„Wir können nicht mehr atmen“ – Der letzte Widerstand an der Golfküste

VonTamzee Zadah

Juni 6, 2025

Es beginnt mit einem Versprechen. „Energie-Dominanz“, nennt es die Regierung. Ein anderes Wort für die Unterwerfung ganzer Landschaften – und der Menschen, die sie bewohnen. Im Süden Louisianas, wo der Wind salzig riecht und die Häuser kaum mehr Schatten werfen, weil die Sonne zu brutal geworden ist, kämpfen Gemeinden ums Überleben. Nicht gegen den Sturm allein. Sondern gegen das, was der Sturm zurücklässt: eine Industrie, die das Atmen kostet – buchstäblich.

Am 23. Mai 2025 erteilte die US-Regierung unter Präsident Donald Trump eine neue Genehmigung für CP2, das künftig größte LNG-Exportterminal der Vereinigten Staaten. Methan, gefroren und verpackt für den globalen Markt, wird hier zur Ware gemacht – mit Unterstützung von Versicherern wie Chubb, Liberty Mutual oder Swiss Re. Und mit dem Schweigen derer, die glauben, ihre Hände blieben sauber, solange sie nur die Verträge unterschreiben, nicht die Ventile öffnen. Doch die Gemeinden wehren sich. Allen voran Roishetta Ozane, Mutter von sechs Kindern, Klimaaktivistin, Überlebende von Hurrikans, Explosionen und politischem Desinteresse. Sie sagt: „Wenn ihr CP2 versichert, dann versichert ihr den Tod meiner Kinder.“ In Lake Charles, ihrer Heimatstadt, steigen die Asthmaerkrankungen. Ihr Sohn hat epileptische Anfälle – sie glaubt, ausgelöst durch die ständige Luftverschmutzung der Petrochemieanlagen, die das Stadtbild prägen wie Kathedralen einer toxischen Religion.

Die Orte, in denen diese Projekte entstehen, nennt man heute „Sacrifice Zones“. Es ist ein Begriff der Vereinten Nationen. Es sind Zonen des systemischen Verzichts – nicht auf Konsum, sondern auf Gerechtigkeit. Fast ausschließlich Schwarze, lateinamerikanische und indigene Gemeinden, denen man eine Zukunft verkauft hat, die von Anfang an nicht für sie gedacht war. Hier werden neue fossile Infrastrukturen gebaut, während die Lebensgrundlagen der Menschen erodieren: Fischfang, Wasser, Luft, Würde. Ein aktueller Bericht der Rainforest Action Network zeigt auf, welche Versicherungen den Bau dieser Terminals möglich machen – Chubb, AIG, Allianz, Munich Re, Tokio Marine. Man kennt die Namen. Und Ozane kennt die Menschen dahinter. Sie bringt ihre Kinder mit zu den Gesprächen in New York. „Sie kennen mich beim Namen“, sagt sie. Und doch: CP2 steht vor dem Bau. 54 Kohlekraftwerke – so viel Emissionen wird es jährlich verursachen. 54.

Was hier geschieht, ist keine Randnotiz der Energiewende. Es ist ihr Gegenbild. Die fossile Industrie nennt LNG einen „Brückentreibstoff“. Doch die Brücke führt nicht ins Morgen, sondern zurück in eine Vergangenheit, in der Zerstörung mit Wachstum gleichgesetzt wurde. Die Methanexporte bringen Milliarden an die Küste – aber nicht für jene, die dort wohnen. Ein Greenpeace-Bericht rechnete es vor: Allein die geplanten Anlagen in Louisiana verursachen jährlich 149 vorzeitige Todesfälle und über zwei Milliarden Dollar an Gesundheitskosten. Wer zahlt das? Die, die nie gefragt wurden. Während Versicherer wie Chubb öffentlichkeitswirksam Projekte in Afrika oder Texas fallenlassen, schweigen sie zu CP2. Vielleicht, weil der Widerstand hier zu leise scheint. Vielleicht, weil man annimmt, dass man an der Golfküste längst alles verloren hat. Aber Roishetta Ozane widerspricht dieser Logik. Mit jedem Protest, mit jeder Hilfsaktion ihres Vessel Projects wächst eine Bewegung, die sich nicht auf Abwehr beschränkt. Sie will Alternativen schaffen: neue Wirtschaftskreisläufe, lokale Versorgung, eine Rückkehr zur Fischerei, zur Luft, zur Würde.

„Ein Sieg“, sagt Ozane, „wäre, wenn mein siebenjähriger Sohn draußen spielen kann, ohne danach zu sagen, dass er nicht mehr atmen kann.“ Es ist ein Satz, der alles sagt. Über Politik. Über Umwelt. Über das Recht zu leben. Und über das Verbrechen, das geschieht, wenn man dieses Recht systematisch versichert – gegen Geld, gegen Protest, gegen Menschlichkeit. In einer Zeit, in der Versicherungen Menschen die Absicherung gegen Sturmschäden verweigern, weil der Klimawandel zu teuer wird, versichern dieselben Firmen neue Anlagen, die diesen Wandel beschleunigen. Das ist keine Ironie. Das ist ein Verbrechen – in Echtzeit, mit Briefkopf.

Die Golfküste brennt nicht nur meteorologisch. Sie brennt als moralisches Fanal. Und vielleicht, wenn die Namen der Verantwortlichen oft genug genannt werden – Chubb, Greenberg, Allianz, AIG – dann wird man irgendwann zurückblicken und sich erinnern: dass jemand widersprochen hat. Und dass dieser Widerspruch Namen hatte. Roishetta Ozane. Ihre Kinder. Und eine ganze Region, die nicht mehr schweigen kann, weil sie keine Luft mehr bekommt.

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