Der König ohne Krone

VonRainer Hofmann

April 4, 2025

Wie Donald Trump einen venezolanischen Make-up-Artist zu Staatsfeind Nr. 1 erklärte.

In der Logik des neuen Amerikas genügt ein Tattoo, um deportiert zu werden. Nicht ein Verbrechen, kein Urteil, kein Geständnis – nur Tinte auf Haut, ein Bild, eine Symbolik, falsch verstanden oder absichtlich fehlgedeutet. Es ist eine Geschichte, die aus den Tiefen autoritärer Systeme zu stammen scheint. Doch sie spielt in den Vereinigten Staaten, unter Präsident Donald Trump, und sie beginnt mit einer Krone auf dem Handgelenk eines venezolanischen Make-up-Künstlers.

Andry José Hernández Romero, 31 Jahre alt, zierlich gebaut, liebt Theater, Kostüme und seine Heimatstadt Capacho – ein verschlafenes Nest in den venezolanischen Anden, das einmal im Jahr mit opulenter Festlichkeit das Dreikönigsfest begeht. Andry, Schauspieler, Designer und Maskenbildner, gehört zum Herz dieser Tradition. Die Krone auf seinem Arm? Ein Symbol der Epiphanie, der Feier von Weisheit, Hoffnung und Magie. Nun ist es Beweismittel für angebliche Gangmitgliedschaft.

Die falsche Geschichte zur falschen Zeit

Im August 2024 macht sich Andry auf den Weg in die USA. Er hat keine Vorstrafen, keine Waffen, keine Agenda – nur eine Angst vor Verfolgung in Venezuela und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Im Asylverfahren schildert er glaubwürdig seine Bedrohung durch regimetreue Milizen, den Übergriff seines Chefs, die nächtliche Angst. Die US-Beamten erkennen seine „credible fear“, einen glaubhaften Fluchtgrund. Doch bei der medizinischen Untersuchung nehmen sie seine Tattoos ins Visier – darunter zwei Krönchen mit den Worten „Mom“ und „Dad“. In der Sprache des ICE, der US-Einwanderungsbehörde, genügen diese vier Punkte aus dem „Alien Enemy Validation Guide“, um ihn zu verdächtigen. Die Krone – so die Behörde – sei ein Erkennungszeichen der venezolanischen Gang Tren de Aragua.

Doch das ist falsch. Kriminologen, Journalisten, Tattoo-Künstler – alle widersprechen. Die Gang habe keine festen Symbole. Die „Beweise“ sind Projektionen, gespeist aus Stereotypen über MS-13, einer völlig anderen Gruppe aus Zentralamerika. Was bleibt, ist eine staatlich verordnete Gleichsetzung von kultureller Identität mit krimineller Zugehörigkeit. Andry wird festgehalten. Ohne Gerichtsentscheid, ohne Anklage. Und dann – abgeschoben.

Ein Präsident, ein Gesetz, ein Flug ins Nichts

Am 14. März 2025 aktiviert Präsident Trump den Alien Enemies Act – ein Gesetz aus dem Jahr 1798, geschaffen in Kriegszeiten, um Ausländer aus „feindlichen Staaten“ internieren oder abschieben zu können. Einst genutzt gegen Briten, Deutsche, Japaner. Nun gegen Venezolaner. Die Begründung: Venezuela sei ein „feindlicher Akteur“, Tren de Aragua ein Arm des Maduro-Regimes. Die Justiz erfährt von der Maßnahme zu spät. Während Richter James Boasberg in Washington noch versucht, eine Notverfügung zu erlassen, heben Flugzeuge aus Texas Richtung El Salvador ab, mit Hunderten Migranten an Bord, darunter Andry.

In El Salvador erwartet sie kein Asylverfahren, keine Anhörung, kein Rechtsstaat. Präsident Nayib Bukele hat seine Verfassung außer Kraft gesetzt, eine Megagefängnis gebaut und ein Angebot gemacht: Für einen kleinen Preis könne die USA ihre „kriminellen Ausländer“ auslagern. Ein Outsourcing der Grausamkeit.

Die Haarfarbe als Verdachtsmoment

Andry verschwindet. Seine Anwältin erfährt erst durch einen Anruf, dass er verlegt wurde. Als er bei einer Anhörung fehlt, erklärt die Regierung beiläufig: „Er wurde nach El Salvador gebracht.“ Ohne Urteil. Ohne Abschiebebeschluss. Ohne Information. Wenige Tage später taucht ein Video auf: Venezolanische Männer, kahlgeschoren, eingekleidet in weiße Häftlingsuniformen, niedergekniet in den Korridoren des „Zentrums zur Terrorismusbekämpfung“. Unter ihnen, wie sich später herausstellt: Musiker, Gärtner, Studenten. Und ein Make-up-Künstler.

Ein Mann sagt in die Kamera: „Ich bin kein Gangmitglied. Ich bin schwul. Ich bin Friseur.“

Ob es Andry war, ist unklar. Aber seine Geschichte ähnelt dieser Szene erschreckend. Seine Familie erkennt ihn auf einem Foto, seine Freunde verbreiten Videos vom Dreikönigsfest in Capacho. Die ganze Gemeinde beginnt zu kämpfen. Ein Theaterdirektor schreibt Bitten an Bukele. Kinder malen Plakate. Viele tragen Krönchen.

Das Amerika, das uns geblieben ist

Währenddessen verteidigt Trump seine Maßnahme. DHS-Chefin Kristi Noem posiert in El Salvador vor inhaftierten Männern mit MS-13-Tattoos. „Wir werden alle Werkzeuge nutzen“, sagt sie, „gegen die Feinde Amerikas.“ Die Tatsache, dass es keine Beweise gibt, scheint niemanden mehr zu kümmern. Dass Richter Boasberg interveniert, wird als „Mikromanagement“ verspottet.

Als die Bundesrichterin Patricia Millett den Fall verhandelt, sagt sie: „Die Nazis wurden unter dem Alien Enemies Act besser behandelt.“

Was bedeutet Gerechtigkeit in einem Land, in dem ein Präsident per Fingerzeig entscheidet, wer „Feind“ ist? Was bedeutet Wahrheit, wenn ein Tattoo aus einem Festspiel zur Waffe wird? Was bedeutet Gerichtsbarkeit, wenn Flüge starten, während Richter noch sprechen?

Andry ist verschwunden. In den Akten bleibt sein Name. Auf den Straßen Capachos seine Bilder. Auf seinen Armen: zwei Krönchen. In einem Land, das sich nicht mehr erinnert, was Krone einst bedeutete – Hoffnung, Würde, Königtum des Geistes.

Was bleibt, ist die Frage, die sich Orwell einst stellte: Wann beginnt Tyrannei? Vielleicht, wenn wir Schönheit für Bedrohung halten. Vielleicht, wenn wir aufhören zu unterscheiden zwischen einem Make-up-Künstler und einem Kriminellen. Vielleicht, wenn wir wegsehen, wenn jemand verschwindet, nur wegen einer Zeichnung auf seiner Haut.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x