Was in Florida geschieht, ist nicht einfach eine weitere kulturkämpferische Provokation. Es ist ein Frontalangriff auf die moderne öffentliche Gesundheitsvorsorge. Staatssurgeon-General Joseph Ladapo erklärte am Mittwoch, dass Florida als erster Bundesstaat der USA sämtliche Impfpflichten abschaffen wolle – nicht nur für COVID-19, sondern für Masern, Mumps, Röteln, Polio, Diphtherie, Hepatitis und andere Krankheiten, die jahrzehntelang durch flächendeckende Impfprogramme zurückgedrängt wurden. Mit einem einzigen Federstrich will Ladapo „jeden letzten“ dieser Schutzmechanismen beenden. Das ist nicht nur eine radikale Kehrtwende in der amerikanischen Gesundheitspolitik, es ist eine Einladung an Krankheiten, die man längst besiegt glaubte. Masern sind keine Bagatelle, Polio kein Relikt aus Geschichtsbüchern, und Keuchhusten kein harmloser Husten. Impfprogramme haben laut WHO in den vergangenen fünfzig Jahren mindestens 154 Millionen Leben gerettet, die allermeisten davon Kinder. Sie haben Klassenzimmer offen gehalten, Epidemien verhindert und die Gesellschaft stabiler gemacht. Und nun soll all das geopfert werden – auf dem Altar einer ideologisch aufgeladenen Vorstellung von „medizinischer Freiheit“.

Ladapo nennt Impfpflichten „unmoralisch“, eine Einmischung des Staates in die Körper der Bürger. Das klingt wie ein Schlachtruf der Libertären, verkennt aber die einfache Wahrheit: Gesundheit ist nie nur privat. Ein Kind, das nicht geimpft ist, kann in der Schule andere anstecken. Eine Gemeinschaft, die auf kollektiven Schutz verzichtet, verliert das, was Epidemiologen Herdenimmunität nennen – und öffnet die Tür für Ausbrüche, die längst aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden waren. Unterstützung bekommt Ladapo von Gouverneur Ron DeSantis, der seit der Pandemie einen politischen Kreuzzug gegen die öffentliche Gesundheitsbehörde CDC und gegen alle Formen von Impfpflichten führt. DeSantis kündigte am Mittwoch die Gründung einer Kommission „Make America Healthy Again“ an, die nichts weniger tun soll, als das gesamte medizinische Regelwerk auf den Kopf zu stellen. Geleitet von Vizegouverneur Jay Collins und First Lady Casey DeSantis, soll die Kommission ein umfassendes „Medizinisches Freiheits-Paket“ vorbereiten – und damit den Weg für eine komplette Demontage aller bestehenden Schutzvorschriften ebnen.

Was hier als „Recht auf Selbstbestimmung“ verkauft wird, ist in Wahrheit eine politische Entscheidung mit potenziell tödlichen Folgen. Kinderärzte wie Dr. Rana Alissa warnen, dass das Entfernen von Impfpflichten nicht nur die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Bildungssystems bedroht: Wer krank zu Hause liegt, verpasst Unterricht, Eltern können nicht arbeiten, lokale Wirtschaftskreisläufe brechen ein. Und Demokratin Anna Eskamani, die in Orlando für das Bürgermeisteramt kandidiert, spricht von einer „öffentlichen Gesundheitskatastrophe in der Entstehung“. Die American Medical Association warnt ebenfalls, dass Jahrzehnte medizinischen Fortschritts in Gefahr sind. Die Datenlage ist eindeutig: Impfstoffe sind sicher, wirksam und der beste Schutz vor Ausbrüchen. Wer das Gegenteil behauptet, betreibt nicht Aufklärung, sondern Desinformation. Dass die Trump-Administration unter Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. diese Agenda nun offen unterstützt, passt ins Bild: Kennedy ist seit Jahren als Impfgegner bekannt, seine „Reformen“ bei der CDC haben bereits zu massiven Personalabwanderungen und politischem Streit geführt. Nun wird dieser Kurs auf die Bundesstaaten übertragen – mit Florida als Speerspitze. Die Folgen könnten verheerend sein. Schon jetzt verzeichnen die USA sinkende Impfquoten in Kindergärten und Grundschulen. In manchen Counties sind sie so niedrig, dass die WHO warnt, die Ausbreitung von Masern sei nur eine Frage der Zeit. Wenn ein so großer Bundesstaat wie Florida sämtliche Pflichten streicht, werden andere republikanisch regierte Staaten folgen. Dann