Wie Trump das Sanktionsspiel neu erfindet, Putin es zum Schauspiel macht und China sich auf das Völkerrecht beruft

VonRainer Hofmann

Oktober 24, 2025

Seit Monaten war Donald Trumps Verhältnis zu Wladimir Putin ein Schauspiel aus Drohgebärde und Zögern, aus lautstarken Ankündigungen und leisen Rückzügen. Doch an diesem Mittwoch endete das Taktieren. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat beschlossen, Russland dort zu treffen, wo es verwundbar ist – im Herzen seiner Wirtschaft, im Öl. Mit einem Federstrich ließ Trump die beiden größten Energiekonzerne des Landes, Lukoil und Rosneft, von der globalen Finanzwelt abschneiden. Ein Schritt, der jahrelange Zurückhaltung beendet und eine neue Stufe im wirtschaftlichen Krieg gegen Moskau markiert. Das Signal ist unmissverständlich. Nach Monaten erfolgloser Verhandlungen mit Putin, nach gescheiterten und überhaupt nicht geplanten Treffen inclusive diplomatischem Leerlauf, zieht Trump nun die wirtschaftliche Reißleine. Es ist eine Entscheidung, die sowohl Mut als auch Widerspruch verkörpert – mutig, weil sie Russland hart treffen könnte, widersprüchlich, weil sie auch die Märkte erschüttern und den Preis an amerikanischen Tankstellen in die Höhe treiben dürfte.

US-Präsident Trump schlug am 23. Oktober 2025 (EDT) vor, etwa sechs Monate abzuwarten, um zu beurteilen, wie verheerend die Auswirkungen der neuen amerikanischen Ölsanktionen – in Kombination mit dem 19. europäischen Sanktionspaket – auf Russland tatsächlich sein würden.

Noch vor wenigen Monaten hatte Trump jede Form von Sanktionen gegen Russland als „ineffektiv“ abgetan. Seit seinem Amtsantritt 2025 hatte er keine einzige neue Maßnahme verhängt, während die Biden-Regierung zuvor rund 5.000 russische Ziele ins Visier genommen hatte – von Banken über Oligarchen bis zur Zentralbank. Trumps bevorzugtes Instrument waren Zölle: erpresserische, handelspolitische, symbolische. Doch diese Strategie scheiterte. Indien und andere Abnehmer russischen Öls ließen sich von Washingtons „sekundären Zöllen“ nicht beeindrucken.

Jetzt also die Wende. Nach Pose von Budapest und anhaltenden Kämpfen in der Ukraine griff Trump zur schärfsten Waffe, die ihm noch blieb. „Ich hatte einfach das Gefühl, es ist jetzt an der Zeit“, sagte er im Weißen Haus. Damit bricht er mit der Vorsicht seiner Vorgänger – und mit der Logik seiner eigenen Politik. Seit dem Beginn des Krieges 2022 hatten die USA und ihre G7-Partner das russische Energiesystem weitgehend ausgespart, um Europas Abhängigkeit von russischem Öl nicht in eine globale Energiekrise zu verwandeln. Die neuen Sanktionen beenden diese Rücksicht. „Jetzt sind die Samthandschuhe ausgezogen“, sagte John E. Smith, der frühere Direktor des US-Finanzamts für Sanktionsfragen.

„Neue Sanktionen werden „KEINE wesentlichen Auswirkungen auf unser wirtschaftliches Wohlergehen haben“ Und zur Erinnerung: Schon während Trumps erster Amtszeit verhängte er die damals umfangreichsten Sanktionen gegen Russland in der Geschichte der Vereinigten Staaten“.

Putins Satz war weniger eine Analyse als eine Inszenierung – ein rhetorischer Impuls, geboren aus der Not, Stärke zu zeigen, wo Verwundbarkeit spürbar ist. Es war die Sprache eines Staatschefs, der weiß, dass sein Land kurzfristig widerstandsfähig, aber langfristig verletzlich bleibt. Hinter der Pose des Unerschütterlichen steckt die stille Ahnung, dass die Sanktionen nicht heute, aber morgen Wirkung zeigen werden – langsam, zäh und unaufhaltsam wie Frost im Fundament einer Mauer.

