Er sitzt da, blass, selbstgerecht, und behauptet, von der Welt missverstanden zu werden. Martin Sellner, das tragikomische Maskottchen der identitären Bewegung, hat es mal wieder nicht leicht. Während andere Menschen ihre Jugend damit verbringen, Beziehungen zu führen, Bücher zu lesen oder den Kapitalismus zu überleben, hat Sellner sich früh entschieden, sein Leben einer einzigen Mission zu widmen: dem Kampf gegen alles, was nicht so denkt wie er – also ungefähr 99,8 Prozent der Menschheit. In seiner versiegelten Weltsicht mit Aluhutverschluss ist alles klar: Er ist der Held, das Opfer, der letzte Europäer – und Twitter (oder X, wie es Elon nun nennt) sein Schwert. Was von außen wie ein belangloser Post aussieht, ist für ihn offenbar ein Kreuzzug. Ob die Sonne scheint, Kinder lachen oder irgendwo ein Regenbogen am Himmel steht – Sellner sieht darin die Unterwanderung der westlichen Zivilisation. Und wenn ihm gar nichts mehr einfällt, filmt er sich einfach selbst beim Nachdenken. Mit Schärfentiefe. Über den Untergang.


Seine Sprache ist ein Mix aus Großalarm, Larmoyanz und antiker Rhetorik. Jeder Halbsatz ein Weltuntergang, jeder Retweet ein SOS. Doch was ihn wirklich ausmacht, ist nicht seine Meinung – sondern sein grenzenloses Sendungsbewusstsein. Sellner schreibt nicht, um zu argumentieren. Er sendet, weil er glaubt, dass ihm eine höhere Wahrheit offenbart wurde. Die Wahrheit nämlich, dass er allein gegen den Strom schwimmt, während alle anderen – 8 Milliarden Menschen, minus ein paar Telegram-Abonnenten – nur irregeleitete Lemminge seien. Die Realität hingegen: Die Revolution bleibt aus. Stattdessen sitzt er da, Tag für Tag, mit traurigem Blick auf Reichweitenstatistiken und Algorithmen, die ihn angeblich „shadowbannen“. Der Bann kommt allerdings meist nicht vom Algorithmus – sondern von der schieren Langeweile, die entsteht, wenn man sich zum hundertsten Mal über „Globalisten“, „Linksfaschisten“ oder den „großen Austausch“ echauffiert. Da helfen auch keine Spendenaufrufe mehr, selbst wenn sie mit lateinischen Zitaten geschmückt sind.


Und so ist Martin Sellner heute vor allem eines: ein Symbol für die Selbstverzwergung des politischen Radikalismus. Ein Mann, der mit viel Eifer gegen Windmühlen kämpft – nur leider nicht als Don Quijote, sondern als dessen Algorithmus-Klon mit Abitur und Opferkomplex. Er hätte Philosoph werden können, vielleicht sogar Redakteur bei einem verschwurbelten Monatsmagazin – doch er entschied sich für ein Leben im Dauerstream, zwischen Pathos und Paypal-Link. Was bleibt, ist ein Portrait in Grau: ein Mann, der ständig vor dem Untergang warnt, aber es nicht schafft, sein eigenes Weltbild zu retten. Ein Digital-Donnerprediger, dessen größte Angst nicht die Islamisierung Europas ist, sondern dass eines Tages niemand mehr hinhört. Und das, lieber Martin, ist vermutlich die gerechteste Strafe, die die Demokratie zu bieten hat.