Energie vor Menschen – Wie Trump den Shutdown zum Hebel für Öl, Gas und Kohle macht

VonRainer Hofmann

Oktober 2, 2025

Während in Washington seit dem 1. Oktober 2025 die Uhren stillstehen, beweist die Trump-Regierung einmal mehr, dass Stillstand nicht für alle gilt. Mehr als 750.000 Bundesangestellte wissen nicht, ob und wann sie wieder bezahlt zur Arbeit erscheinen können, doch im Innenministerium laufen die Räder für die fossile Industrie ungebremst weiter. Jene Beschäftigten, die Genehmigungen für Öl-, Gas- und Kohleprojekte ausstellen, sind vom Zwangsurlaub ausgenommen – eine politische Entscheidung, die nicht einmal verschleiert, worum es in diesem Shutdown im Kern geht: die Beschleunigung des fossilen Booms auf Staatskosten. Nach den vorliegenden Notfallplänen bleiben zentrale Mitarbeiter im Bureau of Land Management sowie im Bureau of Ocean and Energy Management im Dienst. Sie sollen sicherstellen, dass Bohr- und Förderlizenzen nicht liegen bleiben, während fast ein Viertel der Beschäftigten im Land-Büro und die meisten im Ozean-Büro in den erzwungenen Leerlauf geschickt werden. Begründet wird diese Priorisierung mit einer „Nationalen Energie-Notlage“, die Kritiker schlicht als Erfindung bezeichnen, um Trumps energiepolitische Agenda weiterzutreiben. Damit eröffnet sich privaten Unternehmen weiterhin der Zugriff auf öffentliches Land und die Lagerstätten im Golf von Mexiko – ein Geschenk an die Industrie in Zeiten, in denen der Staat ansonsten seine Dienste einfriert.

Dass Trump Shutdowns nicht scheut, hat die Vergangenheit mehrfach gezeigt. Doch auch die Geschichte belegt, wie selten sich durch die Stilllegung des Staates größere politische Siege erringen lassen. 2018 blockierten Demokraten das Budget drei Tage lang, um Schutz für die sogenannten „Dreamer“ zu erzwingen. Am Ende gaben sie nach, als Mitch McConnell lediglich eine Abstimmung versprach. Wenige Monate später war es Trump selbst, der für seine Grenzmauer 35 Tage lang den längsten Shutdown der US-Geschichte provozierte, ehe der Druck durch leere Flughäfen und verärgerte Fluggäste ihn zurück zwang. Bereits 2013 hatten Republikaner unter Ted Cruz die Regierung lahmgelegt, um gegen Obamas Gesundheitsreform zu kämpfen – ohne am Ende nennenswerte Zugeständnisse zu erhalten. Senator John Thune fasst diese Bilanz nüchtern zusammen: „Shutdowns nutzen niemandem, am wenigsten den Amerikanern.“

Trumps Verweis auf eine angebliche „nationale Energie-Notlage“ ist ein durchschaubarer politischer Betrug. Während Millionen Amerikaner mit steigenden Gesundheitskosten, gefährdeten Hilfsprogrammen und überlasteten Flughäfen konfrontiert sind, hält die Regierung gezielt nur jene Behörden am Laufen, die neue Öl-, Gas- und Kohleprojekte durchwinken. Die behauptete Notlage existiert nur auf dem Papier – sie dient einzig dazu, den fossilen Ausbau durchzudrücken, während der Rest des Landes in den Stillstand gezwungen wird.

Das Memorandum aus dem Weißen Haus legt dies unverblümt offen: Die Finanzierung endet um Mitternacht, die Demokraten blockierten eine Übergangsresolution mit Verweis auf Trumps Ausgabenvorgaben, und nun sollen die Behörden „geordnet“ schließen. Die Sprache ist dabei klar propagandistisch – die Forderungen der Demokraten werden als „wahnsinnig“ gebrandmarkt, Trump selbst als Unterstützer eines „sauberen“ Gesetzes inszeniert. In Wahrheit nutzt er den Shutdown, um die Schuld abzuwälzen und gleichzeitig Ausnahmen für seine Kerninteressen zu schaffen. Programme, die Schwächsten schützen oder die Sicherheit garantieren, bleiben auf der Strecke, während fossile Genehmigungen mit Priorität weiterlaufen. Damit zeigt das Schreiben vor allem eines: die Verschiebung staatlicher Machtmittel weg vom Allgemeinwohl hin zur Durchsetzung einer einseitigen Agenda.

Dass die politische Erpressung dennoch erneut gewählt wird, liegt auch an der Schwäche des Kongresses. In der Bevölkerung genießt das Parlament kaum Vertrauen. Nur fünf bis sechs Prozent im Durchschnitt gaben in Umfragen an, ein „großes Vertrauen“ in die Arbeit des Kongresses zu haben. Rund die Hälfte äußerte „nur etwas Vertrauen“, 44 Prozent praktisch keines. Auffällig ist, dass diese Skepsis parteiübergreifend tief verankert ist: Zehn Prozent der Republikaner, aber nur zwei Prozent der Demokraten erklärten, wirklich Vertrauen in den Kongress zu haben.