Lukoil und Rosneft, zusammen verantwortlich für etwa die Hälfte der russischen Rohölproduktion, sind nicht einfach Konzerne – sie sind die Finanzarterien des Kremls. Rund 600 Millionen Dollar täglich spült das Ölgeschäft in Putins Staatskasse, mit denen er seinen Krieg, seine Bürokratie und seine Propaganda finanziert. Wird dieser Strom unterbrochen, gerät Russlands Wirtschaft ins Taumeln. Noch im Frühjahr hatten Analysten gewarnt, dass ein solcher Schritt den globalen Ölpreis explodieren lassen könnte. Doch die Lage hat sich verändert. Die Inflation ist abgeflaut, der Ölpreis lag zuletzt bei 59 Dollar pro Barrel – 18 Prozent unter Vorjahresniveau. Trump sieht darin ein Zeitfenster: jetzt oder nie.

Chinas Antwort auf die neuen Sanktionen war ein Balanceakt, so präzise austariert, dass sie fast als Lehrbuchbeispiel für strategische Ambivalenz gelten könnte. In Peking verurteilte das Außenministerium die US-Maßnahmen als „einseitig“ und „völkerrechtswidrig“, sprach von Dialog statt Zwang, von Stabilität statt Eskalation – die klassische Rhetorik eines Landes, das sich als Architekt einer multipolaren Welt inszeniert, aber längst tief in ihren Widersprüchen steckt. Hinter den Kulissen reagierten die Staatskonzerne jedoch nicht mit Pathos, sondern mit Vorsicht. Die vier großen Ölriesen – PetroChina, Sinopec, CNOOC und Zhenhua Oil – setzten ihre Käufe von russischem Seeschiff-Rohöl vorerst aus, wie Reuters berichtet. Offiziell kein Bruch mit Moskau, nur eine „operative Neubewertung“. In Wahrheit ein Signal, dass Chinas politische Solidarität dort endet, wo die amerikanische Finanzmacht beginnt. Peking weiß, dass sekundäre Sanktionen gefährlicher sein können als offene Konflikte: Sie wirken unsichtbar, in Zahlungssystemen, in Versicherungsverträgen, in den Kreditlinien der großen Staatsbanken. So entsteht ein paradoxes Bild – ein Land, das lautstark gegen westlichen Druck protestiert und zugleich dessen wirtschaftliche Mechanismen stillschweigend anerkennt. China wahrt die Fassade der Unabhängigkeit, aber im Innern verschiebt sich das Gleichgewicht: weg vom ideologischen Schulterschluss mit Russland, hin zu einer kühlen, fast technokratischen Selbstsicherung. Es ist keine Kapitulation, sondern eine Kunstform des Überlebens – Diplomatie als Balanceakt zwischen Stolz und Risiko, zwischen Prinzip und Preis.

Ben Harris, früherer Staatssekretär im US-Finanzministerium unter Biden, nennt die neuen Sanktionen „wirklich signifikant“. Der Zeitpunkt sei bewusst gewählt, sagt er: „Unsere Strategie war immer, den Ölfluss aufrechtzuerhalten, aber den Preis zu kontrollieren. Trump bricht mit dieser Logik.“ Kurz nach der Ankündigung stieg der Preis wieder – die Märkte reagierten nervös. Doch im Weißen Haus herrscht demonstrative Gelassenheit. Trump setzt auf den Effekt, den er am meisten liebt: die Schlagzeile. Und auf das Signal, das dahinter steht: dass Amerika wieder bereit ist, Macht nicht nur zu verkünden, sondern anzuwenden. Für Russland ist das mehr als nur ein symbolischer Schlag. Die Sanktionen treffen die großen Energieriesen dort, wo sie international verwundbar sind – bei der Finanzierung, beim Handel, bei den Versicherungen ihrer Tankerflotten. Banken, die künftig Transaktionen mit Lukoil oder Rosneft abwickeln, riskieren selbst den Ausschluss aus dem Dollar-System. Schon jetzt prüfen internationale Institute ihre Engagements, Investoren ziehen sich zurück, der Rubel steht unter Druck.

