Ihren Bundesstaat zu schützen. DURBIN: Es ist mein Job, Sie zu verhören.

Bürgermeister Brandon Johnson reagierte empört. „Illegal, verfassungswidrig, gefährlich – und falsch“, sagte er. „Das hier geht nicht um Abschiebung, nicht um Sicherheit. Es geht um Autoritarismus. Um Angst. Und um den Versuch, die Verfassung zu brechen.“ Seine Worte wirken wie ein Echo früherer amerikanischer Krisen – Momente, in denen Macht mit Sicherheit verwechselt wurde.

Während die Truppen in den Kasernen südlich der Stadt Aufstellung nehmen, bleibt die Lage gespannt. Das Weiße Haus spricht von einem „temporären Schutzauftrag“ zur Unterstützung von ICE-Agenten; in Wirklichkeit steht eine politische Frontlinie. Schon jetzt deutet sich an, dass die Nationalgarde in den kommenden Tagen im Großraum Chicago patrouillieren könnte – gemeinsam mit dem FBI, unter direkter Weisung Washingtons. Die Symbolik dieses Einsatzes ist unmissverständlich. Aus Texas entsandte Truppen marschieren auf Befehl des Präsidenten in Illinois ein, während der eigene Gouverneur sie stoppen will. Es ist ein föderaler Ausnahmezustand, verkleidet als Sicherheitsmaßnahme. Noch sind es nur Hunderte Soldaten, noch heißt es offiziell, sie dienten dem „Schutz von Bundespersonal“. Doch hinter der nüchternen Sprache beginnt ein gefährliches Experiment: der Test, ob sich die Trennung zwischen ziviler Ordnung und militärischer Kontrolle in den Vereinigten Staaten überhaupt noch aufrechterhalten lässt.

Selbst Papst Leo XIV, gefragt in Rom nach seiner Meinung, wollte nichts dazu sagen. „Ich kommentiere keine politischen Entscheidungen der Vereinigten Staaten“, erklärte er auf Italienisch. Doch seine Zurückhaltung sagt mehr als viele Reden: Sie deutet an, dass die Welt längst verstanden hat, was in Chicago gerade erprobt wird – eine neue Art amerikanischer Innenpolitik, in der das Militär wieder auf den Straßen einer Demokratie steht.

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bahe
bahe
10 Stunden zuvor

Ich verliere langsam, aber sicher den Glauben daran, dass die amerikanische Demokratie noch zu retten ist. Zu viele buckeln einfach vor Trump und seinen Komplizen. Aber selbst ein Amtsenthebungsverfahren würde nicht helfen. Denn ist Trump weg, kommt Vance, Pest oder Cholera.

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