Das aktuelle Ringen entzündet sich an einem hochsensiblen Punkt: den Krankenversicherungsbeiträgen. Dank massiver Subventionen konnten in diesem Jahr über 24 Millionen Amerikaner erschwingliche Policen im Rahmen des Affordable Care Act abschließen. Für manche Geringverdiener entfällt die Prämie komplett, Wohlhabendere zahlen maximal 8,5 Prozent ihres Einkommens, und selbst die Mittelschicht wurde stärker einbezogen. Doch die Steuervergünstigungen laufen Ende 2025 aus. Analysen der KFF zeigen, dass Beiträge im kommenden Jahr um durchschnittlich 114 Prozent steigen könnten – das entspricht rund 1.016 Dollar zusätzlich pro Jahr. Millionen von Familien haben bereits entsprechende Vorab-Benachrichtigungen erhalten. Die Demokraten im Repräsentantenhaus fordern deshalb vehement eine sofortige Verlängerung der Zuschüsse. Bei einem Treffen im Weißen Haus musste Chuck Schumer feststellen, dass Trump „nicht einmal wusste“, wie viele Menschen betroffen sein werden.

Während diese Unkenntnis Kopfschütteln auslöst, spüren andere Berufsgruppen die Folgen des Shutdowns bereits unmittelbar. In der Luftfahrt ist das System ohnehin am Limit. Mit nur 10.800 Fluglotsen statt der notwendigen 14.600 und einem Gerätepark, der regelmäßig ausfällt, war die Lage schon vor der Blockade angespannt. Nun müssen die Lotsen ohne Gehalt weitermachen. „Jeder zusätzliche Stress verschlechtert die Sicherheit“, warnt Nick Daniels, Präsident der National Air Traffic Controllers Association. Schon während des 35 Tage langen Shutdowns unter Trump 2019 hatten sich Lotsen Nebenjobs gesucht, um ihre Familien zu ernähren, während Flughäfen wie Miami zeitweise Terminals schließen mussten, weil Sicherheitskräfte in Scharen krankmeldeten. Sollten die Kontrollen und der Betrieb nicht mehr gewährleistet sein, wird die FAA Flüge schlicht drosseln müssen – mit mehr Verspätungen, Streichungen und einem Sicherheitsnetz, das immer löchriger wird.

Nicht nur der Himmel, auch der Alltag am Boden ist betroffen. Das Ernährungsprogramm WIC, das schwangeren Frauen, Babys und Kleinkindern monatlich Unterstützung gewährt, hat noch für ein bis zwei Wochen Mittel übrig. Rund sieben Millionen Menschen beziehen Hilfe, danach drohen Lücken, wenn kein Budget beschlossen wird. In Mississippi wurden bereits neue Anträge gestoppt. Der Reiseverkehr selbst wird zunächst weiterlaufen, doch die Belastungen steigen von Tag zu Tag. Über 61.000 TSA-Beschäftigte und 13.200 Fluglotsen arbeiten ohne Gehalt, Passagiere müssen mit wachsendem Frust, langen Schlangen und mehr Ausfällen rechnen. Geoff Freeman, Chef der US-Reisebranche, warnt: „Je länger der Shutdown dauert, desto mehr werden Reisende ihn spüren – von Sicherheitskontrollen über Verspätungen bis zu Nationalparks, die vermüllen.“

Diese Nationalparks sind ein weiteres Symbol für den Stillstand. Während Straßen, Aussichtspunkte und Wanderwege grundsätzlich offen bleiben sollen, drohen Schließungen, wenn Müllberge wachsen oder Schäden nicht behoben werden. Der National Park Service betreut über 400 Stätten, von Yellowstone bis zur Freiheitsstatue. Auch die Smithsonian-Museen bleiben zunächst geöffnet, doch spätestens ab dem 6. Oktober könnten auch sie ihre Tore schließen.

Amtrak, die staatliche Eisenbahn, kündigt hingegen an, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Täglich verkehren über 300 Züge in 46 Bundesstaaten und bis nach Kanada. Und auch internationale Reisende können weiterhin in die USA einreisen, da Grenzposten mit 63.000 Mitarbeitern besetzt bleiben. Pässe und Visa werden ebenfalls weitgehend normal bearbeitet, da die zuständige Behörde überwiegend durch Gebühren finanziert ist – lediglich das E-Verify-Programm, mit dem Arbeitgeber den Status neuer Mitarbeiter prüfen, ist während des Shutdowns außer Betrieb.

Die politische Dramatik dieses Stillstands lässt sich an zwei Ebenen ablesen: einerseits an den Millionen Amerikanern, die unmittelbar höhere Gesundheitskosten, Versorgungsengpässe oder Reiseprobleme befürchten müssen; andererseits an der Prioritätensetzung der Regierung, die im Kern zeigt, wem sie dient. Während Familien mit drastischen Prämiensteigerungen rechnen müssen und Frauen mit Kindern um ihre Essensgutscheine bangen, hält Trump die Maschinerie für Öl, Gas und Kohle am Laufen – legitimiert durch eine „Energie-Notlage“, die es nur auf dem Papier gibt. Es ist ein Shutdown, der die politische Handschrift einer Regierung trägt, die den Staat als Bühne für Machtspiele begreift und dabei das Gemeinwohl in den Hintergrund drängt.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x