Wie Amerika sich selbst zerlegt und warum Deutschland wachsam bleiben muss

VonRainer Hofmann

Mai 30, 2025

Es beginnt nicht mit Panzern. Nicht mit Uniformen oder Marschmusik. Es beginnt mit einem Lächeln – und einer Nominierung. Paul Ingrassia heißt der Mann, den Donald Trump zum Leiter des Office of Special Counsel machen will, jener Bundesbehörde, die eigentlich dem Schutz von Whistleblowern und der Einhaltung des Hatch Acts verpflichtet ist – also jenem Gesetz, das parteipolitische Einflussnahme auf Staatsdienste verhindern soll. Jetzt aber soll ausgerechnet ein Mann diese Aufgabe übernehmen, der den demokratischen Grundkonsens der Vereinigten Staaten mit Füßen tritt. Ein Podcaster, der Andrew Tate, einen wegen Menschenhandel angeklagten Frauenfeind, als „außergewöhnlichen Menschen“ bezeichnet. Ein Ideologe, der in Nick Fuentes, einem offen antisemitischen Aktivisten, eine „dissidente Stimme“ sieht. Einer, der die Hamas-Angriffe auf Israel als „Psy-Op“ zum Schutz des Kolumbus-Tages abtut und die Wahl von 2020 weiterhin als „gestohlen“ bezeichnet – obwohl Trump längst zurück an der Macht ist.

Es ist, als hätte man die Brandstifter zur Feuerwehr befördert.

Ingrassia ist kein Ausrutscher. Er ist das Gesicht einer neuen Elite, die ihre Macht aus der Zerstörung des Rechts bezieht. Ihre Sprache ist modern, ihr Vokabular digital, doch ihre Ideologie ist alt – tief verwurzelt in der autoritären Tradition. Wer von „Matrix“, „Deep State“ und „satanischer Elite“ spricht, denkt nicht an die Zukunft, sondern an eine Vergangenheit, in der Menschen in Kategorien von Feind und Reinheit sortiert wurden. Und wie schon einmal in der Geschichte beginnt es nicht mit Massendeportationen oder Lagern, sondern mit der gezielten Demontage dessen, was Menschenwürde garantieren soll: Vertrauen, Schutz, Rechtsstaat.

In Amerika wird mit der Ernennung Ingrassias deutlich, wie brüchig die Fassade republikanischer Ordnung geworden ist. Die Gewaltenteilung – einst Stolz des Westens – wird zur Fassade eines Systems, das längst von Loyalität ersetzt wurde. Während Gerichte sich beugen, Institutionen politisiert und kritische Stimmen kriminalisiert werden, nähert sich die ehemals freieste Nation der Welt jenen Verhältnissen an, die sie einst selbst bekämpft hat. Es ist ein „dritter Reichstaat“, der nicht marschiert, sondern streamt. Der seine Parolen nicht brüllt, sondern liked. Der keine Bücher verbrennt, sondern Algorithmen manipuliert.

Deutschland schaut zu – und wirkt stabil.

Denn so träge der Föderalismus manchmal wirkt, so wertvoll ist er in Momenten wie diesen. Kein Kanzler regiert per Dekret, keine Partei dominiert das Parlament, kein Gericht ist machtlos gegenüber der Exekutive. Das Bundesverfassungsgericht ist mehr als eine juristische Instanz – es ist ein kollektives Gedächtnis, das sich der Versuchung der Macht widersetzt. In der Vielfalt der Parteien liegt ein Schutz, nicht ein Problem. Und doch: Nichts davon ist garantiert. Auch hier bröckelt die Sprache. Auch hier zieht die Rechte an den Rändern. Auch hier wird gehetzt, relativiert, verharmlost.

Amerika ist nicht mehr das Vorbild. Es ist die Warnung.

Ein Staat, der sich selbst aufgibt, verliert nicht nur seine Seele – er wird gefährlich für jene, die ihm nacheifern. Der Faschismus kehrt nicht im Gleichschritt zurück, sondern durch Gleichgültigkeit. Er kommt nicht mit Fackeln, sondern mit Kommentaren, Memes und Gesetzesentwürfen. Er braucht keine Mehrheit – nur eine entkernte Demokratie, die nicht mehr weiß, wofür sie steht.

Was bleibt, ist die Aufgabe, wach zu bleiben. Wachsam zu bleiben. Nicht, weil wir moralisch überlegen sind – sondern weil wir gelernt haben, was es heißt, zu spät zu sein.

Denn wenn wir eines aus der Geschichte gelernt haben sollten, dann das: Diktaturen beginnen nicht mit dem ersten Schuss.
Sondern mit der ersten legalisierten Lüge.

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