Es ist ein Dokument, das man zweimal lesen muss, um zu begreifen, dass es kein Scherz ist. Unter dem Briefkopf des Weißen Hauses wird ein „Autismus-Aktionsplan“ vorgestellt, der eher an einen mittelalterlichen Ablasshandel erinnert als an moderne Wissenschaft. Acetaminophen, im Rest der Welt als Paracetamol bekannt, wird plötzlich zur Gefahrenquelle für das ungeborene Kind stilisiert. Vage Formulierungen über „mögliche Assoziationen“ zwischen Schmerzmitteln in der Schwangerschaft und neurologischen Schäden werden so präsentiert, als sei der Zusammenhang längst erwiesen. Man spürt die Hand jener Kräfte, die Unsicherheit zur Waffe machen – und aus statistischen Zufälligkeiten ein politisches Dogma schmieden.

Doch es bleibt nicht bei dieser Warnung. In einer Mischung aus Zynismus und politischer Verzweiflung wird Leucovorin, ein seit Jahrzehnten bekanntes Folsäure-Derivat, kurzerhand als erste „anerkannte Therapie“ gegen Autismus ausgerufen. Die Logik ist grotesk: Weil es seltene Stoffwechselstörungen gibt, bei denen Leucovorin helfen kann, soll es nun auf breiter Front gegen Autismus wirken. Dass Autismus ein komplexes neurobiologisches Spektrum ist, das sich nicht auf Vitaminpillen reduzieren lässt, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur die Schlagzeile: „Das erste Medikament gegen Autismus.“ Die Inszenierung triumphiert über die Realität.

Gekrönt wird dieses Schauspiel durch den HHS-Sekretär Robert F. Kennedy, der in einer Rede mit dem US-Präsidenten im Rücken verkündet, 40 bis 70 Prozent der Mütter autistischer Kinder glaubten, ihre Kinder seien durch Impfungen geschädigt worden. Man muss diesen Satz wirken lassen: Ausgerechnet das Weiße Haus erhebt subjektive Überzeugungen zur politischen Wahrheit. Wissenschaft wird ersetzt durch Mehrheitsglauben in einer Umfrage, Evidenz durch gefühlte Prozentzahlen. Präsident Trump, so Kennedy, wolle diesen Müttern „zuhören“, statt sie „wie frühere Regierungen zu gaslighten“. Ein Zitat, das zeigt, wie weit die Administration bereit ist zu gehen: Der Staat soll nicht länger schützen, er soll bestärken – selbst dann, wenn er damit gefährliche Mythen legitimiert.
Hier, in diesem absurden Dreiklang aus Schmerzmittel-Hysterie, Vitaminwundermittel und Impfverschwörung, zeigt sich das wahre Gesicht dieser Politik. Es ist der Rückfall in eine Zeit, in der Hexen für Missernten verantwortlich gemacht wurden, in der Heilung Versprechen und nicht Forschung war, in der Angst und Aberglaube den Platz der Aufklärung besetzten. Dass dies im Jahr 2025 von der mächtigsten Regierung der Welt betrieben wird, ist nicht nur ein Rückschritt, es ist ein Verrat an der Vernunft.

Wenn eine republikanische Abgeordnete wie Mary Miller – bekannt für ihre Nähe zur extremen Rechten und berüchtigt für ihre Lobpreisung Hitlers als jemand, der „die Jugend gewonnen habe“ – öffentlich verkündet, Trumps Autismus-Plan sei „die Führung, für die wir gebetet haben“, dann zeigt das, wie weit sich die USA in ein Gottesstaat-Narrativ hineinbewegt haben. Politik wird nicht mehr als säkulare Aufgabe verstanden, sondern als göttliche Erfüllung. Hier betet man nicht um Gerechtigkeit, sondern um Dekrete, die auf Aberglauben beruhen. Dass ausgerechnet eine Abgeordnete mit solcher Vergangenheit den Schulterschluss mit einem Autismus-Programm feiert, das wissenschaftliche Grundlagen ignoriert, macht die Absurdität komplett: Der Staat handelt wie eine Kirche, und seine Jünger jubeln, als hielten sie eine Messe.
Die Verantwortungslosigkeit ist atemberaubend. Tausende Familien mit autistischen Kindern brauchen Unterstützung, Inklusion, Forschung, Therapien, die auf Evidenz beruhen. Was sie bekommen, ist ein politischer Jahrmarkt, bei dem wissenschaftlich schwache Studien aufgeblasen, Pseudotherapien hofiert und Impfgegner zur Stimme der Nation gemacht werden. Dieses ‚Aktionsprogramm‘ liefert keine Hoffnung, sondern Unsicherheit. Forschung wird durch Schlagworte ersetzt, Schutz durch die gefährliche Botschaft: Glauben zählt mehr als Beweise.
Amerika inszeniert sich damit mehr und mehr zum Gottesstaat, der Geist, der hier spricht, ist der der Inquisition. Er erklärt Skepsis zur Sünde und Aberglauben zur Staatsdoktrin. Man möchte meinen, die Aufklärung sei nie geschehen.
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Und wem genau nützen denn nun diese Absurditäten 🤔
Und wieder zeigt die sogenannte pro-life Partei, wer sie wirklich sind.
Keine Beschützer, sondern Gefährder.
Wer hat wohl im Vorfeld Aktien von Leucovorin?
Ist Tylenol nicht genug auf Trumps Linie?
Warum Paracetamol?
Einfach zu erklären. Es ist das mit Abstand meist genutzt frei verkäufliche Schmerzmittel in den USA.
Somit ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sehr viele Schwangere es genutzt haben.
Dumm nur, dass schon viele Mutter gepostet haben, dass sie in der Schwangerschaft auf alle Medikamente und Alkohol und Zigaretten verzichtet haben…..
Auch da wird Trump, der Heilsbringer, eine Lösung finden.
In meinen Augen ist das Körperverletzung.
Anstatt Forschung und Inklusionzu fordern, wird die Schuld Parecetamol gegeben und natürlich den Müttern, die es genutzt haben.
Das ist ja schlimmer als im Mittelalter.
Als Mutter eines Autisten und Ehefrau eines solchen, klappt mir einmal mehr die Kinnlade runter. Ich frage mich wann die ersten Hexenverbrennungen in Absurdistan starten um Krankheiten weg zu beten.