Wenn die Mitte versagt: Trumps fossile Kreuzzüge und Europas demokratische Erosion

VonRainer Hofmann

August 28, 2025

Der amerikanische Präsident hat nie einen Hehl aus seiner Verachtung für die Energiewende gemacht. Jetzt trägt Donald Trump seinen fossilen Feldzug mit brachialer Gewalt in die Welt hinaus – und trifft dabei auf ein Europa, das in seiner eigenen politischen Schwäche gefangen ist. Was sich derzeit zwischen Washington und Brüssel abspielt, ist mehr als ein handelspolitisches Tauziehen. Es ist das Symptom einer tiefgreifenden Krise der westlichen Demokratien, in der autoritäre Kräfte die Schwäche der Mitte gnadenlos ausnutzen. Trump nutzt Zölle, Drohungen und die schiere ökonomische Macht der Vereinigten Staaten, um andere Länder zur Abkehr von ihren Klimazielen zu zwingen. Bei einer Kabinettssitzung formulierte er seine Mission mit erschreckender Klarheit: „Ich versuche, die Leute ganz schnell über Wind aufzuklären, und ich denke, ich habe gute Arbeit geleistet, aber nicht gut genug, weil einige Länder es immer noch versuchen.“ Länder würden sich mit Windenergie „selbst zerstören“, fügte er hinzu, bevor er seine dystopische Vision offenbarte: „Ich hoffe, sie kehren zu fossilen Brennstoffen zurück.“

Donald Trump – Kabinettssitzung im Weißen Haus, Dienstag, den 26. August 2025. Die Sitzung fand im Kabinettsraum statt, mit vollständiger Berichterstattung durch den Pressepool – einschließlich großem Applaus, wofür auch immer – sowie TV-, Print- und Nachrichtenagenturen.

Die Systematik, mit der die Trump-Regierung vorgeht, lässt nichts dem Zufall über. Vor zwei Wochen kündigte Washington an, Länder mit Zöllen, Visabeschränkungen und Hafengebühren zu bestrafen, die für ein globales Abkommen zur Senkung der Treibhausgasemissionen im Schifffahrtssektor stimmen. Tage später verbündeten sich die USA in Genf mit Saudi-Arabien und anderen Ölstaaten, um Grenzen für die Produktion erdölbasierter Kunststoffe zu blockieren – jener Materialien, die mittlerweile sogar im menschlichen Gehirn nachgewiesen wurden.

Das Versagen der demokratischen Mitte

Während Trump mit der Abrissbirne durch die internationale Klimapolitik pflügt, offenbart sich in Europa ein noch beunruhigenderes Phänomen: die schleichende Selbstaufgabe der politischen Mitte. In Deutschland, dem Land, das sich gerne als Stabilitätsanker des Kontinents sieht, zeigt sich diese Erosion besonders dramatisch. Die jüngste Forsa-Umfrage vom 26. August 2025 spricht eine vernichtende Sprache: Die AfD liegt bei 26 Prozent, nur einen Prozentpunkt hinter der Union, die bei 25 Prozent dümpelt. Die SPD ist auf 13 Prozent abgestürzt, die Grünen erreichen noch 12 Prozent, die Linke 11 Prozent. BSW und FDP liegen bei jeweils 3 Prozent am Rande der Bedeutungslosigkeit.

Alice Weidel nutzt diese Zahlen für ihre toxische Propaganda. Auf X (ehemals Twitter) bläst sie ins Horn des Triumphes: „Der Trend festigt sich: Die AfD bleibt stärkste Kraft vor der Union!“ Doch was sie als Erfolg verkauft, ist in Wahrheit das Symptom einer gefährlichen Krankheit unserer Demokratie. Die AfD ist nicht stark geworden – die demokratischen Parteien haben sich selbst entmachtet. Eine Partei, die mit Putin-Nähe kokettiert, die EU zerstören will und den Klimawandel leugnet, profitiert einzig von der Impotenz der politischen Mitte.

