Wie George Floyds Tod Amerika veränderte und es dann schlimmer wurde

VonRainer Hofmann

Mai 24, 2025

Es war der Sommer, in dem die Welt stillstand – wegen eines Virus, das Grenzen überwand, und wegen eines Videos, das niemand mehr vergessen konnte. Am 25. Mai 2020 drückte ein weißer Polizeibeamter sein Knie über neun Minuten auf den Nacken eines gefesselten Schwarzen Mannes. Der Mann war George Floyd. Und seine letzten Worte – „I can’t breathe“, brannten sich in die kollektive Seele Amerikas ein wie ein Hilferuf aus einem Land, das sich selbst verloren hatte.

Fünf Jahre später ist vieles passiert. Und doch ist vieles geblieben.

„Er sagte: „Ich kann nicht atmen.“ Sie werden mich töten.‘ Und sie taten es trotzdem.“ Was als Reaktion auf einen mutmaßlich gefälschten 20-Dollar-Schein begann, wurde zur internationalen Anklage gegen einen strukturell rassistischen Sicherheitsapparat.

Die Journalistin Noreen Nasir war in Minneapolis, als die Stadt explodierte. „Wut, ja. Aber auch Trauer, Verzweiflung. Diese Mischung war fast greifbar“, sagt sie. Aus einem improvisierten Gedenkort wuchs innerhalb weniger Tage ein Mahnmal – der George Floyd Square, gefüllt mit Blumen, Kerzen, Stimmen, Tränen.

Und dann waren da die, die protestierten. Manche zum ersten Mal in ihrem Leben. Junge Schwarze, weiße Mütter, queere Aktivist:innen, Einwanderer:innen. Menschen, die sagten: Wir sind das System leid. Menschen, die riefen: Genug ist genug.

Aber da war auch Angst. Die somalischstämmigen Ladenbesitzer in der Nachbarschaft – selbst Schwarz, selbst marginalisiert – klebten Schilder an ihre zerstörten Fenster: „Minority owned.“ Ein stiller Appell: Bitte verschont uns. Wir sind nicht das Ziel. Wir sind Teil derselben Geschichte.

Und dann kam der Prozess. Die Videoaufnahme war der Dreh- und Angelpunkt – der Satz der Staatsanwaltschaft: „Glaubt euren Augen“ wurde zur moralischen Richtschnur. Es war die 17-jährige Darnella Frazier, deren Mut die Wahrheit dokumentierte. Und es war Prosecutor Jerry Blackwell, der in seinem Schlussplädoyer sagte: „George Floyd starb nicht, weil sein Herz zu groß war. Sondern weil das Herz von Derek Chauvin zu klein war.“

Am Ende sprach eine gemischte Jury Chauvin in allen Anklagepunkten schuldig. Ein Moment der Gerechtigkeit? Vielleicht. Ein Moment der Erleichterung? Ja. Aber keine Heilung.

Was also bleibt?

„Es war, als hätte jemand ein Streichholz in ein bereits entzündbares Land geworfen“, sagt Nasir. „Alle waren zu Hause, eingesperrt, wütend – und plötzlich war da dieses Video. Jeder sah es. Niemand konnte wegsehen.“

Und so wurde George Floyd nicht nur zum Opfer, sondern zum Wendepunkt. Sein Name steht nun in einer Linie mit Trayvon Martin, Breonna Taylor, Eric Garner. Doch sein Tod veränderte mehr. Weltweit schauten Länder neu auf ihre Polizei, ihre Geschichte, ihre Gewalt. Es war ein globaler Schrei nach Gerechtigkeit.

Fünf Jahre nach dem Mord an George Floyd ist vieles passiert. Und doch ist vieles geblieben. In Wahrheit: Es ist schlimmer geworden. Denn während die Welt im Sommer 2020 „Black Lives Matter“ rief, wurde das Echo seither leiser. Reformgesetze scheiterten. Bundesbehörden wie das Justizministerium beendeten unter der neuen Trump-Regierung angestoßene Reformvereinbarungen. Und rechte Stimmen rufen heute gar nach einem Pardon für Derek Chauvin – als wäre die Wahrheit von damals nur ein Irrtum von heute. Mit der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus im Januar 2025 ist eine neue Phase der politischen Verdunkelung angebrochen – eine Ära der selektiven Wahrheit, der kalkulierten Demütigung, der systematischen Entrechtung. Die Welt fragt sich verwundert – oder entsetzt –, wie ein Land, das sich selbst einmal als moralischer Leuchtturm betrachtete, einem Mann wie Trump abermals die Schlüssel zur Macht übergeben konnte. Einem Mann, der Menschen nicht als gleichwertig, sondern als verwertbar betrachtet. Einem Mann, der innerhalb von vier Monaten aus den Vereinigten Staaten ein Land gemacht hat, das flüchtet, statt Zuflucht zu bieten. Ein Ort, an dem Fakten nichts mehr zählen, wenn sie nicht ins ideologische Raster passen.

Besonders entlarvend war sein jüngster Auftritt gegenüber dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa. In einem bizarren Moment politischer Geschmacklosigkeit versuchte Trump, internationale Aufmerksamkeit mit einer neuen Lüge zu gewinnen: Er behauptete, in Südafrika fände ein „Genozid an weißen Farmern“ statt – und untermauerte diese Behauptung mit Fotos ermordeter Menschen, die in Wirklichkeit aus der Demokratischen Republik Kongo stammten. Diese grobe Manipulation war kein Missverständnis, sondern eine bewusste Strategie: eine Inszenierung, um globale „White Power“-Bewegungen anzufeuern, um rechten Hass zu normalisieren, um rassistische Narrative wieder salonfähig zu machen. Die Zahlen widerlegen ihn klar: Im Jahr 2024 wurden in Südafrika über 26.000 Menschen ermordet – zwölf davon waren weiße Farmer. Die Hauptleidtragenden der Gewalt sind junge, arme, schwarze Männer. Doch Trump ignoriert diese Realität – weil sie sich nicht instrumentalisieren lässt.

Ramaphosa selbst begegnete dieser grotesken Provokation mit einer Würde, die in scharfem Kontrast zur aufgedrehten Selbstinszenierung Trumps stand. Der südafrikanische Präsident blieb sachlich, ruhig, staatsmännisch – und erinnerte daran, dass Würde und Wahrheit auch dann noch zählen, wenn sie gerade nicht regieren. Trumps Verhalten hingegen war nichts anderes als ein Versuch, internationale Spannungen für innenpolitische Zwecke zu missbrauchen – auf dem Rücken der Wahrheit, auf dem Rücken der Toten.

Was sich hier zeigt, ist keine Ausnahme, sondern ein System. Ein System, das nicht aus Versehen lügt, sondern weil es die Lüge als Werkzeug begreift. Ein System, das rassistische Märchen in die Welt setzt, um die Realität zu verzerren und Angst als Herrschaftsinstrument zu nutzen. Die Frage, die bleibt, ist nicht mehr: Wie konnte es so weit kommen? Sondern: Wie viele Wahrheiten müssen noch geopfert werden, bis die Welt erkennt, dass Trump nicht Amerika vertritt – sondern sein gefährlichstes Zerrbild?

Aber Floyds Echo lebt weiter. In jeder Demonstration. In jeder Kamera, die auf Polizeigewalt gerichtet bleibt. In jedem Menschen, der sagt: Ich habe genug. Ich will atmen.

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