droht nicht nur ein regionales, sondern ein nationales Problem. Und der Blick über die Grenzen macht das Ausmaß noch deutlicher. Während die Weltgesundheitsorganisation in Afrika und Asien Milliarden investiert, um Polio endgültig auszurotten, schafft Florida genau jene Voraussetzungen, die das Virus zurückbringen könnten. UNICEF kämpft darum, in Krisengebieten wie Sudan oder Afghanistan Kinder zu erreichen, damit sie überhaupt eine Grundimmunisierung bekommen – und in einem der reichsten Bundesstaaten der USA diskutiert man ernsthaft darüber, diese Immunisierung freiwillig zu machen. Das ist nicht Fortschritt, das ist Rückschritt auf Kosten der Verwundbarsten. Es ist bezeichnend, dass DeSantis von „vor der Kurve bleiben“ spricht, während er die Schutzplanken entfernt, die seine eigenen Bürger bislang vor gefährlichen Krankheiten bewahrt haben. Die Vorstellung, man könne Infektionskrankheiten durch individuelle Entscheidungsfreiheit besiegen, ist nicht nur wissenschaftlich falsch – sie ist gefährlich. Sie verkennt, dass Viren keine politischen Grenzen respektieren und dass individuelle Entscheidungen kollektive Konsequenzen haben. Wenn Florida diesen Weg geht, wird die Welt zuschauen müssen, wie in einem Laborversuch mit 22 Millionen Menschen getestet wird, was passiert, wenn man den Impfschutz aufgibt. Die Antwort dürfte nicht lange auf sich warten lassen: steigende Fallzahlen, steigende Hospitalisierungen, vermeidbare Todesfälle. Wer dann noch von „Freiheit“ spricht, sollte erklären, wessen Freiheit hier gemeint ist – die der Viren oder die der Kinder, gesund aufzuwachsen.
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Grundsätzlich wäre ja gegen eine Aufhebung der Impfpflicht nichts einzuwenden, wenn es stattdessen genug Aufklärung über den Sinn und Nutzen von Impfungen und kostenfreie, niederschwellige Angebote gäbe (ich erinnere mich noch an die Schulimpfungen gegen Kinderlähmung und Pocken in den 60er Jahren), zumal es Länder ohne jegliche Impfpflicht gibt, die nicht von ständigen Epidemien heimgesucht werden.
Allerdings sieht das in den sektengeführten USA anders aus, was letztendlich wieder die ganze Welt gefährden könnte.
👍
Hinter dieser Abschaffung der Impfpflicht steht ja noch etwas Anderes.
Nämlich, dass Versicherungen den Impfschutz nicht mehr übernehmen müssen.
Damit wird den ärmeren Bevölkerungsschichten der Zugang zu den Impfungen fast unmöglich.
So leisten sich die Reichen (ich bin mir sicher, dass DeSantis Kinder geimpft sind, so wie auch Kennedy und seine Familie) die wichtigen Impfungen.
Die ärmeren Kinder werden erkranken. Die Bildung sinkt und schon kann man sie dann, dank des ausgehebelten Kinderschutzes, auf die Felder schicken.
DAS ist die wahre Sklaverei, nicht die Impfung. (DeSantis äußerste sich in einem Interview, dass die „Impfpflicht vor Sklaverei trieft“)
Die Pro Life Party ….
Ladapo nennt Impfpflichten „unmoralisch“, eine Einmischung des Staates in die Körper der Bürger.
Die Einmischung des Staates in das Selbstbestimmungsrecht der Frauen ist aber ok.
Vor der Geburt wird um jedes Embryo gekämpft, egal ob die Mutter zu Schaden kommt/ stirbt.
Aber kaum ist das Kind auf der Welt, interessieren sich diese MAGA weder für die Gesundheit noch die Sicherheit der Kinder.
Was ein verlogenes Pack.
…im lügen sind die absolute spitze und vollkommen zollfrei 🙂
Unglaublich mit welcher Geschwindigkeit die MAGAs ihren Plan versuchen umzusetzen.
Alles auf Kosten der Bevölkerung, die nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt. MAGA = Eliteklasse die reicher wird und sich Gesundheitsversorgung dann noch als einzige leisten können. Das arme Fussvolk soll für die einfach funktionieren und die Klappe halten… Ich nenne das Sklaverei!
florida ist mit dem haus- und hoffaschisten desantis eine ausnahe, weil was dort läuft ist wahrlich aussergewöhnlich
Wobei Abott und Co ja in der Zwischenzeit wetteifern, wer „schneller, besser und umfangreicher“ im Sinne von Project 2025 agiert.