Was will die Krim wirklich?

VonRainer Hofmann

April 23, 2025

Die große Putin-Lüge – Mythen, Realitäten und die Politik der Zugehörigkeit seit 1954

Diese Artikel untersucht die politische und kulturelle Identität der Krim von 1954 bis zur Gegenwart und widerlegt die Behauptung, die Halbinsel sei unter ukrainischer Herrschaft unterdrückt worden und habe eine Wiedervereinigung mit Russland angestrebt. Anhand von Primärquellen, völkerrechtlichen Analysen, demografischen Daten sowie der Chronologie von Referenden und militärischen Aktionen setzt sich die Studie mit russischer Propagandarhetorik auseinander und bietet eine differenzierte, evidenzbasierte historische Darstellung.

Einleitung

Die Annexion der Krim durch die Russische Föderation im Jahr 2014 wurde vom Kreml mit historischen, kulturellen und humanitären Argumenten gerechtfertigt. Zentrale Behauptung war, die Krim gehöre seit jeher zu Russland und ihre Bevölkerung sei vor einer angeblichen Unterdrückung durch die Ukraine zu schützen. Dieser Artikel überprüft diese Narrative mithilfe historischer Fakten, Meinungsumfragen und völkerrechtlicher Grundlagen.

Die Krim im Kontext der ukrainischen Geschichte

Die Geschichte der Ukraine ist geprägt von Fremdherrschaft, nationaler Resilienz und jahrhundertelangen Unabhängigkeitsbestrebungen. Bereits im 17. Jahrhundert existierte ein Kosakenstaat, der zeitweise unter russischem, polnischem und osmanischem Einfluss stand. Nach der Auflösung des Zarenreiches entstand 1917 eine kurzlebige Ukrainische Volksrepublik. Die Eingliederung in die Sowjetunion erfolgte nach dem Bürgerkrieg und durch massive Gewalt, einschließlich der Holodomor-Hungersnot (1932–33), bei der Millionen Ukrainer starben.

Die Krim war seit 1783 Teil des Russischen Reiches, nach der Enteignung der Krimtataren. 1954 wurde sie symbolisch an die Ukrainische SSR übergeben – damals bedeutungslos, da beide Teil der UdSSR waren. Erst mit der Unabhängigkeit 1991 wurde die Krim Teil eines souveränen ukrainischen Staates.

Der Transfer von 1954: Kontext und Legalität

Die Übergabe der Krim durch das Präsidium des Obersten Sowjets von der RSFSR an die Ukrainische SSR war 1954 ein formaler Verwaltungsakt, ohne rechtliche Widerstände innerhalb der Sowjetunion. Völkerrechtlich war sie unproblematisch, da sie innerhalb eines Einheitsstaates erfolgte (Plokhy, 2015). Die russische Darstellung als „illegal“ ist ein später konstruiertes Narrativ.

Die Krim und das ukrainische Unabhängigkeitsreferendum (1991)

Am 1. Dezember 1991 stimmten 54,2 % der Wähler auf der Krim für die Unabhängigkeit der Ukraine – landesweit lag der Wert bei über 90 % (Zentrale Wahlkommission der Ukraine, 1991). Diese Zahlen widerlegen die These eines durchgängigen pro-russischen Mehrheitswillens. In der Stadt Sewastopol lag die Zustimmung bei rund 57 %, obwohl sie stark von russischer Militärpräsenz geprägt war.

Autonomie und Sprachrechte (1991–2014)

Die Krim erhielt einen autonomen Status gemäß der ukrainischen Verfassung von 1996. Russisch blieb dominierende Umgangssprache in Bildung, Medien und Verwaltung (OSZE, 2013). Ein Sprachgesetz von 2012 erlaubte die Nutzung des Russischen als regionale Amtssprache in mehrheitlich russischsprachigen Gebieten. Weder OSZE noch Europarat fanden Hinweise auf systematische Diskriminierung russischsprachiger Bürger.

Wahlergebnisse und politische Orientierung auf der Krim vor 2014 Eine Auswertung mehrerer nationaler Wahlen zeigt: Die Krim wählte mehrheitlich Parteien, die für enge Beziehungen zu Russland eintraten, aber nicht zwingend die Abspaltung forderten. Bei den Präsidentschaftswahlen 2010 gewann Wiktor Janukowytsch, der als prorussisch galt, mit 78 % auf der Krim – landesweit erhielt er knapp 49 %. Trotzdem unterstützte ein erheblicher Teil der Bevölkerung auch moderat pro-ukrainische Kräfte wie die Kommunistische Partei oder die Partei der Regionen, die innerhalb des ukrainischen Staatsrahmens operierten.