Die SPD verharrt als Juniorpartner in der großen Koalition wie ein Schatten ihrer selbst, unfähig, auch nur den Hauch einer eigenständigen Vision zu entwickeln. Die CDU/CSU unter Kanzler Friedrich Merz taumelt orientierungslos durch die Krisen unserer Zeit, gefangen zwischen dem verzweifelten Versuch, AfD-Wähler zurückzugewinnen, und der Angst, die eigene Identität zu verlieren. Die Grünen befinden sich nach Habecks Rückzug und Baerbocks Wechsel zu den Vereinten Nationen in einer Phase der Neuaufstellung und Neuausrichtung. Die FDP existiert mit 3 Prozent nur noch auf dem Papier.

Weidels perfider Tweet vom 21. August zeigt, wie geschickt Rechtspopulisten die Schwäche der Demokraten ausnutzen. Über die Ukraine schreibt sie: „Zeugnis der europäischen Inkompetenz und Führungslosigkeit. Die Europäische Union wird zusammen mit Selenskyj auf diesem Krieg sitzen bleiben, während sich die USA herausziehen.“ Es ist die typische AfD-Masche: Sie spielt mit den Ängsten der Menschen, schürt Ressentiments gegen Europa und die Ukraine, während sie sich gleichzeitig an Putins Rockzipfel hängt. Dass eine Partei mit solch durchschaubarer Kreml-Propaganda Erfolg hat, zeigt das komplette Versagen der demokratischen Parteien, eine glaubwürdige Alternative anzubieten.

Weimarer Warnsignale im 21. Jahrhundert

Die Parallelen zur Weimarer Republik drängen sich mit beunruhigender Deutlichkeit auf. Auch damals war es nicht die Stärke der Extremisten, sondern die Schwäche der Demokraten, die den Weg in die Katastrophe ebnete. Das Zögern, das Lavieren, die Angst vor klaren Entscheidungen – all das machte eine radikale Bewegung salonfähig, die das Land schließlich in den Abgrund führte. Heute wiederholt sich das Muster in neuer Gestalt, diesmal im transatlantischen Maßstab.

Jennifer Morgan, ehemalige deutsche Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik, bringt die globale Dimension auf den Punkt: „Gerade in diesem Moment ist es absolut entscheidend, dass Länder ihre Zusammenarbeit angesichts der Klimakrise verdoppeln, verdreifachen, um nicht den aktiven Bemühungen der Trump-Regierung um eine fossile Welt nachzugeben.“ Doch statt dieser Verdreifachung erleben wir eine Kapitulation auf Raten: Europa entging nur knapp einem Handelskrieg mit Trump, indem es sich unter anderem verpflichtete, innerhalb von drei Jahren Rohöl, Erdgas, andere Erdölprodukte und Brennstoff für Kernreaktoren im Wert von 750 Milliarden Dollar aus den USA zu kaufen. Auf Jahresbasis entspräche das mehr als dem Dreifachen dessen, was der Block im vergangenen Jahr von den Vereinigten Staaten bezogen hatte.

„Man sieht einen systematischeren Versuch, eine ‚Fossil-Fuel-First‘-Strategie auf alles anzuwenden, was sie tun“, sagte Jake Schmidt, Direktor für internationale Programme beim Natural Resources Defense Council, einer Umweltorganisation. Die Regierung könne den Übergang anderer Länder zu sauberer Energie verlangsamen, ihn aber nicht stoppen, sagte Schmidt. Die meisten Länder, die das Pariser Abkommen unterzeichnet haben, würden in diesem Jahr ehrgeizigere Ziele zur Senkung ihrer Treibhausgasemissionen bei den Vereinten Nationen einreichen, auch wenn einige ihre Pläne wegen der US-Position abschwächen könnten, erklärte er. Diana Furchtgott-Roth, Direktorin des Zentrums für Energie, Klima und Umwelt der konservativen Heritage Foundation, argumentierte, die Trump-Regierung handle richtig, indem sie Länder unter Druck setze, erneuerbare Energien abzulehnen.

