Es gibt Recherchen, bei denen man sich nur noch an den Kopf fassen kann. Cory Mills ist so eine. In einer Republik, die sich einst mit dem Anspruch moralischer Führerschaft schmückte, wäre das Dossier eines Politikers mit dieser Mischung aus Vorwürfen und Absurditäten ein politisches Todesurteil gewesen. Heute ist es allenfalls ein weiterer Punkt auf der langen Liste des Undenkbaren, das längst Normalität geworden ist. Da ist der Gewaltvorwurf einer Ex-Freundin, Lindsey Langston, Schönheitskönigin und republikanische Funktionärin. Sie lebte mit Mills in Florida, bis sie erfuhr, dass er in Washington bereits im Visier einer anderen Frau stand: Sarah Raviani, pro-Trump-Aktivistin, hatte 911 gewählt und berichtet, in einem Penthouse von Mills angegriffen worden zu sein. Auf unsere Nachfrage: Die Polizei vermerkte „offensichtliche Verletzungen“ – ein Haftbefehl wurde beantragt. Dann kam der Rückzieher: Raviani widerrief, und das US-Justizministerium unter Trump-Loyalist Ed Martin zog den Stecker. Ende der Geschichte. Zumindest in Washington.
Langston erzählt, Mills habe ihr beim Beziehungsende gedroht, intime Bilder und Videos zu veröffentlichen, und dazu Nachrichten vorgelegt, in denen er versprach, jeden künftigen Partner einzuschüchtern oder zu verletzen. Mills bestreitet alles. Doch selbst wenn die Hälfte stimmen sollte, wäre das in einer Welt mit intakten politischen Standards das Ende der Karriere.

Stattdessen zieht sich Mills’ Spur wie ein roter Faden durch eine republikanische Erfolgsgeschichte der anderen Art: 2022 ins Repräsentantenhaus gewählt, brüstete er sich mit einer Firma, die Tränengas an Sicherheitskräfte lieferte – jenes Gas, das bei Black-Lives-Matter- und Antifa-Protesten im Einsatz war. Sein Image als Kriegsheld bekam im Mai tiefe Risse, als fünf Kameraden, darunter zwei Männer, denen er angeblich das Leben rettete, erklärten, sie hätten keinerlei Erinnerung an seine heroische Präsenz. Mills’ Erklärung: „Nebel des Krieges.“

Und dann ist da seine geradezu demonstrative Loyalität zu Donald Trump. Im April 2023 tauchte er mit seinem Sohn im Mar-a-Lago auf, posierte mit dem ehemaligen Präsidenten und veröffentlichte das Foto mit der Bildunterschrift „PRESIDENT Donald J Trump yesterday at Mar-a-Lago!“ Gegenüber Journalisten, und wir sind wirklich fast lachend von den Stühlen gefallen erklärte er, die Anklage gegen Trump in New York sei „ein sehr einigendes Ereignis“. Man müsse jetzt „das interne Gezänk beenden und sich hinter Präsident Trump versammeln“. Mills ging früh „all in“ auf Trump – zu einem Zeitpunkt, als viele Republikaner in Florida noch zwischen Trump und Ron DeSantis taktierten. Dass Trump ihn im Wahlkampf 2022 unterstützt hatte, verlieh dieser Treue einen besonders eigennützigen Glanz. Bemerkenswert ist, was daraufhin geschah: nichts. Keine öffentliche Distanzierung der Parteiführung, kein medienwirksamer Aufschrei konservativer Meinungsmacher. Stattdessen das übliche Schweigen, garniert mit der Phrase „laufende Ermittlungen“ und der Unschuldsvermutung – die in diesem politischen Klima längst zum rhetorischen Feigenblatt verkommen ist.

Das Ergebnis ist ein Sittenbild der Gegenwart: Skandale werden nicht mehr geahndet, sondern absorbiert. Selbst schwerste Vorwürfe prallen ab, solange sie im eigenen Lager bleiben. Mills ist damit nicht einfach ein Abgeordneter mit einer langen Liste an Vorwürfen. Er ist ein Symptom – dafür, dass das politische Washington heute Skandale nur noch als Hintergrundrauschen wahrnimmt. Früher hätte ein solcher Fall Karrieren zerstört, heute landet er im Fußnotenarchiv einer Hauptstadt, in der moralische Bankrotterklärungen im Tagesgeschäft unter „Sonstiges“ verbucht werden.
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Und in Florida, mit Trumps Kniefall DeSantis wird er auch weiter unbehelligt leben können.
Täter Opfer Umkehr und unter den Teppich kehren können die Republikaner wirklich besonders gut.
Idioten gibt es, da verschlägt es einem die Sprache.