Was wollten die Menschen auf der Krim? Umfragedaten vor 2014

Meinungsumfragen zeigen klar, dass die Mehrheit der Bevölkerung bis 2014 keinen Anschluss an Russland wollte. Laut einer Erhebung des Kyiver Soziologischen Instituts (KIIS, 2011) unterstützten nur 23 % der Befragten einen Beitritt zu Russland. Laut Gallup (2008) identifizierten sich viele eher als „Krimer“ denn als Russen oder Ukrainer. Das Internationale Republikanische Institut (IRI) verzeichnete 2009, dass über 60 % der Befragten für eine Beibehaltung des Status quo innerhalb der Ukraine waren.

Die Annexion 2014 und das Referendum

Im März 2014 besetzten russische Truppen ohne Hoheitszeichen („grüne Männchen“) die Krim. Das darauffolgende Referendum wurde unter militärischem Druck durchgeführt. Es suggerierte eine Zustimmung von 97 %, wurde aber von UN, EU und OSZE als illegitim verurteilt. Die UN-Generalversammlung bestätigte mit Resolution 68/262 die territoriale Integrität der Ukraine. Die Wahlbeteiligung war realen Beobachtungen zufolge deutlich niedriger als angegeben, und viele Krimtataren sowie ukrainische Wähler boykottierten die Abstimmung.

Die Lüge vom „verbotenen Russisch“

Ein zentrales russisches Narrativ war die angebliche Unterdrückung der russischen Sprache. In Wahrheit war Russisch allgegenwärtig – in Schulen, Gerichten, Medien. OSZE und Venedig-Kommission stellten fest, dass es kein Sprachverbot gab. Erst nach der Annexion 2014 wurden Ukrainisch und Krimtatarisch stark zurückgedrängt (Human Rights Watch, 2020).

Repression nach der Annexion

Nach 2014 unterdrückte Russland systematisch ukrainische und krimtatarische Kultur. Ukrainischsprachiger Unterricht verschwand, krimtatarische Medien wurden geschlossen, Aktivist:innen verhaftet oder ins Exil gezwungen (Crimean Human Rights Group, 2019; Human Rights Watch, 2021).

Putins Lügen im Zitat

Wladimir Putin behauptete 2014: „Die Menschen auf der Krim haben in freier Entscheidung für die Rückkehr zu Russland gestimmt.“

→ In Wirklichkeit fand die Abstimmung unter militärischer Besetzung statt, ohne Wahlbeobachter, mit massiver Einschüchterung – also ohne jede völkerrechtliche Legitimität.

Weiter sagte Putin: „In der Ukraine wird Russisch unterdrückt.“

→ Die OSZE dokumentierte das Gegenteil. Russisch war regionale Amtssprache, kulturell dominierend und nie verboten.

Schlusswort

Die Behauptung, die Krim habe sich immer Russland zugehörig gefühlt und sei von der Ukraine unterdrückt worden, hält einer historischen Prüfung nicht stand. Sowohl rechtlich als auch gesellschaftlich war die Krim integraler Bestandteil der Ukraine – mit weitreichender Autonomie und garantierten Sprachrechten. Wahlergebnisse und Umfragen zeigen ein differenziertes Bild, das keine klare Mehrheit für eine Loslösung erkennen lässt. Die Repression begann nicht vor, sondern nach der Annexion – durch Russland.

Literaturverzeichnis:

Crimean Human Rights Group. „Oppression of Crimean Tatars after Annexation.“ 2019.

Gallup. “Crimea Poll.” 2008. https://news.gallup.com.

Human Rights Watch. “Crimea: Repression Deepens.” 2020.

Human Rights Watch. “Russia: Targeting Crimean Tatars.” 2021.

International Republican Institute (IRI). “Public Opinion Survey: Residents of Crimea.” 2009.

Kyiv International Institute of Sociology (KIIS). “Public Opinion in Crimea.” 2011. https://kiis.com.ua.

OSZE. “Minority Rights in Ukraine.” 2013.

Plokhy, Serhii. The Gates of Europe: A History of Ukraine. New York: Basic Books, 2015.

UN General Assembly. Resolution 68/262. „Territorial Integrity of Ukraine.“ 2014.

Venedig-Kommission. “Stellungnahme 902/2017 zum Sprachgesetz der Ukraine.” Europarat, 2017.

Zentrale Wahlkommission der Ukraine. „Ergebnisse des Referendums zur Unabhängigkeit.“ 1991.

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