„Europa kommt in die Vereinigten Staaten und sagt: ‚Helft uns, uns gegen Russland zu verteidigen, helft uns mit der Ukraine‘“, sagte Furchtgott-Roth. „Und gleichzeitig geben sie 350 Milliarden Dollar pro Jahr für grüne Energie-Investitionen aus, die ihre Volkswirtschaften verlangsamen.“ „Das scheint für die Trump-Regierung nicht sehr viel Sinn zu ergeben“, sagte sie und fügte hinzu: „Ich denke, wir werden mehr Druck sehen.“ Die kognitive Dissonanz könnte nicht größer sein. Der Widerstand gegen Trumps fossilen Imperialismus existiert durchaus – in der Zivilgesellschaft, bei Wissenschaftlern, in progressiven US-Bundesstaaten. Doch er bleibt fragmentiert und kraftlos. Wenn Ursula von der Leyen mit unbewegter Miene neben Trump sitzt, während dieser behauptet, Windräder machten Vögel „verrückt“, dann ist das nicht diplomatische Zurückhaltung, sondern ein Symbol der Ohnmacht.

Unterdessen beinhalten praktisch alle Handelsabkommen der Trump-Regierung die Verpflichtung der Handelspartner, US-Öl und Gas zu kaufen. Südkorea verpflichtete sich, Flüssiggas im Wert von 100 Milliarden Dollar über einen nicht näher genannten Zeitraum zu kaufen. Auch Japan wird erwartet, 550 Milliarden Dollar in den USA zu investieren, teilweise mit Schwerpunkt auf „Produktion von Energieinfrastruktur“. Eine Erklärung des Weißen Hauses sagte, dass die Gelder Flüssiggas und fortschrittliche Brennstoffe umfassen würden. Die Regierungen der USA und Japans planten außerdem eine „massive Ausweitung der US-Energieexporte nach Japan“. Dabei soll es sich um ein 44-Milliarden-Dollar-Projekt zur Verschiffung von Gas nach Asien von Alaskas North Slope handeln.

Das Jahr 2024 war das heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen, das erste Kalenderjahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau lag. Während Waldbrände wüten, Dürren ganze Regionen verwüsten und Hitzewellen Todesopfer fordern, verspottet Trump die etablierte Klimawissenschaft und lässt einen Bericht verfassen, in dem fünf handverlesene Forscher den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel leugnen. Und die AfD? Sie applaudiert, leugnet ebenfalls den Klimawandel und träumt von einer Rückkehr zur Kohle. Die eigentliche Tragödie liegt nicht in Trumps Verhalten – er tut genau das, was er angekündigt hat. Die Tragödie liegt in der Reaktion Europas und der demokratischen Kräfte weltweit. Statt geschlossen Widerstand zu leisten, biedern sie sich an, suchen Kompromisse dort, wo es keine geben kann, und opfern langfristige Überlebensfähigkeit für kurzfristige Handelsvorteile. Sie bestätigen damit genau jenes Narrativ von Schwäche und Dekadenz, das Rechtspopulisten von Washington bis Berlin so erfolgreich kultivieren.

