Nashville, Tennessee – Ein Mann bleibt im Gefängnis. Nicht, weil er schuldig ist. Nicht, weil er fliehen will. Sondern weil die Justiz ihm dort – im innersten Widerspruch ihrer eigenen Prinzipien – mehr Sicherheit bieten kann als in Freiheit. Kilmar Abrego Garcia, 35, soll weiterhin in Untersuchungshaft bleiben. Das entschied ein Bundesrichter am 30. Juni. Die Begründung: Man traut dem eigenen Präsidenten nicht.
Es ist ein Satz, der in jeder rechtsstaatlichen Demokratie wie ein Donnerschlag klingen müsste. Doch in den Vereinigten Staaten des Donald Trump ist er zur Realität geworden. Abrego Garcia war im März widerrechtlich nach El Salvador abgeschoben worden – trotz laufender Verfahren, trotz aller rechtlichen Schutzmechanismen. Erst ein Urteil des Obersten Gerichtshofs zwang die Regierung zur Rückholung. Jetzt ist er zurück – aber nicht in Freiheit, sondern in einem Gefängnis in Tennessee. Und das Kuriose: Es sind seine eigenen Anwälte, die darum baten, ihn vorerst nicht freizulassen. Nicht, weil er eine Gefahr wäre. Sondern weil sie befürchten, dass Trump ihn bei der nächsten Gelegenheit wieder abschieben lässt. Ein fast einmaliger Fall in der amerikanischen Rechtsgeschichte.

„Wir können uns auf keine Aussage des Justizministeriums verlassen“, heißt es in dem Schreiben der Verteidigung an das Gericht. Die Ironie dieser Bitte sei „für niemanden zu übersehen“. Das bedeutet im Klartext: Man hält die Trump-Regierung für so unzuverlässig, so willkürlich, dass man lieber den Freiheitsentzug akzeptiert, als den eigenen Mandanten dem Zugriff eines Staates auszusetzen, der seine eigenen Urteile ignoriert. Ein solches Vorgehen ist in der Geschichte amerikanischer Strafprozesse beinahe ohne Beispiel. Die Inhaftierung eines Menschen nicht zur Durchsetzung des Strafanspruchs – sondern zum Schutz vor einem präsidentiellen Übergriff. Die Gefängniszelle als Zufluchtsort vor einem Präsidenten, der sich über das Gesetz stellt. Die Anklage gegen Kilmar Abrego Garcia lautet Menschenhandel. Seine Anwälte nennen sie „absurd“. Der Mann sei ein Bauarbeiter, kein Schmuggler. Ein politischer Sündenbock, mehr nicht. Beobachter sehen in dem Verfahren ein durchsichtiges Manöver: Man wolle die illegale Abschiebung nachträglich rechtfertigen – mit einem schwerwiegenden Vorwurf, der im öffentlichen Diskurs jeden Zweifel ersticken soll. Doch das Dilemma reicht tiefer. Indem der Staat ihn weiterhin festhält, offenbart sich ein Justizsystem, das längst zwischen Recht und Opportunismus zerrieben wird. Es geht nicht mehr nur um Schuld oder Unschuld, Fluchtgefahr oder Anklagepunkte – es geht um die Furcht, dass ein Gerichtsbeschluss von der Exekutive einfach ignoriert werden könnte.
Kilmar Abrego Garcia ist mehr als ein Einzelfall. Er ist ein Gradmesser für das Vertrauen in staatliche Integrität – und für das Ausmaß politischer Erosion unter Donald Trump. In einem Land, das sich einst als Wiege der Rechtsstaatlichkeit verstand, bleibt ein Mensch im Gefängnis – um vor dem Präsidenten geschützt zu werden. Ein Satz, den kein Gericht dieser Welt je formulieren sollte – und doch hat genau dieser Satz das neue Amerika beschrieben. Ein Amerika, in dem die Unabhängigkeit der Justiz nicht mehr selbstverständlich ist. Ein Amerika, das sich selbst nicht mehr traut. Und so bleibt ein Mann in Haft. Nicht weil man ihm nicht glaubt – sondern weil man dem Präsidenten nicht glaubt. In Wahrheit sitzt nicht Kilmar Abrego Garcia auf der Anklagebank – sondern das amerikanische Recht selbst.