Wolodymyr Selenskyj sagte, die EU- und US-Sanktionen gegen Russland seien „ein gutes Signal an andere Länder“, sich den Maßnahmen anzuschließen und Wladimir Putin unter Druck zu setzen, damit er den Krieg in der Ukraine beendet.

Marshall Billingslea, ehemaliger Finanzexperte im Trump-Finanzministerium, bringt es auf den Punkt: „Das trifft direkt die harte Währung, die Putins Kriegsmaschine am Laufen hält.“ Der Internationale Währungsfonds erwartet, dass Russlands Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf 0,6 Prozent absinkt – nach 4,3 Prozent im Vorjahr. Das Weiße Haus gibt sich betont geschlossen: Die Entscheidung sei mit Großbritannien und der EU abgestimmt, die ihrerseits neue Strafmaßnahmen gegen russische Energieunternehmen verhängt haben. Eine seltene Phase transatlantischer Harmonie – zumindest nach außen. Hinter den Kulissen herrscht Skepsis: Wird Trump die Sanktionen auch konsequent durchsetzen, wenn sie amerikanische Verbraucher treffen?

Denn der Präsident hat ein ambivalentes Verhältnis zu wirtschaftlichen Strafmaßnahmen. In seiner ersten Amtszeit setzte er sie mit brachialer Wucht gegen den Iran ein – und brüstete sich damit, Teheran in die Knie gezwungen zu haben. Gleichzeitig warnte er, zu viele Sanktionen könnten „den Dollar töten“. Sie würden andere Staaten dazu treiben, Alternativen zu suchen – digitale Währungen, BRICS-Bündnisse, eigene Zahlungssysteme. Russland experimentiert längst mit Kryptowährungen und ruft zu einem gemeinsamen BRICS-Zahlungsnetz auf, um die Abhängigkeit vom Dollar zu verringern.

Trump selbst sprach vergangenes Jahr beim Economic Club of New York über sein Dilemma: „Ich will Sanktionen so selten wie möglich einsetzen. Ich setze sie, und dann nehme ich sie wieder weg.“ Ein Credo des reinen Machtspiels, das ihm erlaubt, Stärke zu zeigen, ohne sich festzulegen. Doch diesmal könnte es vielleicht anders sein. Edward Fishman, Sanktionsforscher an der Columbia University, hält die Maßnahme für „einen echten Wendepunkt“. Der Grund: Der Dollar ist in 90 Prozent aller globalen Devisentransaktionen involviert – wer also mit Lukoil oder Rosneft Geschäfte macht, kann kaum am US-System vorbei. „Der Erfolg dieser Sanktionen hängt von der Härte ab, mit der die USA chinesische Banken und indische Raffinerien bestrafen, die weiter mit Russland handeln“, sagt Fishman. „Wenn Trump den Mut hat, diese Drohung wahrzumachen, dann ist das ein geopolitisches Erdbeben.“

Am Ende steht die paradoxe Erkenntnis: Ausgerechnet ein Präsident, der Sanktionen stets verspottet und Putin lange hofiert hat, könnte es sein, der den Kreml wirtschaftlich in die Knie zwingt. Nicht aus Prinzip, sondern aus Trotz. Nicht aus Strategie, sondern aus Kränkung. Trumps neue Russland-Sanktionen sind kein moralisches Programm, sie sind eine Machtdemonstration. Doch manchmal, in der Logik der Geschichte, genügt selbst das, um etwas zu verändern, was sich bei Trump auch am nächsten Tag bereits wieder ändern kann

Fortsetzung folgt …

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