Dass eine Partei wie die AfD, die mit Rechtsextremisten paktiert, demokratische Institutionen verachtet und sich als verlängerter Arm Moskaus geriert, bei 26 Prozent steht, ist eine Schande für Deutschland. Aber es ist keine Schande, die das Volk zu verantworten hat. Es ist die Schande einer politischen Elite, die vergessen hat, wofür sie kämpfen sollte. Die Menschen wenden sich nicht der AfD zu, weil sie deren menschenverachtende Ideologie teilen – sie tun es aus Verzweiflung über eine Politik, die keine Antworten mehr hat. Wer den Aufstieg der Rechten beklagt, sollte aufhören, mit dem Finger auf die Wähler zu zeigen. Der Nährboden für den autoritären Backlash liegt nicht im Volk, sondern im Zentrum der Politik – in der Feigheit, sich Konflikten zu stellen, im fehlenden Rückgrat, unpopuläre Wahrheiten auszusprechen, in der Weigerung, endlich klare Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu liefern. Geschichte wiederholt sich nicht im Detail, aber sie warnt. Und gerade in Deutschland, wo eine demokratiefeindliche Partei kurz davor steht, stärkste Kraft zu werden, darf man diese Warnung nicht länger ignorieren. Die Zeit der Halbheiten ist vorbei. Was jetzt zählt, ist der Mut zur Klarheit – oder das Risiko, in einer Welt aufzuwachen, in der die fossile Vergangenheit über die Zukunft triumphiert und die Demokratie sich selbst aufgegeben hat.

Investigativer Journalismus braucht Mut, Haltung und auch Deine Unterstützung.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
7 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Irene Monreal
Irene Monreal
1 Monat zuvor

Es ist absolut zum verrückt werden! Wir könnten so viel Druck ausüben, und, wie du andeutet, durchaus mit Rückhalt aus der Wählerschaft.
Ich erinnere mich, als vor über 30 Jahren Gorbatschow gestürzt wurde und ausgerechnet unser Bundeskanzler Hellmut Kohl noch mitten in der Nacht bestätigen musste „wir werden auch mit der zukünftigen Regierung vertrauensvoll zusammenarbeiten“.
Ich habe mich in einer Clique hochstudierter Menschen darüber ausgekotzt und bekam zur Antwort: warum redest du über Dinge, von denen du nichts verstehst?
Hallo? Unser Unionskanzler hat in unterwürfiger Beflissenheit nachts um zwei kommentiert, am nächsten Morgen kam dann aus aller Welt Kritik. Ist es das, was ich nicht verstehe, erst die Geschäfte, der gesunde Menschenverstand kann warten?
Wir haben die einmalige Gelegenheit uns in einem großen Verbund gegen die USA zu wehren, aber wir müssten FÜHREN! Das heißt Verantwortung übernehmen. Aber wie viel leichter ist es, herumzulavieren um dann tausend Gründe anzuführen, warum wir im Dreck stecken.

Carola Richter
Carola Richter
1 Monat zuvor
Reply to  Irene Monreal

Bravo. An die Geschichte von Kohl erinnere ich mich gut, und sich dann später als den Kanzler der Wiedervereinigung hat feiern lassen und die ursprünglichen Leistungen von Brandt seit 1970 wurden nicht erwähnt, wie auch nur geschmälert im Vergleich zu sich selbst, hat er Genscher erwähnt

Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

„…sondern im Zentrum der Politik – in der Feigheit, sich Konflikten zu stellen, im fehlenden Rückgrat, unpopuläre Wahrheiten auszusprechen, in der Weigerung, endlich klare Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu liefern…“

Besser hätte man es nicht auf den Punkt bringen können, Rainer.

Die Politiker, ob EU oder Deutschland ducken sich weg.
Hofieren Trump, obwohl er seine Maske längst fallen gelassen hat.
Er ist Faschist. Durch und durch.
Dennoch wird er behandelt wie ein rohes Ei. Ihn bloß nicht verärgern, immer schön buckets.
Uns werden die „Deals“ als tolle Sache verkauft. Wir sollen doch dankbar sein. Es hätte doch schlimmer kommen können.

Und Trump steht schon da und droht mit neuen Strafzöllen.
Weil er meint der europäische DigitalAct benachteiligt US Unternehmen, wie FB, Instagram…. vor allem geht es aber im Hintergrund sicher um Palantir.

7
0
Would love your thoughts, please comment.x